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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 1. Tübingen, 1880.

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§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.
fehlshaber über. Die Civilverwaltungs- und Gemeindebehörden
haben den Anordnungen und Aufträgen der Militairbefehlshaber
Folge zu leisten." (§. 4 Abs. 1.) Dadurch werden alle Civilbe-
hörden des Staates und alle Gemeindebehörden zu Unterbehörden
und Vollzugsorganen der Militairkommandanten gemacht; die An-
ordnungen der letzteren sind auszuführen ohne Rücksicht und ohne
Prüfung, ob dieselben nach den Gesetzen zulässig sind; die unbe-
dingte Gehorsamspflicht der Civilbehörden entbindet dieselben anderer-
seits von jeder Verantwortlichkeit für die Gesetzmäßigkeit der Maß-
regeln 1); die Militairbefehlshaber tragen dieselbe für alle von
ihnen ausgehenden Anordnungen persönlich (§. 4 Abs. 2).

b) Die Militairpersonen stehen während des Belage-
rungszustandes unter den Gesetzen, welche für den Kriegszustand
ertheilt sind 2) und der Befehlshaber der Besatzung hat über sämmt-
liche zu der letzteren gehörende Militairpersonen die höhere Ge-
richtsbarkeit (§§. 6 und 7).

g) Gewisse strafbare Handlungen sind mit härterer
Strafe bedroht, wenn sie in einem in Belagerungszustand erklärten
Orte oder Distrikte verübt werden. Die im §. 8 des Preuß. Ge-
setzes hierüber enthaltenen Bestimmungen haben aber keine Geltung
mehr, da sie durch ein Reichsgesetz ersetzt worden sind, nämlich
durch das Einführungs-Gesetz zum Strafgesetzbuch vom
31. Mai 1870 §. 4. Darnach sind die in den §§. 81 (Hochver-
rath) 88 (Landesverrath) 90 (Kriegsverrath) 307 (Brandstiftung)
311. 312. 315. 322. 323. 324 (andere gemeingefährliche Verbrechen)
des St.G.B.'s mit lebenslänglichem Zuchthaus bedrohten Ver-
brechen mit dem Tode zu bestrafen, wenn sie in einem Theile
des Bundesgebietes, welchen der Kaiser in Kriegszustand erklärt
hat, begangen werden 3). Dagegen ist §. 9 des Preuß. Gesetzes
vom 4. Juni 1851 nicht aufgehoben, welcher für die daselbst an-

1) Siehe Bd. I S. 423 ff.
2) Militair-Strafgesetzb. §. 9 Ziff. 2 u. 3.
3) Die Todesstrafe tritt nur an Stelle der lebenslänglichen Zuchthausstrafe;
auf sie darf also nicht erkannt werden, wenn -- ohne die Verhängung des
Kriegszustandes -- auf eine niedrigere Strafe als lebenslängl. Zuchthaus zu er-
kennen wäre. Für diese Fälle bleiben die Strafdrohungen des Strafgesetzb.
auch während des Belagerungszustandes unverändert. Vgl. Oppenhoff.
Strafgesetzb. (5. Aufl.) Note 7 zu §. 4 cit.

§. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches.
fehlshaber über. Die Civilverwaltungs- und Gemeindebehörden
haben den Anordnungen und Aufträgen der Militairbefehlshaber
Folge zu leiſten.“ (§. 4 Abſ. 1.) Dadurch werden alle Civilbe-
hörden des Staates und alle Gemeindebehörden zu Unterbehörden
und Vollzugsorganen der Militairkommandanten gemacht; die An-
ordnungen der letzteren ſind auszuführen ohne Rückſicht und ohne
Prüfung, ob dieſelben nach den Geſetzen zuläſſig ſind; die unbe-
dingte Gehorſamspflicht der Civilbehörden entbindet dieſelben anderer-
ſeits von jeder Verantwortlichkeit für die Geſetzmäßigkeit der Maß-
regeln 1); die Militairbefehlshaber tragen dieſelbe für alle von
ihnen ausgehenden Anordnungen perſönlich (§. 4 Abſ. 2).

β) Die Militairperſonen ſtehen während des Belage-
rungszuſtandes unter den Geſetzen, welche für den Kriegszuſtand
ertheilt ſind 2) und der Befehlshaber der Beſatzung hat über ſämmt-
liche zu der letzteren gehörende Militairperſonen die höhere Ge-
richtsbarkeit (§§. 6 und 7).

