Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.

Bild:
<< vorherige Seite
§. 99. Die Gerichtsbarkeit des Reichs.

Freilich wird dieser Erfolg durch die Bestimmung des §. 511
nicht vollständig erreicht, sondern nur für den regelmäßigen Fall,
daß die Gerichte nach der lex fori entscheiden; wenn in einer
Rechtssache ausländisches Recht oder das Recht eines andern, wenn-
gleich zum Deutschen Reich gehörenden, Rechtsgebietes von einem
Oberlandesgerichte in Anwendung zu bringen ist, kann das letztere
von der Auslegung eines anderen Oberlandesgerichtes abweichen,
ohne daß durch das Rechtsmittel der Revision die Entscheidung
des Reichsgerichts herbeigeführt werden kann 1).

Aber auch abgesehen von dieser Beschränkung der Tragweite
des im §. 511 cit. aufgestellten Prinzips ist das letztere selbst
nicht ein absolut durchgreifendes, sondern es sind Modifikationen
desselben nach beiden Richtungen gestattet. Mit Zustimmung des
Bundesraths kann durch Kaiserl. Verordnung bestimmt werden,
sowohl daß die Verletzung von Gesetzen, obgleich deren Geltungs-
bereich sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt,
die Revision nicht begründe, als auch, daß die Verletzung von Ge-
setzen, obgleich deren Geltungsbereich sich nicht über den Bezirk des
Berufungsgerichts hinaus erstreckt, die Revision begründe 2). Die
erste dieser beiden Abweichungen betrifft namentlich die Partikular-
gesetze älterer Zeit, deren Geltungsgebiete in Folge der Territorial-
veränderungen oder der Umgestaltung der Gerichtsverfassung getheilt
worden sind, so daß sie gegenwärtig in den Bezirken mehrerer
Staaten bezieh. mehrerer Oberlandesgerichte liegen 3).


außerdem aber in einem ausländischen Gebiet Geltung hat, was hinsicht-
lich zahlreicher in Elsaß-Lothringen geltender französischer und der in Schles-
wig-Holstein geltenden dänischen Gesetze zutrifft, so ist die Revision nicht be-
gründet, obgleich der Wortlaut des §. 511 der Civilproz.O. einer andern Aus-
legung Raum giebt. Denn in diesem Falle kann ein Widerstreit zwischen meh-
reren Deutschen Oberlandesgerichten nicht entstehen. Vgl. auch Endemann
II. S. 454. Dieses Prinzip hat auch Anerkennung gefunden in der V. v.
28. Septemb. 1879 §. 2. (R.G.Bl. S. 299.)
1) Vgl. Eccius in Gruchot's Beiträgen zur Erläuterung des Deutschen
Rechts. Bd. 24 S. 23 ff. und Reuling, revisible und nichtrevisible Rechts-
normen. Berlin 1880. (Separat-Abdr. aus der Jurist. Wochenschr. v. 1880.)
2) Einf.Ges. z. Civilproz.O. Art. 6.
3) In dieser Beziehung hat die V. v. 28. Sept. 1879 §. 1 (R.G.Bl.
S. 299) den Grundsatz aufgestellt, daß die Revision auf die Verletzung anderer
Gesetze als derjenigen des gemeinen oder französ. Rechts nur gestützt werden
kann, wenn dieselben über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus für den
§. 99. Die Gerichtsbarkeit des Reichs.

Freilich wird dieſer Erfolg durch die Beſtimmung des §. 511
nicht vollſtändig erreicht, ſondern nur für den regelmäßigen Fall,
daß die Gerichte nach der lex fori entſcheiden; wenn in einer
Rechtsſache ausländiſches Recht oder das Recht eines andern, wenn-
gleich zum Deutſchen Reich gehörenden, Rechtsgebietes von einem
Oberlandesgerichte in Anwendung zu bringen iſt, kann das letztere
von der Auslegung eines anderen Oberlandesgerichtes abweichen,
ohne daß durch das Rechtsmittel der Reviſion die Entſcheidung
des Reichsgerichts herbeigeführt werden kann 1).

