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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 34. Die Reichs-Verwaltungsbehörden.
und einer Verantwortlichkeit desselben ist weder in dem Erl. v. 15.
Juni 1871 noch in dem Regulativ die Rede; die Verantwortlich-
keit des Reichskanzlers bestand aber jedenfalls für die Beobachtung
des durch Reichsgesetz festgestellten Etats. Die Reorganisation der
obersten Marinebehörde, welche durch den Allerh. Erl. v. 1871
angeordnet worden war, kam in dem Reichshaushalts-Etat für
1872 zur Erscheinung 1) und erhielt durch die Bewilligung des
Etats Seitens des Reichstages dessen Zustimmung.

War schon nach der Verf. des Nordd. Bundes die völlige
Trennung der Marine-Verwaltung von der Verwaltung des Bun-
des und ihre vollständige Uebertragung auf eine Preußische Behörde
anomal, so war diese Einrichtung nach der Redaktion der Reichs-
verfassung vom 16. April 1871 gradezu verfassungswidrig. Denn
der Art. 53 derselben kennt keinen Preußischen Oberbefehl und
keine Verwaltungsbefugnisse des Königs von Preußen mehr, son-
dern spricht lediglich vom Kaiser. Der Kaiser aber hat nur einen
verantwortlichen Minister und das ist der Reichskanzler. Dieser
Mißstand wurde beseitigt durch den Allerh. Erlaß v. 1. Januar
1872, der lediglich an den Reichskanzler gerichtet, von ihm gegen-
gezeichnet und nur durch das Reichsgesetzblatt (1872 S. 5) ver-
öffentlich worden ist. Nach diesem Erlaß soll die durch das Regu-
lativ v. 15. Juni 1871 geschaffene, einheitliche, obere Marinebe-
hörde fortdauern, aber fortan den Namen "Kaiserliche Admiralität"
führen und einen Chef zum Vorstande erhalten, welcher die Ver-
waltung unter der Verantwortlichkeit des Reichskanz-
lers
und den Oberbefehl nach den Anordnungen des Kaisers zu
führen hat.

Seit diesem Erlaß ist die Admiralität eine Reichsbehörde,
welche neben dem Reichskanzler-Amte und dem Auswärtigen Amte,
beiden coordinirt, unter dem Reichskanzler steht und welche ebenso,
wie die beiden anderen großen Centralbehörden des Reiches einen
Chef von Rang und Stellung eines (Preußischen) Staatsministers

1) Insbesondere durch die Erhöhung der im Titel 1 aufgeführten Aus-
gaben für das Ministerium, indem die Zahl der Räthe und Geh. Sekretäre
vermehrt wurde, und durch eine entsprechende Verminderung der im Titel 8
unter a. enthaltenen Positionen für das Militär-Personal. Haupt-Etat für 1872
Anlage V S. 16. 36.

§. 34. Die Reichs-Verwaltungsbehörden.
und einer Verantwortlichkeit deſſelben iſt weder in dem Erl. v. 15.
Juni 1871 noch in dem Regulativ die Rede; die Verantwortlich-
keit des Reichskanzlers beſtand aber jedenfalls für die Beobachtung
des durch Reichsgeſetz feſtgeſtellten Etats. Die Reorganiſation der
oberſten Marinebehörde, welche durch den Allerh. Erl. v. 1871
angeordnet worden war, kam in dem Reichshaushalts-Etat für
1872 zur Erſcheinung 1) und erhielt durch die Bewilligung des
Etats Seitens des Reichstages deſſen Zuſtimmung.

War ſchon nach der Verf. des Nordd. Bundes die völlige
Trennung der Marine-Verwaltung von der Verwaltung des Bun-
des und ihre vollſtändige Uebertragung auf eine Preußiſche Behörde
anomal, ſo war dieſe Einrichtung nach der Redaktion der Reichs-
verfaſſung vom 16. April 1871 gradezu verfaſſungswidrig. Denn
der Art. 53 derſelben kennt keinen Preußiſchen Oberbefehl und
keine Verwaltungsbefugniſſe des Königs von Preußen mehr, ſon-
dern ſpricht lediglich vom Kaiſer. Der Kaiſer aber hat nur einen
verantwortlichen Miniſter und das iſt der Reichskanzler. Dieſer
Mißſtand wurde beſeitigt durch den Allerh. Erlaß v. 1. Januar
1872, der lediglich an den Reichskanzler gerichtet, von ihm gegen-
gezeichnet und nur durch das Reichsgeſetzblatt (1872 S. 5) ver-
öffentlich worden iſt. Nach dieſem Erlaß ſoll die durch das Regu-
lativ v. 15. Juni 1871 geſchaffene, einheitliche, obere Marinebe-
hörde fortdauern, aber fortan den Namen „Kaiſerliche Admiralität“
führen und einen Chef zum Vorſtande erhalten, welcher die Ver-
waltung unter der Verantwortlichkeit des Reichskanz-
lers
und den Oberbefehl nach den Anordnungen des Kaiſers zu
führen hat.

