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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.

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§. 112. Die Einheit des Zollgebietes.
Exclaven des Art. 34 und denjenigen des Art. 33 Abs. 1 der
R.V. 1).

Sodann ist die Frage aufgeworfen worden, ob Art. 78 Abs. 1
der R.V. bei einer Veränderung der Freihafenstellung der beiden
Hansestädte Anwendung finde, d. h. ob hierzu der Weg der ver-
fassungsändernden Gesetzgebung beschritten werden müsse. Auf
den ersten Anschein könnte man sich für Bejahung der Frage ent-
scheiden, da eine Aenderung des Art. 34 doch ganz gewiß eine
Veränderung der Verfassung sei 2). Allein dies beruht auf einer
Verkennung des Sinnes dieses Artikels; er will nicht Bremen und
Hamburg vom Zollgebiet excludiren und ihre Freihafenstellung an-
befehlen, sondern er will ihnen den Einschluß in die Zollgränze
so lange erlassen, bis sie es beantragen. Art. 34 hat mit dem
zweiten Satz von Art. 33 Abs. 1 das gemein, daß beide Ver-
fassungsbestimungen Ausnahmen von dem im ersten Satz des Art. 33
an die Spitze gestellten Prinzip zulassen; die Beseitigung einer
dieser Ausnahmen ist sonach keine Veränderung, sondern eine voll-
ständigere Verwirklichung des obersten verfassungsmäßigen Grund-
satzes. Art. 34 enthält keine objektive Rechtsregel, welche den im
Art. 33 an die Spitze gestellten Grundsatz theilweise aufhebt, son-
dern sie begründet subjektive Rechtsbefugnisse, welche seine voll-
kommene Durchführung hindern können. Wenn die beiden Hanse-

1) Sowohl in der Literatur als bei den parlamentarischen Erörterungen
war das auch die überwiegende Ansicht; statt aller andern Citate genügt die
folgende Aeußerung des kompetentesten Beurtheilers der Frage, des Fürsten
Bismarck
Stenogr. Berichte 8. Mai 1880 S. 1269: "Mir sind Suggestio-
nen von anderer Seite und aus Hamburg gemacht, daß dieses ganze Freihafen-
recht Hamburgs kein Singularrecht sei, sondern daß der Art. 34 durch Gesetz,
wenn nicht 14 Stimmen widersprechen, aus der Welt geschafft werden könne.
Ich habe darauf mit großer Bestimmtheit und auch schriftlich nach Hamburg
erklärt, daß ich dieser Deduktion nicht beistimmen könne,
sondern daß das Recht auf den Freihafen nur mit Ham-
burgs Bewilligung aufhören könne
, und daß ich, so lange ich
mitzureden hätte, auch darüber wachen würde, daß es nicht eingeschränkt werde
auf kleinere Gränzen als diejenigen, welche nothwendig sind, damit es seiner
Bezeichnung in vollkommener und loyaler Weise entspreche." Vgl. ferner G.
Meyer Staatsrechtl. Erörterungen S. 73. Windthorst Stenogr. Berichte
S. 1082 und besonders Delbrück Stenogr. Berichte 1881 S. 396.
2) So namentlich Löning a. a. O. S. 366 und Lasker Stenogr.
Berichte 1880 S. 1085, desgleichen Windthorst ebendaselbst S. 1083.

§. 112. Die Einheit des Zollgebietes.
Exclaven des Art. 34 und denjenigen des Art. 33 Abſ. 1 der
R.V. 1).

Sodann iſt die Frage aufgeworfen worden, ob Art. 78 Abſ. 1
der R.V. bei einer Veränderung der Freihafenſtellung der beiden
Hanſeſtädte Anwendung finde, d. h. ob hierzu der Weg der ver-
faſſungsändernden Geſetzgebung beſchritten werden müſſe. Auf
den erſten Anſchein könnte man ſich für Bejahung der Frage ent-
ſcheiden, da eine Aenderung des Art. 34 doch ganz gewiß eine
Veränderung der Verfaſſung ſei 2). Allein dies beruht auf einer
Verkennung des Sinnes dieſes Artikels; er will nicht Bremen und
Hamburg vom Zollgebiet excludiren und ihre Freihafenſtellung an-
befehlen, ſondern er will ihnen den Einſchluß in die Zollgränze
ſo lange erlaſſen, bis ſie es beantragen. Art. 34 hat mit dem
zweiten Satz von Art. 33 Abſ. 1 das gemein, daß beide Ver-
faſſungsbeſtimungen Ausnahmen von dem im erſten Satz des Art. 33
an die Spitze geſtellten Prinzip zulaſſen; die Beſeitigung einer
dieſer Ausnahmen iſt ſonach keine Veränderung, ſondern eine voll-
ſtändigere Verwirklichung des oberſten verfaſſungsmäßigen Grund-
ſatzes. Art. 34 enthält keine objektive Rechtsregel, welche den im
Art. 33 an die Spitze geſtellten Grundſatz theilweiſe aufhebt, ſon-
dern ſie begründet ſubjektive Rechtsbefugniſſe, welche ſeine voll-
kommene Durchführung hindern können. Wenn die beiden Hanſe-