Aber auch abgeſehen von dieſer Beſchränkung der Tragweite
des im §. 511 cit. aufgeſtellten Prinzips iſt das letztere ſelbſt
nicht ein abſolut durchgreifendes, ſondern es ſind Modifikationen
deſſelben nach beiden Richtungen geſtattet. Mit Zuſtimmung des
Bundesraths kann durch Kaiſerl. Verordnung beſtimmt werden,
ſowohl daß die Verletzung von Geſetzen, obgleich deren Geltungs-
bereich ſich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erſtreckt,
die Reviſion nicht begründe, als auch, daß die Verletzung von Ge-
ſetzen, obgleich deren Geltungsbereich ſich nicht über den Bezirk des
Berufungsgerichts hinaus erſtreckt, die Reviſion begründe 2). Die
erſte dieſer beiden Abweichungen betrifft namentlich die Partikular-
geſetze älterer Zeit, deren Geltungsgebiete in Folge der Territorial-
veränderungen oder der Umgeſtaltung der Gerichtsverfaſſung getheilt
worden ſind, ſo daß ſie gegenwärtig in den Bezirken mehrerer
Staaten bezieh. mehrerer Oberlandesgerichte liegen 3).


außerdem aber in einem ausländiſchen Gebiet Geltung hat, was hinſicht-
lich zahlreicher in Elſaß-Lothringen geltender franzöſiſcher und der in Schles-
wig-Holſtein geltenden däniſchen Geſetze zutrifft, ſo iſt die Reviſion nicht be-
gründet, obgleich der Wortlaut des §. 511 der Civilproz.O. einer andern Aus-
legung Raum giebt. Denn in dieſem Falle kann ein Widerſtreit zwiſchen meh-
reren Deutſchen Oberlandesgerichten nicht entſtehen. Vgl. auch Endemann
II. S. 454. Dieſes Prinzip hat auch Anerkennung gefunden in der V. v.
28. Septemb. 1879 §. 2. (R.G.Bl. S. 299.)
1) Vgl. Eccius in Gruchot’s Beiträgen zur Erläuterung des Deutſchen
Rechts. Bd. 24 S. 23 ff. und Reuling, reviſible und nichtreviſible Rechts-
normen. Berlin 1880. (Separat-Abdr. aus der Juriſt. Wochenſchr. v. 1880.)
2) Einf.Geſ. z. Civilproz.O. Art. 6.
3) In dieſer Beziehung hat die V. v. 28. Sept. 1879 §. 1 (R.G.Bl.
S. 299) den Grundſatz aufgeſtellt, daß die Reviſion auf die Verletzung anderer
Geſetze als derjenigen des gemeinen oder franzöſ. Rechts nur geſtützt werden
kann, wenn dieſelben über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus für den
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0067" n="57"/>
              <fw place="top" type="header">§. 99. Die Gerichtsbarkeit des Reichs.</fw><lb/>
              <p>Freilich wird die&#x017F;er Erfolg durch die Be&#x017F;timmung des §. 511<lb/>
nicht voll&#x017F;tändig erreicht, &#x017F;ondern nur für den regelmäßigen Fall,<lb/>
daß die Gerichte nach der <hi rendition="#aq">lex fori</hi> ent&#x017F;cheiden; wenn in einer<lb/>
Rechts&#x017F;ache ausländi&#x017F;ches Recht oder das Recht eines andern, wenn-<lb/>
gleich zum Deut&#x017F;chen Reich gehörenden, Rechtsgebietes von einem<lb/>
Oberlandesgerichte in Anwendung zu bringen i&#x017F;t, kann das letztere<lb/>
von der Auslegung eines anderen Oberlandesgerichtes abweichen,<lb/>
ohne daß durch das Rechtsmittel der Revi&#x017F;ion die Ent&#x017F;cheidung<lb/>
des Reichsgerichts herbeigeführt werden kann <note place="foot" n="1)">Vgl. <hi rendition="#g">Eccius</hi> in Gruchot&#x2019;s Beiträgen zur Erläuterung des Deut&#x017F;chen<lb/>