γ) Gewiſſe ſtrafbare Handlungen ſind mit härterer
Strafe bedroht, wenn ſie in einem in Belagerungszuſtand erklärten
Orte oder Diſtrikte verübt werden. Die im §. 8 des Preuß. Ge-
ſetzes hierüber enthaltenen Beſtimmungen haben aber keine Geltung
mehr, da ſie durch ein Reichsgeſetz erſetzt worden ſind, nämlich
durch das Einführungs-Geſetz zum Strafgeſetzbuch vom
31. Mai 1870 §. 4. Darnach ſind die in den §§. 81 (Hochver-
rath) 88 (Landesverrath) 90 (Kriegsverrath) 307 (Brandſtiftung)
311. 312. 315. 322. 323. 324 (andere gemeingefährliche Verbrechen)
des St.G.B.’s mit lebenslänglichem Zuchthaus bedrohten Ver-
brechen mit dem Tode zu beſtrafen, wenn ſie in einem Theile
des Bundesgebietes, welchen der Kaiſer in Kriegszuſtand erklärt
hat, begangen werden 3). Dagegen iſt §. 9 des Preuß. Geſetzes
vom 4. Juni 1851 nicht aufgehoben, welcher für die daſelbſt an-

1) Siehe Bd. I S. 423 ff.
2) Militair-Strafgeſetzb. §. 9 Ziff. 2 u. 3.
3) Die Todesſtrafe tritt nur an Stelle der lebenslänglichen Zuchthausſtrafe;
auf ſie darf alſo nicht erkannt werden, wenn — ohne die Verhängung des
Kriegszuſtandes — auf eine niedrigere Strafe als lebenslängl. Zuchthaus zu er-
kennen wäre. Für dieſe Fälle bleiben die Strafdrohungen des Strafgeſetzb.
auch während des Belagerungszuſtandes unverändert. Vgl. Oppenhoff.
Strafgeſetzb. (5. Aufl.) Note 7 zu §. 4 cit.
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[44/0054] §. 79. Der Oberbefehl über die bewaffnete Macht des Reiches. fehlshaber über. Die Civilverwaltungs- und Gemeindebehörden haben den Anordnungen und Aufträgen der Militairbefehlshaber Folge zu leiſten.“ (§. 4 Abſ. 1.) Dadurch werden alle Civilbe- hörden des Staates und alle Gemeindebehörden zu Unterbehörden und Vollzugsorganen der Militairkommandanten gemacht; die An- ordnungen der letzteren ſind auszuführen ohne Rückſicht und ohne Prüfung, ob dieſelben nach den Geſetzen zuläſſig ſind; die unbe- dingte Gehorſamspflicht der Civilbehörden entbindet dieſelben anderer- ſeits von jeder Verantwortlichkeit für die Geſetzmäßigkeit der Maß- regeln 1); die Militairbefehlshaber tragen dieſelbe für alle von ihnen ausgehenden Anordnungen perſönlich (§. 4 Abſ. 2). β) Die Militairperſonen ſtehen während des Belage- rungszuſtandes unter den Geſetzen, welche für den Kriegszuſtand ertheilt ſind 2) und der Befehlshaber der Beſatzung hat über ſämmt- liche zu der letzteren gehörende Militairperſonen die höhere Ge- richtsbarkeit (§§. 6 und 7). γ) Gewiſſe ſtrafbare Handlungen ſind mit härterer Strafe bedroht, wenn ſie in einem in Belagerungszuſtand erklärten Orte oder Diſtrikte verübt werden. Die im §. 8 des Preuß. Ge- ſetzes hierüber enthaltenen Beſtimmungen haben aber keine Geltung mehr, da ſie durch ein Reichsgeſetz erſetzt worden ſind, nämlich durch das Einführungs-Geſetz zum Strafgeſetzbuch vom 31. Mai 1870 §. 4. Darnach ſind die in den §§. 81 (Hochver- rath) 88 (Landesverrath) 90 (Kriegsverrath) 307 (Brandſtiftung) 311. 312. 315. 322. 323. 324 (andere gemeingefährliche Verbrechen) des St.G.B.’s mit lebenslänglichem Zuchthaus bedrohten Ver- brechen mit dem Tode zu beſtrafen, wenn ſie in einem Theile des Bundesgebietes, welchen der Kaiſer in Kriegszuſtand erklärt hat, begangen werden 3). Dagegen iſt §. 9 des Preuß. Geſetzes vom 4. Juni 1851 nicht aufgehoben, welcher für die daſelbſt an- 1) Siehe Bd. I S. 423 ff. 2) Militair-Strafgeſetzb. §. 9 Ziff. 2 u. 3. 3) Die Todesſtrafe tritt nur an Stelle der lebenslänglichen Zuchthausſtrafe; auf ſie darf alſo nicht erkannt werden, wenn — ohne die Verhängung des Kriegszuſtandes — auf eine niedrigere Strafe als lebenslängl. Zuchthaus zu er- kennen wäre. Für dieſe Fälle bleiben die Strafdrohungen des Strafgeſetzb. auch während des Belagerungszuſtandes unverändert. Vgl. Oppenhoff. Strafgeſetzb. (5. Aufl.) Note 7 zu §. 4 cit.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 1. Tübingen, 1880, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0301_1880/54>, abgerufen am 24.11.2024.