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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 1. Tübingen, 1880.

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§. 77. Allgemeine Prinzipien.
mando, in der Ausbildung der Mannschaften, sowie in der Quali-
fikation der Offiziere hergestellt wird; er soll die Befugniß haben
diejenigen Kommando's, unter welchen mehr als ein Kontingent
steht, zu besetzen; er soll die kriegsbereite Aufstellung jedes Theils
der Bundesarmee anordnen dürfen und die Bundesregierungen
sollen sich verpflichten, "eine solche Anordnung in Betreff ihrer
Kontingente unverzüglich auszuführen." Für das Bundesheer soll
ein gemeinschaftliches Militairbudget mit der Nationalvertretung
vereinbart werden; die Ausgaben sollen durch Matrikularbeiträge
der Staaten nach Maßgabe ihrer Bevölkerung gedeckt werden; Er-
sparnisse sollen nicht der einzelnen Regierung, welche sie macht,
sondern dem Bundeskriegsschatze zufallen. Die Wortfassung der
geltenden Reichsverfassung zeigt an vielen Stellen ihre Abstammung
aus jenen Grundzügen vom 10. Juni 1866; die Anordnungen der
R.V. sind zwar sehr viel genauer und vollständiger, in keiner Be-
ziehung aber prinzipiell verschieden.

Als oberstes Prinzip der Militairverfassung des deutschen
Reiches ist daher der Satz festzuhalten: Es giebt kein Heer
des Reiches, sondern nur Kontingente der Einzel-
staaten
. Wenn der Art. 63 der Reichsverf. den Satz an die
Spitze stellt: "die gesammte Landmacht des Reichs wird ein ein-
heitliches
Heer bilden, welches in Krieg und Frieden unter dem
Befehl des Kaisers steht", so hat dies einen völlig anderen juristi-
schen Sinn, als wenn der Art. 53 der Reichsverf. sagt: "die
Kriegsmarine des Reichs ist eine einheitliche unter dem Ober-
befehl des Kaisers." Die Einheit der Kriegsmarine ist eine innere
untheilbare, durch Begriff und Wesen gebotene, die Reichsarmee
dagegen ist eine zusammengesetzte Einheit; die "Einheitlichkeit" der
Landmacht des Reiches hebt die gesonderte Existenz der Contingente
der einzelnen Staaten nicht auf, sondern sie bedeutet lediglich das
Band, welches diese verschiedenen Kontingente zusammenhält. Die
Einheit ist bei der Marine Consequenz, bei dem Heer Modifikation
des Grundprinzips. Die Contingente der einzelnen Bundesstaaten
werden zum einheitlichen Heere zusammengefaßt durch drei, unten
noch näher zu erörternde Einrichtungen, nämlich durch den Ober-
befehl des Kaisers in Krieg und Frieden, durch die völlig über-
einstimmende gleichmäßige Organisation, Bewaffnung, Ausbildung
u. s. w. und durch die Bestreitung der gesammten Kosten aus

§. 77. Allgemeine Prinzipien.
mando, in der Ausbildung der Mannſchaften, ſowie in der Quali-
fikation der Offiziere hergeſtellt wird; er ſoll die Befugniß haben
diejenigen Kommando’s, unter welchen mehr als ein Kontingent
ſteht, zu beſetzen; er ſoll die kriegsbereite Aufſtellung jedes Theils
der Bundesarmee anordnen dürfen und die Bundesregierungen
ſollen ſich verpflichten, „eine ſolche Anordnung in Betreff ihrer
Kontingente unverzüglich auszuführen.“ Für das Bundesheer ſoll
ein gemeinſchaftliches Militairbudget mit der Nationalvertretung
vereinbart werden; die Ausgaben ſollen durch Matrikularbeiträge
der Staaten nach Maßgabe ihrer Bevölkerung gedeckt werden; Er-
ſparniſſe ſollen nicht der einzelnen Regierung, welche ſie macht,
ſondern dem Bundeskriegsſchatze zufallen. Die Wortfaſſung der
geltenden Reichsverfaſſung zeigt an vielen Stellen ihre Abſtammung
aus jenen Grundzügen vom 10. Juni 1866; die Anordnungen der
R.V. ſind zwar ſehr viel genauer und vollſtändiger, in keiner Be-
ziehung aber prinzipiell verſchieden.