Rechts. Bd. 24 S. 23 ff. und <hi rendition="#g">Reuling</hi>, revi&#x017F;ible und nichtrevi&#x017F;ible Rechts-<lb/>
normen. Berlin 1880. (Separat-Abdr. aus der Juri&#x017F;t. Wochen&#x017F;chr. v. 1880.)</note>.</p><lb/>
              <p>Aber auch abge&#x017F;ehen von die&#x017F;er Be&#x017F;chränkung der Tragweite<lb/>
des im §. 511 cit. aufge&#x017F;tellten Prinzips i&#x017F;t das letztere &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
nicht ein ab&#x017F;olut durchgreifendes, &#x017F;ondern es &#x017F;ind Modifikationen<lb/>
de&#x017F;&#x017F;elben nach beiden Richtungen ge&#x017F;tattet. Mit Zu&#x017F;timmung des<lb/>
Bundesraths kann durch Kai&#x017F;erl. Verordnung be&#x017F;timmt werden,<lb/>
&#x017F;owohl daß die Verletzung von Ge&#x017F;etzen, obgleich deren Geltungs-<lb/>
bereich &#x017F;ich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus er&#x017F;treckt,<lb/>
die Revi&#x017F;ion nicht begründe, als auch, daß die Verletzung von Ge-<lb/>
&#x017F;etzen, obgleich deren Geltungsbereich &#x017F;ich nicht über den Bezirk des<lb/>
Berufungsgerichts hinaus er&#x017F;treckt, die Revi&#x017F;ion begründe <note place="foot" n="2)">Einf.Ge&#x017F;. z. Civilproz.O. Art. 6.</note>. Die<lb/>
er&#x017F;te die&#x017F;er beiden Abweichungen betrifft namentlich die Partikular-<lb/>
ge&#x017F;etze älterer Zeit, deren Geltungsgebiete in Folge der Territorial-<lb/>
veränderungen oder der Umge&#x017F;taltung der Gerichtsverfa&#x017F;&#x017F;ung getheilt<lb/>
worden &#x017F;ind, &#x017F;o daß &#x017F;ie gegenwärtig in den Bezirken mehrerer<lb/>
Staaten bezieh. mehrerer Oberlandesgerichte liegen <note xml:id="seg2pn_8_1" next="#seg2pn_8_2" place="foot" n="3)">In die&#x017F;er Beziehung hat die V. v. 28. Sept. 1879 §. 1 (R.G.Bl.<lb/>
S. 299) den Grund&#x017F;atz aufge&#x017F;tellt, daß die Revi&#x017F;ion auf die Verletzung anderer<lb/>
Ge&#x017F;etze als derjenigen des gemeinen oder franzö&#x017F;. Rechts nur ge&#x017F;tützt werden<lb/>
kann, wenn die&#x017F;elben über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus <hi rendition="#g">für den</hi></note>.</p><lb/>
              <p>
                <note xml:id="seg2pn_7_2" prev="#seg2pn_7_1" place="foot" n="2)">außerdem aber in einem <hi rendition="#g">ausländi&#x017F;chen</hi> Gebiet Geltung hat, was hin&#x017F;icht-<lb/>
lich zahlreicher in El&#x017F;aß-Lothringen geltender franzö&#x017F;i&#x017F;cher und der in Schles-<lb/>
wig-Hol&#x017F;tein geltenden däni&#x017F;chen Ge&#x017F;etze zutrifft, &#x017F;o i&#x017F;t die Revi&#x017F;ion nicht be-<lb/>
gründet, obgleich der Wortlaut des §. 511 der Civilproz.O. einer andern Aus-<lb/>
legung Raum giebt. Denn in die&#x017F;em Falle kann ein Wider&#x017F;treit zwi&#x017F;chen meh-<lb/>
reren <hi rendition="#g">Deut&#x017F;chen</hi> Oberlandesgerichten nicht ent&#x017F;tehen. Vgl. auch <hi rendition="#g">Endemann</hi><lb/><hi rendition="#aq">II.</hi> S. 454. Die&#x017F;es Prinzip hat auch Anerkennung gefunden in der V. v.<lb/>
