Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 2. Freiburg (Breisgau) u. a., 1882.§. 105. Die Zeugenpflicht. lediglich der Reflex eines Zwanges, den die Staatsgewalt zumZweck der Handhabung des Rechtsschutzes ausübt, sie ist ein An- wendungsfall des Gehorsams gegen die Gerichtsgewalt. Nicht die persönliche Staats- oder Reichsangehörigkeit ist eine Voraus- setzung der Zeugenpflicht, sondern dieselbe trifft jeden, der that- sächlich d. h. räumlich der Staatsgewalt unterworfen ist. Es ergeben sich hieraus folgende Consequenzen: 1. Personen, welche sich im Inlande aufhalten, So wenig es Befreiungen von der Zeugenpflicht giebt, eben- 1) Vgl. oben S. 39 ff. Vgl. Motive zum Gerichtsverf.Ges. S. 56. (Hahn S. 65 a. E.) 2) Für die Vernehmung der Landesherren und der Mitglieder der landes-
herrlichen Familien ist in der Strafproz.Ordn. §. 71 und in der Civilproz.O. §. 340 ein besonderes Verfahren angeordnet oder gestattet Durch diese Vor- schriften wird keine staatsrechtliche Zeugenpflicht dieser Personen d. h. die Zulässigkeit eines staatlichen Zwanges gegen dieselben anerkannt, sondern nur eine Abweichung von dem gewöhnlichen Verfahren für den Fall eingeführt, daß eine der erwähnten Personen geneigt ist, eine Zeugenaussage zu machen. In der Literatur über die Reichsprozeß-Ordnungen wird dies durchweg über- sehen, aber wol nur, weil hier die staatsrechtlichen Gesichtspunkte gegenüber den prozeßrechtlichen überhaupt zu kurz kommen. §. 105. Die Zeugenpflicht. lediglich der Reflex eines Zwanges, den die Staatsgewalt zumZweck der Handhabung des Rechtsſchutzes ausübt, ſie iſt ein An- wendungsfall des Gehorſams gegen die Gerichtsgewalt. Nicht die perſönliche Staats- oder Reichsangehörigkeit iſt eine Voraus- ſetzung der Zeugenpflicht, ſondern dieſelbe trifft jeden, der that- ſächlich d. h. räumlich der Staatsgewalt unterworfen iſt. Es ergeben ſich hieraus folgende Conſequenzen: 1. Perſonen, welche ſich im Inlande aufhalten, So wenig es Befreiungen von der Zeugenpflicht giebt, eben- 1) Vgl. oben S. 39 ff. Vgl. Motive zum Gerichtsverf.Geſ. S. 56. (Hahn S. 65 a. E.) 2) Für die Vernehmung der Landesherren und der Mitglieder der landes-
herrlichen Familien iſt in der Strafproz.Ordn. §. 71 und in der Civilproz.O. §. 340 ein beſonderes Verfahren angeordnet oder geſtattet Durch dieſe Vor- ſchriften wird keine ſtaatsrechtliche Zeugenpflicht dieſer Perſonen d. h. die Zuläſſigkeit eines ſtaatlichen Zwanges gegen dieſelben anerkannt, ſondern nur eine Abweichung von dem gewöhnlichen Verfahren für den Fall eingeführt, daß eine der erwähnten Perſonen geneigt iſt, eine Zeugenausſage zu machen. In der Literatur über die Reichsprozeß-Ordnungen wird dies durchweg über- ſehen, aber wol nur, weil hier die ſtaatsrechtlichen Geſichtspunkte gegenüber den prozeßrechtlichen überhaupt zu kurz kommen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0176" n="166"/><fw place="top" type="header">§. 105. Die Zeugenpflicht.</fw><lb/> lediglich der Reflex eines Zwanges, den die Staatsgewalt zum<lb/> Zweck der Handhabung des Rechtsſchutzes ausübt, ſie iſt ein An-<lb/> wendungsfall des Gehorſams gegen die Gerichtsgewalt. Nicht die<lb/><hi rendition="#g">perſönliche</hi> Staats- oder Reichsangehörigkeit iſt eine Voraus-<lb/> ſetzung der Zeugenpflicht, ſondern dieſelbe trifft jeden, der that-<lb/> ſächlich d. h. <hi rendition="#g">räumlich</hi> der Staatsgewalt unterworfen iſt. Es<lb/> ergeben ſich hieraus folgende Conſequenzen:</p><lb/> <p>1. <hi rendition="#g">Perſonen, welche ſich im Inlande aufhalten,<lb/> ſind zeugenpflichtig, gleichviel ob ſie reichsange-<lb/> hörig oder fremd ſind</hi>. Hiervon ſind nur diejenigen Per-<lb/> ſonen ausgenommen, welche von der Gerichtsgewalt eximirt ſind;<lb/> das ſind die Landesherren und die Mitglieder der landesherrlichen<lb/> Familien, denen die fürſtliche Familie Hohenzollern gleichgeſtellt<lb/> iſt, und die Chefs und Mitglieder der beim Deutſchen Reich be-<lb/> glaubigten Miſſionen nach näherer Anordnung der §§. 18—21<lb/> des Gerichtsverfaſſungsgeſetzes <note place="foot" n="1)">Vgl. oben S. 39 ff. Vgl. Motive zum Gerichtsverf.Geſ. S. 56. (Hahn<lb/> S. 65 a. E.)