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Lachmann, Karl: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin, 1816.

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5) Doch mögen sich auch für einen Kreis von Volks-
liedern bald nicht nur bestimmte Wendungen und Re-
densarten, sondern selbst einzelne immer wiederkehrende
Reime festsetzen. So wiederhohlen sich in den Dänischen
Volksliedern stets die Reime: Ö, Mö, döe, Blöd,
röd, Gaard, Maard, Bord, Ord, Jord, ind,
Skind
etc.
6) Freude und Leid, nicht aber, wie neulich gesagt ist,
Liebe und Leid, in unserem Sinne, deuten die beiden Zei-
len des Gedichts an:
Wie liebe mit leide ze jungest lonen kan.
Als ie du liebe leide z'allerjungeste git.

In der ersten bezieht sich Kriemhild auf ihrer Mutter
Worte:
Soltu immer herzenliche zer werlte werden fro.
7) Der Name Chriemhilden Rache, den Bodmer
der letzteren Hälfte gab, schickt sich wohl für das Ganze.
Mit Recht lobt von der Hagen auch die Aufschrift der
Münchner Membran: "Daz ist daz Buch Chreimhil-
den
.". Hingegen ist der jetzt gewöhnliche Name, der Ni-
belungen Lied
, für das gegenwärtige Gedicht gar nicht
passend, in dem, wie es scheint, immer die Besitzer des
Schatzes Nibelungen genannt werden. Wenigstens hei-
ßen so im Anfange nur die Könige von Nibelungenland,
denen Siegfried den Hort abgewann, darauf ihre Man-
nen, die er sich unterwarf; und erst später, nachdem der
Schatz nach Worms gekommen und Kriemhilden geraubt
ist, die Burgunden. Die erste Hälfte wäre mithin, im
Sinne unseres Ordners, einem Liede von den Nibe-
lungen
ganz fremd; und eben so wenig kommt derselben
5) Doch mögen ſich auch für einen Kreis von Volks-
liedern bald nicht nur beſtimmte Wendungen und Re-
densarten, ſondern ſelbſt einzelne immer wiederkehrende
Reime feſtſetzen. So wiederhohlen ſich in den Däniſchen
Volksliedern ſtets die Reime: Ö, Mö, döe, Blöd,
röd, Gaard, Maard, Bord, Ord, Jord, ind,
Skind
ꝛc.
6) Freude und Leid, nicht aber, wie neulich geſagt iſt,
Liebe und Leid, in unſerem Sinne, deuten die beiden Zei-
len des Gedichts an:
Wie liebe mit leide ze jungeſt lonen kan.
Als ie du̓ liebe leide z’allerjungeſte git.

In der erſten bezieht ſich Kriemhild auf ihrer Mutter
Worte:
Soltu immer herzenliche zer werlte werden fro.
7) Der Name Chriemhilden Rache, den Bodmer
der letzteren Hälfte gab, ſchickt ſich wohl für das Ganze.
Mit Recht lobt von der Hagen auch die Aufſchrift der
Münchner Membran: »Daz iſt daz Bůch Chreimhil-
den
.«. Hingegen iſt der jetzt gewöhnliche Name, der Ni-
belungen Lied
, für das gegenwärtige Gedicht gar nicht
paſſend, in dem, wie es ſcheint, immer die Beſitzer des
Schatzes Nibelungen genannt werden. Wenigſtens hei-
ßen ſo im Anfange nur die Könige von Nibelungenland,
denen Siegfried den Hort abgewann, darauf ihre Man-
nen, die er ſich unterwarf; und erſt ſpäter, nachdem der
Schatz nach Worms gekommen und Kriemhilden geraubt
iſt, die Burgunden. Die erſte Hälfte wäre mithin, im
Sinne unſeres Ordners, einem Liede von den Nibe-
lungen
ganz fremd; und eben ſo wenig kommt derſelben
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[91/0099] ⁵⁾ Doch mögen ſich auch für einen Kreis von Volks- liedern bald nicht nur beſtimmte Wendungen und Re- densarten, ſondern ſelbſt einzelne immer wiederkehrende Reime feſtſetzen. So wiederhohlen ſich in den Däniſchen Volksliedern ſtets die Reime: Ö, Mö, döe, Blöd, röd, Gaard, Maard, Bord, Ord, Jord, ind, Skind ꝛc. ⁶⁾ Freude und Leid, nicht aber, wie neulich geſagt iſt, Liebe und Leid, in unſerem Sinne, deuten die beiden Zei- len des Gedichts an: Wie liebe mit leide ze jungeſt lonen kan. Als ie du̓ liebe leide z’allerjungeſte git. In der erſten bezieht ſich Kriemhild auf ihrer Mutter Worte: Soltu immer herzenliche zer werlte werden fro. ⁷⁾ Der Name Chriemhilden Rache, den Bodmer der letzteren Hälfte gab, ſchickt ſich wohl für das Ganze. Mit Recht lobt von der Hagen auch die Aufſchrift der Münchner Membran: »Daz iſt daz Bůch Chreimhil- den.«. Hingegen iſt der jetzt gewöhnliche Name, der Ni- belungen Lied, für das gegenwärtige Gedicht gar nicht paſſend, in dem, wie es ſcheint, immer die Beſitzer des Schatzes Nibelungen genannt werden. Wenigſtens hei- ßen ſo im Anfange nur die Könige von Nibelungenland, denen Siegfried den Hort abgewann, darauf ihre Man- nen, die er ſich unterwarf; und erſt ſpäter, nachdem der Schatz nach Worms gekommen und Kriemhilden geraubt iſt, die Burgunden. Die erſte Hälfte wäre mithin, im Sinne unſeres Ordners, einem Liede von den Nibe- lungen ganz fremd; und eben ſo wenig kommt derſelben

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Zitationshilfe: Lachmann, Karl: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin, 1816, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lachmann_nibelungen_1816/99>, abgerufen am 28.04.2024.