Seit dieſem Erlaß iſt die Admiralität eine Reichsbehörde,
welche neben dem Reichskanzler-Amte und dem Auswärtigen Amte,
beiden coordinirt, unter dem Reichskanzler ſteht und welche ebenſo,
wie die beiden anderen großen Centralbehörden des Reiches einen
Chef von Rang und Stellung eines (Preußiſchen) Staatsminiſters

1) Insbeſondere durch die Erhöhung der im Titel 1 aufgeführten Aus-
gaben für das Miniſterium, indem die Zahl der Räthe und Geh. Sekretäre
vermehrt wurde, und durch eine entſprechende Verminderung der im Titel 8
unter a. enthaltenen Poſitionen für das Militär-Perſonal. Haupt-Etat für 1872
Anlage V S. 16. 36.
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[336/0356] §. 34. Die Reichs-Verwaltungsbehörden. und einer Verantwortlichkeit deſſelben iſt weder in dem Erl. v. 15. Juni 1871 noch in dem Regulativ die Rede; die Verantwortlich- keit des Reichskanzlers beſtand aber jedenfalls für die Beobachtung des durch Reichsgeſetz feſtgeſtellten Etats. Die Reorganiſation der oberſten Marinebehörde, welche durch den Allerh. Erl. v. 1871 angeordnet worden war, kam in dem Reichshaushalts-Etat für 1872 zur Erſcheinung 1) und erhielt durch die Bewilligung des Etats Seitens des Reichstages deſſen Zuſtimmung. War ſchon nach der Verf. des Nordd. Bundes die völlige Trennung der Marine-Verwaltung von der Verwaltung des Bun- des und ihre vollſtändige Uebertragung auf eine Preußiſche Behörde anomal, ſo war dieſe Einrichtung nach der Redaktion der Reichs- verfaſſung vom 16. April 1871 gradezu verfaſſungswidrig. Denn der Art. 53 derſelben kennt keinen Preußiſchen Oberbefehl und keine Verwaltungsbefugniſſe des Königs von Preußen mehr, ſon- dern ſpricht lediglich vom Kaiſer. Der Kaiſer aber hat nur einen verantwortlichen Miniſter und das iſt der Reichskanzler. Dieſer Mißſtand wurde beſeitigt durch den Allerh. Erlaß v. 1. Januar 1872, der lediglich an den Reichskanzler gerichtet, von ihm gegen- gezeichnet und nur durch das Reichsgeſetzblatt (1872 S. 5) ver- öffentlich worden iſt. Nach dieſem Erlaß ſoll die durch das Regu- lativ v. 15. Juni 1871 geſchaffene, einheitliche, obere Marinebe- hörde fortdauern, aber fortan den Namen „Kaiſerliche Admiralität“ führen und einen Chef zum Vorſtande erhalten, welcher die Ver- waltung unter der Verantwortlichkeit des Reichskanz- lers und den Oberbefehl nach den Anordnungen des Kaiſers zu führen hat. Seit dieſem Erlaß iſt die Admiralität eine Reichsbehörde, welche neben dem Reichskanzler-Amte und dem Auswärtigen Amte, beiden coordinirt, unter dem Reichskanzler ſteht und welche ebenſo, wie die beiden anderen großen Centralbehörden des Reiches einen Chef von Rang und Stellung eines (Preußiſchen) Staatsminiſters 1) Insbeſondere durch die Erhöhung der im Titel 1 aufgeführten Aus- gaben für das Miniſterium, indem die Zahl der Räthe und Geh. Sekretäre vermehrt wurde, und durch eine entſprechende Verminderung der im Titel 8 unter a. enthaltenen Poſitionen für das Militär-Perſonal. Haupt-Etat für 1872 Anlage V S. 16. 36.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 336. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/356>, abgerufen am 19.05.2024.