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Lachmann, Karl: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin, 1816.

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Über beider Tod zürnt in den Nibelungen Hagen.
Dann folgt eine Strophe, die nach dem Zusammenhange
der Rede noch Hagens Worte enthält (Z. 9001):
O we mines bruder, der tot ist hie gefrumt!
Waz mir der leiden moere z' allen ziten kumt!
Ouch muz mich immer ruwen der edel Rüdeger;
Der schade ist beidenthalben und du vil grözlichen ser.

Aus dieser Stelle scheint also zu folgen, daß wenige Verse
nachher (Z. 9009), wo Günther, Giselher, Hagen, Dank-
wart und Volker an die Stelle hingehen, wo Gernot und
Rüdiger erschlagen liegen, ein neues Lied anfange, das
vorhergehende aber Dankwarts Tod schon voraussetze;
wie denn auch in der Klage (Z. 1579) nicht erzählt wird,
wer Dankwart erschlug, obgleich er nach ihr (Z. 1627 --
1657) später noch einen von Dieterichs Mannen tödtete,
nämlich Wolfbrand, und nach einem anderen Liede in den
Nibelungen (Z. 9273) von Helfrichs Hand fiel. In dem
vorhergenden Liede wurde zwar Dankwart auch noch er-
wähnt, eben unter denen, die gegen Rüdiger stritten; aber
auch nur in dem vorhergehenden, denn offenbar zeigt
doch diese Strophe (Z. 8965) den Anfang eines Liedes:
Vil wol zeigete Rüdiger, daz er was stark genuc,
Küne und wol gewaffent; hei, waz er helde sluc!
Daz sach ein Burgonde, zornes gie im not;
Davon begunde nahen des edeln Rüdegeres tot.

Das Lied, welches wir hier zuerst von den anderen
trennen mußten (Z. 9009 -- 9116), gibt sich auch durch ei-
nen anderen Umstand, der darin enthalten ist, als verschie-
den von den übrigen zu erkennen. Die Burgunden ruhen
wieder aus, so daß die Königinn schon glaubt, Rüdiger
habe sich mit den Feinden versöhnt: da straft sie Volker

Über beider Tod zürnt in den Nibelungen Hagen.
Dann folgt eine Strophe, die nach dem Zuſammenhange
der Rede noch Hagens Worte enthält (Z. 9001):
O we mines brůder, der tot iſt hie gefrumt!
Waz mir der leiden mœre z’ allen ziten kumt!
Oͧch můz mich immer ru̓wen der edel Rüdeger;
Der ſchade iſt beidenthalben und du̓ vil grözlichen ſer.

Aus dieſer Stelle ſcheint alſo zu folgen, daß wenige Verſe
nachher (Z. 9009), wo Günther, Giſelher, Hagen, Dank-
wart und Volker an die Stelle hingehen, wo Gernot und
Rüdiger erſchlagen liegen, ein neues Lied anfange, das
vorhergehende aber Dankwarts Tod ſchon vorausſetze;
wie denn auch in der Klage (Z. 1579) nicht erzählt wird,
wer Dankwart erſchlug, obgleich er nach ihr (Z. 1627 —
1657) ſpäter noch einen von Dieterichs Mannen tödtete,
nämlich Wolfbrand, und nach einem anderen Liede in den
Nibelungen (Z. 9273) von Helfrichs Hand fiel. In dem
vorhergenden Liede wurde zwar Dankwart auch noch er-
wähnt, eben unter denen, die gegen Rüdiger ſtritten; aber
auch nur in dem vorhergehenden, denn offenbar zeigt
doch dieſe Strophe (Z. 8965) den Anfang eines Liedes:
Vil wol zeigete Rüdiger, daz er was ſtark genůc,
Küne und wol gewaffent; hei, waz er helde ſlůc!
Daz ſach ein Burgonde, zornes gie im not;
Davon begunde nahen des edeln Rüdegeres tot.

Das Lied, welches wir hier zuerſt von den anderen
trennen mußten (Z. 9009 — 9116), gibt ſich auch durch ei-
nen anderen Umſtand, der darin enthalten iſt, als verſchie-
den von den übrigen zu erkennen. Die Burgunden ruhen
wieder aus, ſo daß die Königinn ſchon glaubt, Rüdiger
habe ſich mit den Feinden verſöhnt: da ſtraft ſie Volker

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[52/0060] Über beider Tod zürnt in den Nibelungen Hagen. Dann folgt eine Strophe, die nach dem Zuſammenhange der Rede noch Hagens Worte enthält (Z. 9001): O we mines brůder, der tot iſt hie gefrumt! Waz mir der leiden mœre z’ allen ziten kumt! Oͧch můz mich immer ru̓wen der edel Rüdeger; Der ſchade iſt beidenthalben und du̓ vil grözlichen ſer. Aus dieſer Stelle ſcheint alſo zu folgen, daß wenige Verſe nachher (Z. 9009), wo Günther, Giſelher, Hagen, Dank- wart und Volker an die Stelle hingehen, wo Gernot und Rüdiger erſchlagen liegen, ein neues Lied anfange, das vorhergehende aber Dankwarts Tod ſchon vorausſetze; wie denn auch in der Klage (Z. 1579) nicht erzählt wird, wer Dankwart erſchlug, obgleich er nach ihr (Z. 1627 — 1657) ſpäter noch einen von Dieterichs Mannen tödtete, nämlich Wolfbrand, und nach einem anderen Liede in den Nibelungen (Z. 9273) von Helfrichs Hand fiel. In dem vorhergenden Liede wurde zwar Dankwart auch noch er- wähnt, eben unter denen, die gegen Rüdiger ſtritten; aber auch nur in dem vorhergehenden, denn offenbar zeigt doch dieſe Strophe (Z. 8965) den Anfang eines Liedes: Vil wol zeigete Rüdiger, daz er was ſtark genůc, Küne und wol gewaffent; hei, waz er helde ſlůc! Daz ſach ein Burgonde, zornes gie im not; Davon begunde nahen des edeln Rüdegeres tot. Das Lied, welches wir hier zuerſt von den anderen trennen mußten (Z. 9009 — 9116), gibt ſich auch durch ei- nen anderen Umſtand, der darin enthalten iſt, als verſchie- den von den übrigen zu erkennen. Die Burgunden ruhen wieder aus, ſo daß die Königinn ſchon glaubt, Rüdiger habe ſich mit den Feinden verſöhnt: da ſtraft ſie Volker

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Zitationshilfe: Lachmann, Karl: Über die ursprüngliche Gestalt des Gedichts von der Nibelungen Noth. Berlin, 1816, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lachmann_nibelungen_1816/60>, abgerufen am 27.04.2024.