</note>. Durch dieſe auf der ſtaats-<lb/> rechtlichen oder völkerrechtlichen Stellung der erwähnten Perſonen<lb/> beruhenden Exemtion wird aber ſelbſtverſtändlich nicht ausgeſchloſſen,<lb/> daß ſie als Zeugen <hi rendition="#g">vernommen werden können</hi>, wenn ſie<lb/> dazu ſich bereit finden laſſen <note place="foot" n="2)">Für die Vernehmung der Landesherren und der Mitglieder der landes-<lb/> herrlichen Familien iſt in der Strafproz.Ordn. §. 71 und in der Civilproz.O.<lb/> §. 340 ein beſonderes Verfahren angeordnet oder geſtattet Durch dieſe Vor-<lb/> ſchriften wird keine ſtaatsrechtliche Zeuge<hi rendition="#g">npflicht</hi> dieſer Perſonen d. h. die<lb/> Zuläſſigkeit eines ſtaatlichen Zwanges gegen dieſelben anerkannt, ſondern nur<lb/> eine Abweichung von dem gewöhnlichen <hi rendition="#g">Verfahren</hi> für den Fall eingeführt,<lb/> daß eine der erwähnten Perſonen geneigt iſt, eine Zeugenausſage zu machen.<lb/> In der Literatur über die Reichsprozeß-Ordnungen wird dies durchweg über-<lb/> ſehen, aber wol nur, weil hier die ſtaatsrechtlichen Geſichtspunkte gegenüber<lb/> den prozeßrechtlichen überhaupt zu kurz kommen.</note>. Abgeſehen von dieſen Perſonen<lb/> giebt es <hi rendition="#g">keine Befreiungen</hi> von der Zeugenpflicht <hi rendition="#aq">in ab-<lb/> stracto,</hi> d. h. keine perſönliche Exemtion von der allgemeinen Ver-<lb/> pflichtung, dem Befehle der Gerichte zur Ablegung eines Zeugniſſes<lb/> zu gehorchen; die Fälle, in welchen eine Verweigerung des Zeug-<lb/> niſſes geſtattet iſt, treffen nicht die Zeugenpflicht, ſondern ſetzen<lb/> beſondere Umſtände der concreten Prozeßſache voraus.</p><lb/> <p>So wenig es Befreiungen von der Zeugenpflicht giebt, eben-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [166/0176]
§. 105. Die Zeugenpflicht.
lediglich der Reflex eines Zwanges, den die Staatsgewalt zum
Zweck der Handhabung des Rechtsſchutzes ausübt, ſie iſt ein An-
wendungsfall des Gehorſams gegen die Gerichtsgewalt. Nicht die
perſönliche Staats- oder Reichsangehörigkeit iſt eine Voraus-
ſetzung der Zeugenpflicht, ſondern dieſelbe trifft jeden, der that-
ſächlich d. h. räumlich der Staatsgewalt unterworfen iſt. Es
ergeben ſich hieraus folgende Conſequenzen:
1. Perſonen, welche ſich im Inlande aufhalten,
ſind zeugenpflichtig, gleichviel ob ſie reichsange-
hörig oder fremd ſind. Hiervon ſind nur diejenigen Per-
ſonen ausgenommen, welche von der Gerichtsgewalt eximirt ſind;
das ſind die Landesherren und die Mitglieder der landesherrlichen
Familien, denen die fürſtliche Familie Hohenzollern gleichgeſtellt
iſt, und die Chefs und Mitglieder der beim Deutſchen Reich be-
glaubigten Miſſionen nach näherer Anordnung der §§. 18—21
des Gerichtsverfaſſungsgeſetzes 1). Durch dieſe auf der ſtaats-
rechtlichen oder völkerrechtlichen Stellung der erwähnten Perſonen
beruhenden Exemtion wird aber ſelbſtverſtändlich nicht ausgeſchloſſen,
daß ſie als Zeugen vernommen werden können, wenn ſie
dazu ſich bereit finden laſſen 2). Abgeſehen von dieſen Perſonen
giebt es keine Befreiungen von der Zeugenpflicht in ab-
stracto, d. h. keine perſönliche Exemtion von der allgemeinen Ver-
pflichtung, dem Befehle der Gerichte zur Ablegung eines Zeugniſſes
zu gehorchen; die Fälle, in welchen eine Verweigerung des Zeug-
niſſes geſtattet iſt, treffen nicht die Zeugenpflicht, ſondern ſetzen
beſondere Umſtände der concreten Prozeßſache voraus.
So wenig es Befreiungen von der Zeugenpflicht giebt, eben-
1) Vgl. oben S. 39 ff. Vgl. Motive zum Gerichtsverf.Geſ. S. 56. (Hahn
S. 65 a. E.)
2) Für die Vernehmung der Landesherren und der Mitglieder der landes-
herrlichen Familien iſt in der Strafproz.Ordn. §. 71 und in der Civilproz.O.
§. 340 ein beſonderes Verfahren angeordnet oder geſtattet Durch dieſe Vor-
ſchriften wird keine ſtaatsrechtliche Zeugenpflicht dieſer Perſonen d. h. die
Zuläſſigkeit eines ſtaatlichen Zwanges gegen dieſelben anerkannt, ſondern nur
eine Abweichung von dem gewöhnlichen Verfahren für den Fall eingeführt,
daß eine der erwähnten Perſonen geneigt iſt, eine Zeugenausſage zu machen.
In der Literatur über die Reichsprozeß-Ordnungen wird dies durchweg über-
ſehen, aber wol nur, weil hier die ſtaatsrechtlichen Geſichtspunkte gegenüber
den prozeßrechtlichen überhaupt zu kurz kommen.
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