28. Septemb. 1879 §. 2. (R.G.Bl. S. 299.)</note>
              </p><lb/>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[57/0067] §. 99. Die Gerichtsbarkeit des Reichs. Freilich wird dieſer Erfolg durch die Beſtimmung des §. 511 nicht vollſtändig erreicht, ſondern nur für den regelmäßigen Fall, daß die Gerichte nach der lex fori entſcheiden; wenn in einer Rechtsſache ausländiſches Recht oder das Recht eines andern, wenn- gleich zum Deutſchen Reich gehörenden, Rechtsgebietes von einem Oberlandesgerichte in Anwendung zu bringen iſt, kann das letztere von der Auslegung eines anderen Oberlandesgerichtes abweichen, ohne daß durch das Rechtsmittel der Reviſion die Entſcheidung des Reichsgerichts herbeigeführt werden kann 1). Aber auch abgeſehen von dieſer Beſchränkung der Tragweite des im §. 511 cit. aufgeſtellten Prinzips iſt das letztere ſelbſt nicht ein abſolut durchgreifendes, ſondern es ſind Modifikationen deſſelben nach beiden Richtungen geſtattet. Mit Zuſtimmung des Bundesraths kann durch Kaiſerl. Verordnung beſtimmt werden, ſowohl daß die Verletzung von Geſetzen, obgleich deren Geltungs- bereich ſich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erſtreckt, die Reviſion nicht begründe, als auch, daß die Verletzung von Ge- ſetzen, obgleich deren Geltungsbereich ſich nicht über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erſtreckt, die Reviſion begründe 2). Die erſte dieſer beiden Abweichungen betrifft namentlich die Partikular- geſetze älterer Zeit, deren Geltungsgebiete in Folge der Territorial- veränderungen oder der Umgeſtaltung der Gerichtsverfaſſung getheilt worden ſind, ſo daß ſie gegenwärtig in den Bezirken mehrerer Staaten bezieh. mehrerer Oberlandesgerichte liegen 3). 2) 1) Vgl. Eccius in Gruchot’s Beiträgen zur Erläuterung des Deutſchen Rechts. Bd. 24 S. 23 ff. und Reuling, reviſible und nichtreviſible Rechts- normen. Berlin 1880. (Separat-Abdr. aus der Juriſt. Wochenſchr. v. 1880.) 2) Einf.Geſ. z. Civilproz.O. Art. 6. 3) In dieſer Beziehung hat die V. v. 28. Sept. 1879 §. 1 (R.G.Bl. S. 299) den Grundſatz aufgeſtellt, daß die Reviſion auf die Verletzung anderer Geſetze als derjenigen des gemeinen oder franzöſ. Rechts nur geſtützt werden kann, wenn dieſelben über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus für den 2) außerdem aber in einem ausländiſchen Gebiet Geltung hat, was hinſicht- lich zahlreicher in Elſaß-Lothringen geltender franzöſiſcher und der in Schles- wig-Holſtein geltenden däniſchen Geſetze zutrifft, ſo iſt die Reviſion nicht be- gründet, obgleich der Wortlaut des §. 511 der Civilproz.O. einer andern Aus- legung Raum giebt. Denn in dieſem Falle kann ein Widerſtreit zwiſchen meh- reren Deutſchen Oberlandesgerichten nicht entſtehen. Vgl. auch Endemann II. S. 454. Dieſes Prinzip hat auch Anerkennung gefunden in der V. v. 28. Septemb. 1879 §. 2. (R.G.Bl. S. 299.)

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/67
Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/67>, abgerufen am 03.05.2024.