Als oberſtes Prinzip der Militairverfaſſung des deutſchen
Reiches iſt daher der Satz feſtzuhalten: Es giebt kein Heer
des Reiches, ſondern nur Kontingente der Einzel-
ſtaaten
. Wenn der Art. 63 der Reichsverf. den Satz an die
Spitze ſtellt: „die geſammte Landmacht des Reichs wird ein ein-
heitliches
Heer bilden, welches in Krieg und Frieden unter dem
Befehl des Kaiſers ſteht“, ſo hat dies einen völlig anderen juriſti-
ſchen Sinn, als wenn der Art. 53 der Reichsverf. ſagt: „die
Kriegsmarine des Reichs iſt eine einheitliche unter dem Ober-
befehl des Kaiſers.“ Die Einheit der Kriegsmarine iſt eine innere
untheilbare, durch Begriff und Weſen gebotene, die Reichsarmee
dagegen iſt eine zuſammengeſetzte Einheit; die „Einheitlichkeit“ der
Landmacht des Reiches hebt die geſonderte Exiſtenz der Contingente
der einzelnen Staaten nicht auf, ſondern ſie bedeutet lediglich das
Band, welches dieſe verſchiedenen Kontingente zuſammenhält. Die
Einheit iſt bei der Marine Conſequenz, bei dem Heer Modifikation
des Grundprinzips. Die Contingente der einzelnen Bundesſtaaten
werden zum einheitlichen Heere zuſammengefaßt durch drei, unten
noch näher zu erörternde Einrichtungen, nämlich durch den Ober-
befehl des Kaiſers in Krieg und Frieden, durch die völlig über-
einſtimmende gleichmäßige Organiſation, Bewaffnung, Ausbildung
u. ſ. w. und durch die Beſtreitung der geſammten Koſten aus

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[6/0016] §. 77. Allgemeine Prinzipien. mando, in der Ausbildung der Mannſchaften, ſowie in der Quali- fikation der Offiziere hergeſtellt wird; er ſoll die Befugniß haben diejenigen Kommando’s, unter welchen mehr als ein Kontingent ſteht, zu beſetzen; er ſoll die kriegsbereite Aufſtellung jedes Theils der Bundesarmee anordnen dürfen und die Bundesregierungen ſollen ſich verpflichten, „eine ſolche Anordnung in Betreff ihrer Kontingente unverzüglich auszuführen.“ Für das Bundesheer ſoll ein gemeinſchaftliches Militairbudget mit der Nationalvertretung vereinbart werden; die Ausgaben ſollen durch Matrikularbeiträge der Staaten nach Maßgabe ihrer Bevölkerung gedeckt werden; Er- ſparniſſe ſollen nicht der einzelnen Regierung, welche ſie macht, ſondern dem Bundeskriegsſchatze zufallen. Die Wortfaſſung der geltenden Reichsverfaſſung zeigt an vielen Stellen ihre Abſtammung aus jenen Grundzügen vom 10. Juni 1866; die Anordnungen der R.V. ſind zwar ſehr viel genauer und vollſtändiger, in keiner Be- ziehung aber prinzipiell verſchieden. Als oberſtes Prinzip der Militairverfaſſung des deutſchen Reiches iſt daher der Satz feſtzuhalten: Es giebt kein Heer des Reiches, ſondern nur Kontingente der Einzel- ſtaaten. Wenn der Art. 63 der Reichsverf. den Satz an die Spitze ſtellt: „die geſammte Landmacht des Reichs wird ein ein- heitliches Heer bilden, welches in Krieg und Frieden unter dem Befehl des Kaiſers ſteht“, ſo hat dies einen völlig anderen juriſti- ſchen Sinn, als wenn der Art. 53 der Reichsverf. ſagt: „die Kriegsmarine des Reichs iſt eine einheitliche unter dem Ober- befehl des Kaiſers.“ Die Einheit der Kriegsmarine iſt eine innere untheilbare, durch Begriff und Weſen gebotene, die Reichsarmee dagegen iſt eine zuſammengeſetzte Einheit; die „Einheitlichkeit“ der Landmacht des Reiches hebt die geſonderte Exiſtenz der Contingente der einzelnen Staaten nicht auf, ſondern ſie bedeutet lediglich das Band, welches dieſe verſchiedenen Kontingente zuſammenhält. Die Einheit iſt bei der Marine Conſequenz, bei dem Heer Modifikation des Grundprinzips. Die Contingente der einzelnen Bundesſtaaten werden zum einheitlichen Heere zuſammengefaßt durch drei, unten noch näher zu erörternde Einrichtungen, nämlich durch den Ober- befehl des Kaiſers in Krieg und Frieden, durch die völlig über- einſtimmende gleichmäßige Organiſation, Bewaffnung, Ausbildung u. ſ. w. und durch die Beſtreitung der geſammten Koſten aus

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 1. Tübingen, 1880, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0301_1880/16>, abgerufen am 27.04.2024.