1) Sowohl in der Literatur als bei den parlamentariſchen Erörterungen
war das auch die überwiegende Anſicht; ſtatt aller andern Citate genügt die
folgende Aeußerung des kompetenteſten Beurtheilers der Frage, des Fürſten
Bismarck
Stenogr. Berichte 8. Mai 1880 S. 1269: „Mir ſind Suggeſtio-
nen von anderer Seite und aus Hamburg gemacht, daß dieſes ganze Freihafen-
recht Hamburgs kein Singularrecht ſei, ſondern daß der Art. 34 durch Geſetz,
wenn nicht 14 Stimmen widerſprechen, aus der Welt geſchafft werden könne.
Ich habe darauf mit großer Beſtimmtheit und auch ſchriftlich nach Hamburg
erklärt, daß ich dieſer Deduktion nicht beiſtimmen könne,
ſondern daß das Recht auf den Freihafen nur mit Ham-
burgs Bewilligung aufhören könne
, und daß ich, ſo lange ich
mitzureden hätte, auch darüber wachen würde, daß es nicht eingeſchränkt werde
auf kleinere Gränzen als diejenigen, welche nothwendig ſind, damit es ſeiner
Bezeichnung in vollkommener und loyaler Weiſe entſpreche.“ Vgl. ferner G.
Meyer Staatsrechtl. Erörterungen S. 73. Windthorſt Stenogr. Berichte
S. 1082 und beſonders Delbrück Stenogr. Berichte 1881 S. 396.
2) So namentlich Löning a. a. O. S. 366 und Lasker Stenogr.
Berichte 1880 S. 1085, desgleichen Windthorſt ebendaſelbſt S. 1083.
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[258/0268] §. 112. Die Einheit des Zollgebietes. Exclaven des Art. 34 und denjenigen des Art. 33 Abſ. 1 der R.V. 1). Sodann iſt die Frage aufgeworfen worden, ob Art. 78 Abſ. 1 der R.V. bei einer Veränderung der Freihafenſtellung der beiden Hanſeſtädte Anwendung finde, d. h. ob hierzu der Weg der ver- faſſungsändernden Geſetzgebung beſchritten werden müſſe. Auf den erſten Anſchein könnte man ſich für Bejahung der Frage ent- ſcheiden, da eine Aenderung des Art. 34 doch ganz gewiß eine Veränderung der Verfaſſung ſei 2). Allein dies beruht auf einer Verkennung des Sinnes dieſes Artikels; er will nicht Bremen und Hamburg vom Zollgebiet excludiren und ihre Freihafenſtellung an- befehlen, ſondern er will ihnen den Einſchluß in die Zollgränze ſo lange erlaſſen, bis ſie es beantragen. Art. 34 hat mit dem zweiten Satz von Art. 33 Abſ. 1 das gemein, daß beide Ver- faſſungsbeſtimungen Ausnahmen von dem im erſten Satz des Art. 33 an die Spitze geſtellten Prinzip zulaſſen; die Beſeitigung einer dieſer Ausnahmen iſt ſonach keine Veränderung, ſondern eine voll- ſtändigere Verwirklichung des oberſten verfaſſungsmäßigen Grund- ſatzes. Art. 34 enthält keine objektive Rechtsregel, welche den im Art. 33 an die Spitze geſtellten Grundſatz theilweiſe aufhebt, ſon- dern ſie begründet ſubjektive Rechtsbefugniſſe, welche ſeine voll- kommene Durchführung hindern können. Wenn die beiden Hanſe- 1) Sowohl in der Literatur als bei den parlamentariſchen Erörterungen war das auch die überwiegende Anſicht; ſtatt aller andern Citate genügt die folgende Aeußerung des kompetenteſten Beurtheilers der Frage, des Fürſten Bismarck Stenogr. Berichte 8. Mai 1880 S. 1269: „Mir ſind Suggeſtio- nen von anderer Seite und aus Hamburg gemacht, daß dieſes ganze Freihafen- recht Hamburgs kein Singularrecht ſei, ſondern daß der Art. 34 durch Geſetz, wenn nicht 14 Stimmen widerſprechen, aus der Welt geſchafft werden könne. Ich habe darauf mit großer Beſtimmtheit und auch ſchriftlich nach Hamburg erklärt, daß ich dieſer Deduktion nicht beiſtimmen könne, ſondern daß das Recht auf den Freihafen nur mit Ham- burgs Bewilligung aufhören könne, und daß ich, ſo lange ich mitzureden hätte, auch darüber wachen würde, daß es nicht eingeſchränkt werde auf kleinere Gränzen als diejenigen, welche nothwendig ſind, damit es ſeiner Bezeichnung in vollkommener und loyaler Weiſe entſpreche.“ Vgl. ferner G. Meyer Staatsrechtl. Erörterungen S. 73. Windthorſt Stenogr. Berichte S. 1082 und beſonders Delbrück Stenogr. Berichte 1881 S. 396. 2) So namentlich Löning a. a. O. S. 366 und Lasker Stenogr. Berichte 1880 S. 1085, desgleichen Windthorſt ebendaſelbſt S. 1083.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/268>, abgerufen am 17.05.2024.