Für die Entscheidung dieser Frage kommen folgende Erwägungen in Betracht.
Nach der im Art. 7 und Art. 8 des Code civ. festgehaltenen Unterscheidung zwischen droits civils und droits politiques steht jeder Franzose im Genuß der droits civils, dagegen sind die droits politiques abhängig: "de la qualite de citoyen, laquelle ne s'acquiert et ne se conserve, que conformement a la loi constitutionelle". Nicht jeder Franzose ist zugleich citoyen; es ist demgemäß "Francais" nicht "Staatsbürger", sondern "Inlän- der" zu übersetzen. Die Vorschriften des Code civ. über Erwerb und Verlust der Eigenschaft eines Franzosen (Elsaß-Lothringers) haben bis zur Einführung des Reichsgesetzes vom 1. Juni 1870 im Reichsland in partikulärer Geltung gestanden; der Erwerb und Verlust der Eigenschaft eines citoyen dagegen ist durch die fran- zösischen Verfassungs-Gesetze normirt, welche bereits durch den Friedensschluß mit Deutschland und die Abtretung des reichslän- dischen Gebietes ihre Anwendbarkeit verloren haben. Ein Nicht- Franzose kann niemals die droits politiques ausüben, denn er kann niemals citoyen sein; wohl aber kann er die droits civils wie ein Franzose ausüben, wenn er mit Erlaubniß des Staates seinen Wohnsitz in Frankreich hat und sich daselbst aufhält. Code civ. Art. 13. Das französische Recht setzt aber allerdings voraus, daß jeder Franzose auch Unterthan des französischen Staates ist; wer einem andern Staatsverbande beitritt, verliert nicht blos die Eigenschaft eines französischen citoyen, sondern auch die Eigenschaft eines Francais. Code civ. Art. 17 1).
Auch für das Reichsland ist demgemäß die Eigenschaft eines Inländers davon abhängig, daß man ein Unterthan der im Reichs- lande bestehenden Staatsgewalt ist. Daraus folgt aber keines- wegs, daß es eine besondere elsaß-lothringische Staatsgewalt geben müsse. Das Subject der Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen ist
1) Demgemäß hat die französ. Praxis stets angenommen, daß, wenn ein Theil des französischen Gebietes an einen andern Staat abgetreten wird, die Bewohner des abgetretenen Gebietes die Eigenschaft von Franzosen verlieren, wenn sie ihren Wohnsitz in dem abgetretenen Gebiete beibehalten. Vgl. Dalloz et Verge, Code civ. annote. Nr. 97 ff zu Art. 17. (Vol. I. p. 65.) Ferner Löning a. a. O. S. 197, woselbst zahlreiche Literatur-Nachweisungen ge- geben sind.
§. 54. Bundesglied und Reichsland.
Für die Entſcheidung dieſer Frage kommen folgende Erwägungen in Betracht.
Nach der im Art. 7 und Art. 8 des Code civ. feſtgehaltenen Unterſcheidung zwiſchen droits civils und droits politiques ſteht jeder Franzoſe im Genuß der droits civils, dagegen ſind die droits politiques abhängig: »de la qualité de citoyen, laquelle ne s’acquiert et ne se conserve, que conformément à la loi constitutionelle«. Nicht jeder Franzoſe iſt zugleich citoyen; es iſt demgemäß »Français« nicht „Staatsbürger“, ſondern „Inlän- der“ zu überſetzen. Die Vorſchriften des Code civ. über Erwerb und Verluſt der Eigenſchaft eines Franzoſen (Elſaß-Lothringers) haben bis zur Einführung des Reichsgeſetzes vom 1. Juni 1870 im Reichsland in partikulärer Geltung geſtanden; der Erwerb und Verluſt der Eigenſchaft eines citoyen dagegen iſt durch die fran- zöſiſchen Verfaſſungs-Geſetze normirt, welche bereits durch den Friedensſchluß mit Deutſchland und die Abtretung des reichslän- diſchen Gebietes ihre Anwendbarkeit verloren haben. Ein Nicht- Franzoſe kann niemals die droits politiques ausüben, denn er kann niemals citoyen ſein; wohl aber kann er die droits civils wie ein Franzoſe ausüben, wenn er mit Erlaubniß des Staates ſeinen Wohnſitz in Frankreich hat und ſich daſelbſt aufhält. Code civ. Art. 13. Das franzöſiſche Recht ſetzt aber allerdings voraus, daß jeder Franzoſe auch Unterthan des franzöſiſchen Staates iſt; wer einem andern Staatsverbande beitritt, verliert nicht blos die Eigenſchaft eines franzöſiſchen citoyen, ſondern auch die Eigenſchaft eines Français. Code civ. Art. 17 1).
