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Lachmann, Karl: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin, 1816.

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der Name zu, den von der Hagen für sie erfunden, der
Nibelungen Hochfahrt
. Übrigens, wenn jener unrich-
tige Name, der Nibelungen Lied, auch durch Fouques
Corona unsterblich werden sollte, in der ein Gesang mit
der Zeile anhebt:
In unserm alten Lied der Nibelungen,
so würde man dennoch wohlthun, ihn baldmöglichst abzu-
schaffen, schon weil er allein aus der Überarbeitung in der
ersten Hohenemser Handschrift gekommen ist, und immer
an die Reimerei erinnert, mit der das Gedicht in dieser
Handschrift beschlossen wird.
8) Eine dieser untergeordnete Ansicht ist die in der 24
Zeile ausgesprochene:
Si ersturben sit joemerliche von zweier edeln frouwen
nit.

Auch in anderen Stellen, wie Z. 3520:
Von zweier frouwen bagen wart vil manic helt ver-
loren.

Wenn man aber unser Lied ein großes Trauerspiel genannt
hat, das, von einer übereilten Plauderei zu einer
immer furchtbarern Unthat riesengroß anwachsend, jeder
Unbill ihre Bestrafung auf dem Fuße nachfolgen lasse, so
scheint man eben durch diese Ansicht aus dem großen
Schicksalsspiele ein moralisches Familiendrama gemacht zu
haben. Dem Liede selbst ist diese Beziehung ganz fremd.
Nur mit Hindeutung auf Siegfrieds Tod heißt es (Z.
2735) von ihm, als er Brünhilden Ring und Gürtel ge-
nommen:
Er gab iz sinem wibe; daz wart im sider leit.
der Name zu, den von der Hagen für ſie erfunden, der
Nibelungen Hochfahrt
. Übrigens, wenn jener unrich-
tige Name, der Nibelungen Lied, auch durch Fouques
Corona unſterblich werden ſollte, in der ein Geſang mit
der Zeile anhebt:
In unſerm alten Lied der Nibelungen,
ſo würde man dennoch wohlthun, ihn baldmöglichſt abzu-
ſchaffen, ſchon weil er allein aus der Überarbeitung in der
erſten Hohenemſer Handſchrift gekommen iſt, und immer
an die Reimerei erinnert, mit der das Gedicht in dieſer
Handſchrift beſchloſſen wird.
8) Eine dieſer untergeordnete Anſicht iſt die in der 24
Zeile ausgeſprochene:
Si erſturben ſit jœmerliche von zweier edeln froͧwen
nit.

Auch in anderen Stellen, wie Z. 3520:
Von zweier froͧwen bagen wart vil manic helt ver-
loren.

Wenn man aber unſer Lied ein großes Trauerſpiel genannt
hat, das, von einer übereilten Plauderei zu einer
immer furchtbarern Unthat rieſengroß anwachſend, jeder
Unbill ihre Beſtrafung auf dem Fuße nachfolgen laſſe, ſo
ſcheint man eben durch dieſe Anſicht aus dem großen
Schickſalsſpiele ein moraliſches Familiendrama gemacht zu
haben. Dem Liede ſelbſt iſt dieſe Beziehung ganz fremd.
Nur mit Hindeutung auf Siegfrieds Tod heißt es (Z.
2735) von ihm, als er Brünhilden Ring und Gürtel ge-
nommen:
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[92/0100] ⁷⁾ der Name zu, den von der Hagen für ſie erfunden, der Nibelungen Hochfahrt. Übrigens, wenn jener unrich- tige Name, der Nibelungen Lied, auch durch Fouques Corona unſterblich werden ſollte, in der ein Geſang mit der Zeile anhebt: In unſerm alten Lied der Nibelungen, ſo würde man dennoch wohlthun, ihn baldmöglichſt abzu- ſchaffen, ſchon weil er allein aus der Überarbeitung in der erſten Hohenemſer Handſchrift gekommen iſt, und immer an die Reimerei erinnert, mit der das Gedicht in dieſer Handſchrift beſchloſſen wird. ⁸⁾ Eine dieſer untergeordnete Anſicht iſt die in der 24 Zeile ausgeſprochene: Si erſturben ſit jœmerliche von zweier edeln froͧwen nit. Auch in anderen Stellen, wie Z. 3520: Von zweier froͧwen bagen wart vil manic helt ver- loren. Wenn man aber unſer Lied ein großes Trauerſpiel genannt hat, das, von einer übereilten Plauderei zu einer immer furchtbarern Unthat rieſengroß anwachſend, jeder Unbill ihre Beſtrafung auf dem Fuße nachfolgen laſſe, ſo ſcheint man eben durch dieſe Anſicht aus dem großen Schickſalsſpiele ein moraliſches Familiendrama gemacht zu haben. Dem Liede ſelbſt iſt dieſe Beziehung ganz fremd. Nur mit Hindeutung auf Siegfrieds Tod heißt es (Z. 2735) von ihm, als er Brünhilden Ring und Gürtel ge- nommen: Er gab iz ſinem wibe; daz wart im ſider leit.

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Zitationshilfe: Lachmann, Karl: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin, 1816, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lachmann_nibelungen_1816/100>, abgerufen am 27.04.2024.