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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 1. Tübingen, 1880.

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§. 77. Allgemeine Prinzipien.
Reichsmitteln. Die strenge Durchführung dieser 3 Sätze hat aller-
dings den Erfolg, daß die aus den Kontingenten der Einzelstaaten
zusammengesetzte Armee im militairisch-technischen Sinne eine ein-
heitliche ist, denn die Heereskörper, aus denen die Einheit sich
combinirt, sind materiell gleichartig; mag dies aber in noch so
hohem Grade erreicht werden, mögen die verschiedenen Kontingente
als ununterscheidbare Bestandtheile einer durchweg gleichmäßigen
Armee erscheinen, formell juristisch bleibt der Grundsatz bestehen,
daß eine Reichsarmee nicht existirt, sondern daß dies nur eine
Collektivbezeichnung ist, um die Contingente der einzelnen Bundes-
staaten zusammenzufassen.

Diesem Prinzip steht nun aber ein zweites, nicht minder wich-
tiges zur Seite: die Einzelstaaten haben zwar Truppen, aber die
ihnen zustehende Militairhoheit ist keine souveräne
.
Sowie die Souverainetät der Gliedstaaten durch die Unterordnung
unter die Reichsgewalt im Allgemeinen aufgehoben ist 1), so auch
insbesondere hinsichtlich des Militairwesens. Kein Staat ist befugt,
seine Armee nach eigenem Belieben zu organisiren, zu bewaffnen,
auszubilden u. s. w., sondern das Reich ertheilt die Vorschriften,
nach denen dies geschehen muß. Die Wehrpflicht der Bevölkerung,
die Rekrutirung, die Qualifikation und das Dienstrechtsverhältniß
der Offiziere, der Einfluß des Militärverhältnisses auf andere
Rechtsverhältnisse, das Militair-Strafrecht, -Prozeß, -Disciplinar-
recht, die Verpflegung und Ausrüstung, die Militairlasten u. s. w.,
mit einem Worte die gesammte Einrichtung des Heerwesens wird
vom Reich normirt; Gesetzgebung und im praktischen Resultat auch
die Verordnungsgewalt in Armeeangelegenheiten werden vom Reich
ausgeübt. Die Einzelstaaten sind formell die Subjecte der Mili-
tairhoheit, aber Inhalt und Umfang derselben bestimmt das Reich;
jeder einzelne Staat hat (nach der Reichsverf.) eine Armee für
sich, aber nicht nach eigenem Belieben, sondern nur eine so be-
schaffene, wie das Reich ihm erlaubt und wie das Reich ihm be-
befiehlt. Ferner: die Landesherren sind die Kontingentsherren,
Mannschaften und Offiziere stehen zu ihnen im militairischen Dienst-
verhältniß, sind ihnen zu militairischer Treue verbunden und leisten
ihnen den Fahneneid; aber der Kaiser hat den Oberbefehl, das

1) Vgl. Bd. I §. 9 u. 10.

§. 77. Allgemeine Prinzipien.
Reichsmitteln. Die ſtrenge Durchführung dieſer 3 Sätze hat aller-
dings den Erfolg, daß die aus den Kontingenten der Einzelſtaaten
zuſammengeſetzte Armee im militairiſch-techniſchen Sinne eine ein-
heitliche iſt, denn die Heereskörper, aus denen die Einheit ſich
combinirt, ſind materiell gleichartig; mag dies aber in noch ſo
hohem Grade erreicht werden, mögen die verſchiedenen Kontingente
als ununterſcheidbare Beſtandtheile einer durchweg gleichmäßigen
Armee erſcheinen, formell juriſtiſch bleibt der Grundſatz beſtehen,
daß eine Reichsarmee nicht exiſtirt, ſondern daß dies nur eine
Collektivbezeichnung iſt, um die Contingente der einzelnen Bundes-
ſtaaten zuſammenzufaſſen.