Auch für das Reichsland iſt demgemäß die Eigenſchaft eines Inländers davon abhängig, daß man ein Unterthan der im Reichs- lande beſtehenden Staatsgewalt iſt. Daraus folgt aber keines- wegs, daß es eine beſondere elſaß-lothringiſche Staatsgewalt geben müſſe. Das Subject der Staatsgewalt in Elſaß-Lothringen iſt
1) Demgemäß hat die franzöſ. Praxis ſtets angenommen, daß, wenn ein Theil des franzöſiſchen Gebietes an einen andern Staat abgetreten wird, die Bewohner des abgetretenen Gebietes die Eigenſchaft von Franzoſen verlieren, wenn ſie ihren Wohnſitz in dem abgetretenen Gebiete beibehalten. Vgl. Dalloz et Vergé, Code civ. annoté. Nr. 97 ff zu Art. 17. (Vol. I. p. 65.) Ferner Löning a. a. O. S. 197, woſelbſt zahlreiche Literatur-Nachweiſungen ge- geben ſind.
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§. 54. Bundesglied und Reichsland.
Für die Entſcheidung dieſer Frage kommen folgende Erwägungen
in Betracht.
Nach der im Art. 7 und Art. 8 des Code civ. feſtgehaltenen
Unterſcheidung zwiſchen droits civils und droits politiques ſteht
jeder Franzoſe im Genuß der droits civils, dagegen ſind die
droits politiques abhängig: »de la qualité de citoyen, laquelle
ne s’acquiert et ne se conserve, que conformément à la loi
constitutionelle«. Nicht jeder Franzoſe iſt zugleich citoyen; es
iſt demgemäß »Français« nicht „Staatsbürger“, ſondern „Inlän-
der“ zu überſetzen. Die Vorſchriften des Code civ. über Erwerb
und Verluſt der Eigenſchaft eines Franzoſen (Elſaß-Lothringers)
haben bis zur Einführung des Reichsgeſetzes vom 1. Juni 1870
im Reichsland in partikulärer Geltung geſtanden; der Erwerb und
Verluſt der Eigenſchaft eines citoyen dagegen iſt durch die fran-
zöſiſchen Verfaſſungs-Geſetze normirt, welche bereits durch den
Friedensſchluß mit Deutſchland und die Abtretung des reichslän-
diſchen Gebietes ihre Anwendbarkeit verloren haben. Ein Nicht-
Franzoſe kann niemals die droits politiques ausüben, denn er
kann niemals citoyen ſein; wohl aber kann er die droits civils
wie ein Franzoſe ausüben, wenn er mit Erlaubniß des Staates
ſeinen Wohnſitz in Frankreich hat und ſich daſelbſt aufhält. Code
civ. Art. 13. Das franzöſiſche Recht ſetzt aber allerdings voraus,
daß jeder Franzoſe auch Unterthan des franzöſiſchen Staates iſt;
wer einem andern Staatsverbande beitritt, verliert nicht blos die
Eigenſchaft eines franzöſiſchen citoyen, ſondern auch die Eigenſchaft
eines Français. Code civ. Art. 17 1).
Auch für das Reichsland iſt demgemäß die Eigenſchaft eines
Inländers davon abhängig, daß man ein Unterthan der im Reichs-
lande beſtehenden Staatsgewalt iſt. Daraus folgt aber keines-
wegs, daß es eine beſondere elſaß-lothringiſche Staatsgewalt geben
müſſe. Das Subject der Staatsgewalt in Elſaß-Lothringen iſt
1) Demgemäß hat die franzöſ. Praxis ſtets angenommen, daß, wenn ein
Theil des franzöſiſchen Gebietes an einen andern Staat abgetreten wird, die
Bewohner des abgetretenen Gebietes die Eigenſchaft von Franzoſen verlieren,
wenn ſie ihren Wohnſitz in dem abgetretenen Gebiete beibehalten. Vgl. Dalloz
et Vergé, Code civ. annoté. Nr. 97 ff zu Art. 17. (Vol. I. p. 65.) Ferner
Löning a. a. O. S. 197, woſelbſt zahlreiche Literatur-Nachweiſungen ge-
geben ſind.
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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 599. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/619>, abgerufen am 24.07.2024.
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