Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 105. Die Zeugenpflicht.
sowenig giebt es eine rechtliche Unfähigkeit zur Erfüllung
derselben 1). Es kann zwar prozessualische Gründe geben,
wonach gewisse Personen überhaupt oder für besondere Fälle als
untauglich zur Erbringung eines Zeugenbeweises erachtet werden
und solange das Prozeßrecht der sogen. formellen Beweistheorie
folgte, gab es bekanntlich solche Gründe in erheblicher Zahl; der-
artige Vorschriften des Prozeßrechts über den Zeugenbeweis sind
aber wol zu unterscheiden von den Regeln des Staatsrechts über
die Zeugenpflicht.

2. Personen, welche sich im Auslande befinden,
sind nicht zeugenpflichtig, ohne Unterschied ob sie
reichsangehörig sind oder einem fremden Staat an-
gehören
; denn die inländische Gerichtsbarkeit erstreckt sich nicht
über die Gränzen des Bundesgebietes hinaus. Nur in denjenigen
Fällen, in denen ausnahmsweise im Auslande eine Gerichtsbarkeit
des Reiches oder der Bundesstaaten ausgeübt wird, besteht inner-
halb des Umfanges derselben auch eine Zeugenpflicht; diese Aus-
nahmen sind die Konsulargerichtsbarkeit 2) und die Gerichtsbarkeit
der Marine- und Militärgerichte, wenn Marinetheile oder Truppen-
körper sich im Auslande befinden.

Allerdings können auch Personen, die sich im Auslande auf-
halten, in den vor inländischen Gerichten schwebenden Rechtssachen
als Zeugen vernommen und zu diesem Zwecke entweder vor das
inländische Gericht (eventuell vor einen zur eidlichen Vernehmung
von Zeugen befugten Reichskonsul) geladen oder auf Grund einer
Requisition vor dem Gericht ihres Aufenthaltsortes verhört wer-
den. Allein im ersten Falle ist es von dem freien Willen des
Zeugen abhängig, ob er sich zum Zwecke seiner Vernehmung an
das inländische Gericht begeben will; einen Zwang kann das letz-
tere gegen ihn weder thatsächlich ausüben, noch ist es rechtlich dazu

1) Auch der wegen Meineids Verurtheilte ist im Falle des §. 161 des
Strafgesetzb. nicht unfähig zur Ablegung einer Zeugenaussage, sondern nur
zur Ableistung eines Zeugen eides. Vgl. Strafproc.O. §. 56 Ziff. 2 Civil-
proc.Ordn. §. 358 Ziff. 2. Dagegen kennt das Strafgesetzb. Art. 34 Ziff. 5
die Strafe der Unfähigkeit "Zeuge bei Aufnahme von Urkunden zu sein"; dies
ist aber kein Fall der gesetzlichen Zeugenpflicht, sondern der freiwilligen
Uebernahme einer Notariatsfunction (vertragsmäßigen Zeugenpflicht).
2) Konsulargerichtsbark.Ges. §. 14. 21.

§. 105. Die Zeugenpflicht.
ſowenig giebt es eine rechtliche Unfähigkeit zur Erfüllung
derſelben 1). Es kann zwar prozeſſualiſche Gründe geben,
wonach gewiſſe Perſonen überhaupt oder für beſondere Fälle als
untauglich zur Erbringung eines Zeugenbeweiſes erachtet werden
und ſolange das Prozeßrecht der ſogen. formellen Beweistheorie
folgte, gab es bekanntlich ſolche Gründe in erheblicher Zahl; der-
artige Vorſchriften des Prozeßrechts über den Zeugenbeweis ſind
aber wol zu unterſcheiden von den Regeln des Staatsrechts über
die Zeugenpflicht.

2. Perſonen, welche ſich im Auslande befinden,
ſind nicht zeugenpflichtig, ohne Unterſchied ob ſie
reichsangehörig ſind oder einem fremden Staat an-
gehören
; denn die inländiſche Gerichtsbarkeit erſtreckt ſich nicht
über die Gränzen des Bundesgebietes hinaus. Nur in denjenigen
Fällen, in denen ausnahmsweiſe im Auslande eine Gerichtsbarkeit
des Reiches oder der Bundesſtaaten ausgeübt wird, beſteht inner-
halb des Umfanges derſelben auch eine Zeugenpflicht; dieſe Aus-
nahmen ſind die Konſulargerichtsbarkeit 2) und die Gerichtsbarkeit
der Marine- und Militärgerichte, wenn Marinetheile oder Truppen-
körper ſich im Auslande befinden.