Dieſem Prinzip ſteht nun aber ein zweites, nicht minder wich-
tiges zur Seite: die Einzelſtaaten haben zwar Truppen, aber die
ihnen zuſtehende Militairhoheit iſt keine ſouveräne
.
Sowie die Souverainetät der Gliedſtaaten durch die Unterordnung
unter die Reichsgewalt im Allgemeinen aufgehoben iſt 1), ſo auch
insbeſondere hinſichtlich des Militairweſens. Kein Staat iſt befugt,
ſeine Armee nach eigenem Belieben zu organiſiren, zu bewaffnen,
auszubilden u. ſ. w., ſondern das Reich ertheilt die Vorſchriften,
nach denen dies geſchehen muß. Die Wehrpflicht der Bevölkerung,
die Rekrutirung, die Qualifikation und das Dienſtrechtsverhältniß
der Offiziere, der Einfluß des Militärverhältniſſes auf andere
Rechtsverhältniſſe, das Militair-Strafrecht, -Prozeß, -Disciplinar-
recht, die Verpflegung und Ausrüſtung, die Militairlaſten u. ſ. w.,
mit einem Worte die geſammte Einrichtung des Heerweſens wird
vom Reich normirt; Geſetzgebung und im praktiſchen Reſultat auch
die Verordnungsgewalt in Armeeangelegenheiten werden vom Reich
ausgeübt. Die Einzelſtaaten ſind formell die Subjecte der Mili-
tairhoheit, aber Inhalt und Umfang derſelben beſtimmt das Reich;
jeder einzelne Staat hat (nach der Reichsverf.) eine Armee für
ſich, aber nicht nach eigenem Belieben, ſondern nur eine ſo be-
ſchaffene, wie das Reich ihm erlaubt und wie das Reich ihm be-
befiehlt. Ferner: die Landesherren ſind die Kontingentsherren,
Mannſchaften und Offiziere ſtehen zu ihnen im militairiſchen Dienſt-
verhältniß, ſind ihnen zu militairiſcher Treue verbunden und leiſten
ihnen den Fahneneid; aber der Kaiſer hat den Oberbefehl, das

1) Vgl. Bd. I §. 9 u. 10.
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[7/0017] §. 77. Allgemeine Prinzipien. Reichsmitteln. Die ſtrenge Durchführung dieſer 3 Sätze hat aller- dings den Erfolg, daß die aus den Kontingenten der Einzelſtaaten zuſammengeſetzte Armee im militairiſch-techniſchen Sinne eine ein- heitliche iſt, denn die Heereskörper, aus denen die Einheit ſich combinirt, ſind materiell gleichartig; mag dies aber in noch ſo hohem Grade erreicht werden, mögen die verſchiedenen Kontingente als ununterſcheidbare Beſtandtheile einer durchweg gleichmäßigen Armee erſcheinen, formell juriſtiſch bleibt der Grundſatz beſtehen, daß eine Reichsarmee nicht exiſtirt, ſondern daß dies nur eine Collektivbezeichnung iſt, um die Contingente der einzelnen Bundes- ſtaaten zuſammenzufaſſen. Dieſem Prinzip ſteht nun aber ein zweites, nicht minder wich- tiges zur Seite: die Einzelſtaaten haben zwar Truppen, aber die ihnen zuſtehende Militairhoheit iſt keine ſouveräne. Sowie die Souverainetät der Gliedſtaaten durch die Unterordnung unter die Reichsgewalt im Allgemeinen aufgehoben iſt 1), ſo auch insbeſondere hinſichtlich des Militairweſens. Kein Staat iſt befugt, ſeine Armee nach eigenem Belieben zu organiſiren, zu bewaffnen, auszubilden u. ſ. w., ſondern das Reich ertheilt die Vorſchriften, nach denen dies geſchehen muß. Die Wehrpflicht der Bevölkerung, die Rekrutirung, die Qualifikation und das Dienſtrechtsverhältniß der Offiziere, der Einfluß des Militärverhältniſſes auf andere Rechtsverhältniſſe, das Militair-Strafrecht, -Prozeß, -Disciplinar- recht, die Verpflegung und Ausrüſtung, die Militairlaſten u. ſ. w., mit einem Worte die geſammte Einrichtung des Heerweſens wird vom Reich normirt; Geſetzgebung und im praktiſchen Reſultat auch die Verordnungsgewalt in Armeeangelegenheiten werden vom Reich ausgeübt. Die Einzelſtaaten ſind formell die Subjecte der Mili- tairhoheit, aber Inhalt und Umfang derſelben beſtimmt das Reich; jeder einzelne Staat hat (nach der Reichsverf.) eine Armee für ſich, aber nicht nach eigenem Belieben, ſondern nur eine ſo be- ſchaffene, wie das Reich ihm erlaubt und wie das Reich ihm be- befiehlt. Ferner: die Landesherren ſind die Kontingentsherren, Mannſchaften und Offiziere ſtehen zu ihnen im militairiſchen Dienſt- verhältniß, ſind ihnen zu militairiſcher Treue verbunden und leiſten ihnen den Fahneneid; aber der Kaiſer hat den Oberbefehl, das 1) Vgl. Bd. I §. 9 u. 10.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 3, Abt. 1. Tübingen, 1880, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht0301_1880/17>, abgerufen am 19.04.2024.