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Lachmann, Karl: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin, 1816.

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Doch darf man schwerlich annehmen, daß er irgend eins
davon nicht in einer bloß sehr ähnlichen, sondern ganz in
derselben Gestalt gekannt habe, wie sie, in kleineren Um-
ständen oftmals abweichend, in vielen andern aber mehr
ausgebildet und ausgeschmückt, in unsere Nibelungennoth
aufgenommen wurden. Es wird leicht sein, sich hiervon
zu überzeugen, wenn wir angeben, was die Klage von die-
sem letzten Abschnitte erwähnt, und dabei nur auf einige
bedeutendere Auslassungen aufmerksam machen, die Abwei-
chungen aber desto genauer anzeigen; wodurch sich zugleich
ergeben wird, daß auch diese Aventüren, wie wir sie jetzt
lesen, nicht von einem einzigen Dichter verfaßt, sondern
nur durch den Ordner ohne durchgängige Hebung aller
Widersprüche zusammengestellt worden sind.

Von den nächsten Begebenheiten erzählt nun die Klage
nur die folgenden: wie Kriemhild Rüdiger so lange bat,
bis er die Degen mit Streite bestehen mußte (Z. 4070 --
4073). Gernots Schwert, ein Geschenk von Rüdiger, wird
beschrieben (Z. 2061 -- 2075). Der Schild aber, den Rü-
diger jetzt Hagen gab, für den, welchen er bis dahin trug
(ein Geschenk Gotelindens), wird eben so wenig erwähnt,
als die Armbänder von Gotelinden, die Volker trug; nicht
einmahl, daß Hagen und Volker sich des Streites gegen
Rüdiger begaben. Nach beiden Gedichten erschlagen sich
Gernot und Rüdiger wechselsweise. In den Nibelungen
(Z. 8983) schlägt Rüdiger Gernoten durch den Helm: Etzel
findet ihn dagegen in der Klage (Z. 2040)
So sere verschroten
Mit einer verchwunden;
Gein den brusten unden
Was si wol ellen wit geslagen.

D 2

Doch darf man ſchwerlich annehmen, daß er irgend eins
davon nicht in einer bloß ſehr ähnlichen, ſondern ganz in
derſelben Geſtalt gekannt habe, wie ſie, in kleineren Um-
ſtänden oftmals abweichend, in vielen andern aber mehr
ausgebildet und ausgeſchmückt, in unſere Nibelungennoth
aufgenommen wurden. Es wird leicht ſein, ſich hiervon
zu überzeugen, wenn wir angeben, was die Klage von die-
ſem letzten Abſchnitte erwähnt, und dabei nur auf einige
bedeutendere Auslaſſungen aufmerkſam machen, die Abwei-
chungen aber deſto genauer anzeigen; wodurch ſich zugleich
ergeben wird, daß auch dieſe Aventüren, wie wir ſie jetzt
leſen, nicht von einem einzigen Dichter verfaßt, ſondern
nur durch den Ordner ohne durchgängige Hebung aller
Widerſprüche zuſammengeſtellt worden ſind.

Von den nächſten Begebenheiten erzählt nun die Klage
nur die folgenden: wie Kriemhild Rüdiger ſo lange bat,
bis er die Degen mit Streite beſtehen mußte (Z. 4070 —
4073). Gernots Schwert, ein Geſchenk von Rüdiger, wird
beſchrieben (Z. 2061 — 2075). Der Schild aber, den Rü-
diger jetzt Hagen gab, für den, welchen er bis dahin trug
(ein Geſchenk Gotelindens), wird eben ſo wenig erwähnt,
als die Armbänder von Gotelinden, die Volker trug; nicht
einmahl, daß Hagen und Volker ſich des Streites gegen
Rüdiger begaben. Nach beiden Gedichten erſchlagen ſich
Gernot und Rüdiger wechſelsweiſe. In den Nibelungen
(Z. 8983) ſchlägt Rüdiger Gernoten durch den Helm: Etzel
findet ihn dagegen in der Klage (Z. 2040)
So ſere verſchroten
Mit einer verchwunden;
Gein den bru̓ſten unden
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D 2
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[51/0059] Doch darf man ſchwerlich annehmen, daß er irgend eins davon nicht in einer bloß ſehr ähnlichen, ſondern ganz in derſelben Geſtalt gekannt habe, wie ſie, in kleineren Um- ſtänden oftmals abweichend, in vielen andern aber mehr ausgebildet und ausgeſchmückt, in unſere Nibelungennoth aufgenommen wurden. Es wird leicht ſein, ſich hiervon zu überzeugen, wenn wir angeben, was die Klage von die- ſem letzten Abſchnitte erwähnt, und dabei nur auf einige bedeutendere Auslaſſungen aufmerkſam machen, die Abwei- chungen aber deſto genauer anzeigen; wodurch ſich zugleich ergeben wird, daß auch dieſe Aventüren, wie wir ſie jetzt leſen, nicht von einem einzigen Dichter verfaßt, ſondern nur durch den Ordner ohne durchgängige Hebung aller Widerſprüche zuſammengeſtellt worden ſind. Von den nächſten Begebenheiten erzählt nun die Klage nur die folgenden: wie Kriemhild Rüdiger ſo lange bat, bis er die Degen mit Streite beſtehen mußte (Z. 4070 — 4073). Gernots Schwert, ein Geſchenk von Rüdiger, wird beſchrieben (Z. 2061 — 2075). Der Schild aber, den Rü- diger jetzt Hagen gab, für den, welchen er bis dahin trug (ein Geſchenk Gotelindens), wird eben ſo wenig erwähnt, als die Armbänder von Gotelinden, die Volker trug; nicht einmahl, daß Hagen und Volker ſich des Streites gegen Rüdiger begaben. Nach beiden Gedichten erſchlagen ſich Gernot und Rüdiger wechſelsweiſe. In den Nibelungen (Z. 8983) ſchlägt Rüdiger Gernoten durch den Helm: Etzel findet ihn dagegen in der Klage (Z. 2040) So ſere verſchroten Mit einer verchwunden; Gein den bru̓ſten unden Was ſi wol ellen wit geſlagen. D 2

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Zitationshilfe: Lachmann, Karl: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin, 1816, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lachmann_nibelungen_1816/59>, abgerufen am 25.11.2024.