Allerdings können auch Perſonen, die ſich im Auslande auf-
halten, in den vor inländiſchen Gerichten ſchwebenden Rechtsſachen
als Zeugen vernommen und zu dieſem Zwecke entweder vor das
inländiſche Gericht (eventuell vor einen zur eidlichen Vernehmung
von Zeugen befugten Reichskonſul) geladen oder auf Grund einer
Requiſition vor dem Gericht ihres Aufenthaltsortes verhört wer-
den. Allein im erſten Falle iſt es von dem freien Willen des
Zeugen abhängig, ob er ſich zum Zwecke ſeiner Vernehmung an
das inländiſche Gericht begeben will; einen Zwang kann das letz-
tere gegen ihn weder thatſächlich ausüben, noch iſt es rechtlich dazu

1) Auch der wegen Meineids Verurtheilte iſt im Falle des §. 161 des
Strafgeſetzb. nicht unfähig zur Ablegung einer Zeugenausſage, ſondern nur
zur Ableiſtung eines Zeugen eides. Vgl. Strafproc.O. §. 56 Ziff. 2 Civil-
proc.Ordn. §. 358 Ziff. 2. Dagegen kennt das Strafgeſetzb. Art. 34 Ziff. 5
die Strafe der Unfähigkeit „Zeuge bei Aufnahme von Urkunden zu ſein“; dies
iſt aber kein Fall der geſetzlichen Zeugenpflicht, ſondern der freiwilligen
Uebernahme einer Notariatsfunction (vertragsmäßigen Zeugenpflicht).
2) Konſulargerichtsbark.Geſ. §. 14. 21.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0177" n="167"/><fw place="top" type="header">§. 105. Die Zeugenpflicht.</fw><lb/>
&#x017F;owenig giebt es eine <hi rendition="#g">rechtliche Unfähigkeit</hi> zur Erfüllung<lb/>
der&#x017F;elben <note place="foot" n="1)">Auch der wegen Meineids Verurtheilte i&#x017F;t im Falle des §. 161 des<lb/>
Strafge&#x017F;etzb. nicht unfähig zur Ablegung einer Zeugenaus&#x017F;age, &#x017F;ondern nur<lb/>
zur Ablei&#x017F;tung eines Zeugen <hi rendition="#g">eides</hi>. Vgl. Strafproc.O. §. 56 Ziff. 2 Civil-<lb/>
proc.Ordn. §. 358 Ziff. 2. Dagegen kennt das Strafge&#x017F;etzb. Art. 34 Ziff. 5<lb/>
die Strafe der Unfähigkeit &#x201E;Zeuge bei Aufnahme von Urkunden zu &#x017F;ein&#x201C;; dies<lb/>
i&#x017F;t aber kein Fall der <hi rendition="#g">ge&#x017F;etzlichen</hi> Zeugenpflicht, &#x017F;ondern der freiwilligen<lb/>
Uebernahme einer Notariatsfunction (<hi rendition="#g">vertragsmäßigen</hi> Zeugenpflicht).</note>. Es kann zwar <hi rendition="#g">proze&#x017F;&#x017F;uali&#x017F;che</hi> Gründe geben,<lb/>
wonach gewi&#x017F;&#x017F;e Per&#x017F;onen überhaupt oder für be&#x017F;ondere Fälle als<lb/>
untauglich zur Erbringung eines Zeugenbewei&#x017F;es erachtet werden<lb/>
und &#x017F;olange das Prozeßrecht der &#x017F;ogen. formellen Beweistheorie<lb/>
folgte, gab es bekanntlich &#x017F;olche Gründe in erheblicher Zahl; der-<lb/>
artige Vor&#x017F;chriften des Prozeßrechts über den Zeugenbeweis &#x017F;ind<lb/>
aber wol zu unter&#x017F;cheiden von den Regeln des Staatsrechts über<lb/>
die Zeugenpflicht.</p><lb/>
          <p>2. <hi rendition="#g">Per&#x017F;onen, welche &#x017F;ich im Auslande befinden,<lb/>
&#x017F;ind nicht zeugenpflichtig, ohne Unter&#x017F;chied ob &#x017F;ie<lb/>
reichsangehörig &#x017F;ind oder einem fremden Staat an-<lb/>
gehören</hi>; denn die inländi&#x017F;che Gerichtsbarkeit er&#x017F;treckt &#x017F;ich nicht<lb/>
über die Gränzen des Bundesgebietes hinaus. Nur in denjenigen<lb/>
Fällen, in denen ausnahmswei&#x017F;e im Auslande eine Gerichtsbarkeit<lb/>
des Reiches oder der Bundes&#x017F;taaten ausgeübt wird, be&#x017F;teht inner-<lb/>
halb des Umfanges der&#x017F;elben auch eine Zeugenpflicht; die&#x017F;e Aus-<lb/>
nahmen &#x017F;ind die Kon&#x017F;ulargerichtsbarkeit <note place="foot" n="2)">Kon&#x017F;ulargerichtsbark.Ge&#x017F;. §. 14. 21.</note> und die Gerichtsbarkeit<lb/>
der Marine- und Militärgerichte, wenn Marinetheile oder Truppen-<lb/>
körper &#x017F;ich im Auslande befinden.</p><lb/>
          <p>Allerdings können auch Per&#x017F;onen, die &#x017F;ich im Auslande auf-<lb/>
halten, in den vor inländi&#x017F;chen Gerichten &#x017F;chwebenden Rechts&#x017F;achen<lb/>
als Zeugen vernommen und zu die&#x017F;em Zwecke entweder vor das<lb/>
inländi&#x017F;che Gericht (eventuell vor einen zur eidlichen Vernehmung<lb/>
von Zeugen befugten Reichskon&#x017F;ul) geladen oder auf Grund einer<lb/>
Requi&#x017F;ition vor dem Gericht ihres Aufenthaltsortes verhört wer-<lb/>
den. Allein im er&#x017F;ten Falle i&#x017F;t es von dem freien Willen des<lb/>
Zeugen abhängig, ob er &#x017F;ich zum Zwecke &#x017F;einer Vernehmung an<lb/>
das inländi&#x017F;che Gericht begeben will; einen Zwang kann das letz-<lb/>
tere gegen ihn weder that&#x017F;ächlich ausüben, noch i&#x017F;t es rechtlich dazu<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[167/0177] §. 105. Die Zeugenpflicht. ſowenig giebt es eine rechtliche Unfähigkeit zur Erfüllung derſelben 1). Es kann zwar prozeſſualiſche Gründe geben, wonach gewiſſe Perſonen überhaupt oder für beſondere Fälle als untauglich zur Erbringung eines Zeugenbeweiſes erachtet werden und ſolange das Prozeßrecht der ſogen. formellen Beweistheorie folgte, gab es bekanntlich ſolche Gründe in erheblicher Zahl; der- artige Vorſchriften des Prozeßrechts über den Zeugenbeweis ſind aber wol zu unterſcheiden von den Regeln des Staatsrechts über die Zeugenpflicht. 2. Perſonen, welche ſich im Auslande befinden, ſind nicht zeugenpflichtig, ohne Unterſchied ob ſie reichsangehörig ſind oder einem fremden Staat an- gehören; denn die inländiſche Gerichtsbarkeit erſtreckt ſich nicht über die Gränzen des Bundesgebietes hinaus. Nur in denjenigen Fällen, in denen ausnahmsweiſe im Auslande eine Gerichtsbarkeit des Reiches oder der Bundesſtaaten ausgeübt wird, beſteht inner- halb des Umfanges derſelben auch eine Zeugenpflicht; dieſe Aus- nahmen ſind die Konſulargerichtsbarkeit 2) und die Gerichtsbarkeit der Marine- und Militärgerichte, wenn Marinetheile oder Truppen- körper ſich im Auslande befinden. Allerdings können auch Perſonen, die ſich im Auslande auf- halten, in den vor inländiſchen Gerichten ſchwebenden Rechtsſachen als Zeugen vernommen und zu dieſem Zwecke entweder vor das inländiſche Gericht (eventuell vor einen zur eidlichen Vernehmung von Zeugen befugten Reichskonſul) geladen oder auf Grund einer Requiſition vor dem Gericht ihres Aufenthaltsortes verhört wer- den. Allein im erſten Falle iſt es von dem freien Willen des Zeugen abhängig, ob er ſich zum Zwecke ſeiner Vernehmung an das inländiſche Gericht begeben will; einen Zwang kann das letz- tere gegen ihn weder thatſächlich ausüben, noch iſt es rechtlich dazu 1) Auch der wegen Meineids Verurtheilte iſt im Falle des §. 161 des Strafgeſetzb. nicht unfähig zur Ablegung einer Zeugenausſage, ſondern nur zur Ableiſtung eines Zeugen eides. Vgl. Strafproc.O. §. 56 Ziff. 2 Civil- proc.Ordn. §. 358 Ziff. 2. Dagegen kennt das Strafgeſetzb. Art. 34 Ziff. 5 die Strafe der Unfähigkeit „Zeuge bei Aufnahme von Urkunden zu ſein“; dies iſt aber kein Fall der geſetzlichen Zeugenpflicht, ſondern der freiwilligen Uebernahme einer Notariatsfunction (vertragsmäßigen Zeugenpflicht). 2) Konſulargerichtsbark.Geſ. §. 14. 21.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/177
Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0302_1882/177>, abgerufen am 22.11.2024.