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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 11. Die Rechte der Einzelstaaten.

Von diesen Fällen abgesehen hat die Reichsverfassung aber
den Grundsatz, daß alle Bundesstaaten gleiche Rechte und Lasten
haben, überall durchgeführt, wenngleich er als ein allgemeines
Prinzip nicht ausgesprochen worden ist. Den deutlichsten Ausdruck
hat er im Art. 58 hinsichtlich der Kosten und Lasten des Kriegs-
wesens gefunden, ferner im Art. 70 hinsichtlich der Vertheilung
der Matrikular-Beiträge. Aber auch in allen andern Beziehungen
finden Belastungen und Beschränkungen einzelner Staaten über das
Maaß hinaus, welches für Alle als Regel gilt, nicht statt und
es muß als ein allgemeines Prinzip für die Reichsgesetzgebung
überhaupt anerkannt werden, daß jede Abweichung von der Gleich-
berechtigung zu Ungunsten eines oder einzelner Mitglieder des
Reiches deren spezielle Zustimmung erfordert 1).

II. Sonderrechte einzelner Mitglieder (iura
singularia
)
. Unter Sonderrechten versteht man bestimmte Rechte
einzelner Bundesstaaten in deren Verhältniß zur Gesammtheit, welche
Abweichungen von der sonst geltenden Regel zu Gunsten eines
oder einzelner Staaten bilden. Sie ergeben sich nicht aus der An-
wendung der verfassungs- oder gesetzmäßigen Prinzipien, sondern sie
beruhen auf der Nichtanwendung derselben; sie sind nicht Reflexwir-
kungen der Verfassung, sondern Modifikationen derselben 2). Immer
handelt es sich dabei um Rechte der Mitglieder in deren Verhältniß
zur Gesammtheit, nicht um Rechte, welche den einzelnen Staaten
außer aller Beziehung zum Reiche zustehen. Man könnte daher
wohl auch die Sonderrechte als eine Unterart der Mitgliedschafts-

sten Thurn-Taxis für sein Postregal auf Kosten Preußens, die zeitweise Ver-
wendung preußischer Beamtenkräfte, namentlich in den Ministerien, für Reichs-
zwecke u. dgl.
1) Laband a. a. O. S. 1514. 1515. Wenn Löning a. a. O. S.
359 ff. gegen die Annahme eines solchen Sonderrechts polemisirt, so ist
seine Polemik insofern gegenstandslos, als ich den Anspruch jedes Einzelstaates
auf gleiche Behandlung gerade für das Gegentheil eines Sonderrechts, für den,
allen Mitgliedern gleichmäßig zu Gute kommenden Ausfluß der Mitgliedschaft,
für ein Mitgliedschafts-Recht erklärt habe. Wenn er aber den Rechts-
satz selbst, daß die Verletzung dieses Mitgliedschafts-Rechtes ohne Zustimmung
des Berechtigten nicht zulässig sei, bestreitet, so hätte es m. E. dafür gewich-
tigerer Gründe bedurft, als daß der Rechtssatz in der Regel entbehrlich sei,
weil seine Verletzung schon durch die "Ehrlichkeit und Gerechtigkeit" sich ver-
biete, und daß er unter Umständen unbequem sein könne.
2) Laband a. a. O. S. 1502. 1503.
Laband, Reichsstaatsrecht. I. 8
§. 11. Die Rechte der Einzelſtaaten.

Von dieſen Fällen abgeſehen hat die Reichsverfaſſung aber
den Grundſatz, daß alle Bundesſtaaten gleiche Rechte und Laſten
haben, überall durchgeführt, wenngleich er als ein allgemeines
Prinzip nicht ausgeſprochen worden iſt. Den deutlichſten Ausdruck
hat er im Art. 58 hinſichtlich der Koſten und Laſten des Kriegs-
weſens gefunden, ferner im Art. 70 hinſichtlich der Vertheilung
der Matrikular-Beiträge. Aber auch in allen andern Beziehungen
finden Belaſtungen und Beſchränkungen einzelner Staaten über das
Maaß hinaus, welches für Alle als Regel gilt, nicht ſtatt und
es muß als ein allgemeines Prinzip für die Reichsgeſetzgebung
überhaupt anerkannt werden, daß jede Abweichung von der Gleich-
berechtigung zu Ungunſten eines oder einzelner Mitglieder des
Reiches deren ſpezielle Zuſtimmung erfordert 1).

II. Sonderrechte einzelner Mitglieder (iura
singularia
)
. Unter Sonderrechten verſteht man beſtimmte Rechte
einzelner Bundesſtaaten in deren Verhältniß zur Geſammtheit, welche
Abweichungen von der ſonſt geltenden Regel zu Gunſten eines
oder einzelner Staaten bilden. Sie ergeben ſich nicht aus der An-
wendung der verfaſſungs- oder geſetzmäßigen Prinzipien, ſondern ſie
beruhen auf der Nichtanwendung derſelben; ſie ſind nicht Reflexwir-
kungen der Verfaſſung, ſondern Modifikationen derſelben 2). Immer
handelt es ſich dabei um Rechte der Mitglieder in deren Verhältniß
zur Geſammtheit, nicht um Rechte, welche den einzelnen Staaten
außer aller Beziehung zum Reiche zuſtehen. Man könnte daher
wohl auch die Sonderrechte als eine Unterart der Mitgliedſchafts-

ſten Thurn-Taxis für ſein Poſtregal auf Koſten Preußens, die zeitweiſe Ver-
wendung preußiſcher Beamtenkräfte, namentlich in den Miniſterien, für Reichs-
zwecke u. dgl.
1) Laband a. a. O. S. 1514. 1515. Wenn Löning a. a. O. S.
359 ff. gegen die Annahme eines ſolchen Sonderrechts polemiſirt, ſo iſt
ſeine Polemik inſofern gegenſtandslos, als ich den Anſpruch jedes Einzelſtaates
auf gleiche Behandlung gerade für das Gegentheil eines Sonderrechts, für den,
allen Mitgliedern gleichmäßig zu Gute kommenden Ausfluß der Mitgliedſchaft,
für ein Mitgliedſchafts-Recht erklärt habe. Wenn er aber den Rechts-
ſatz ſelbſt, daß die Verletzung dieſes Mitgliedſchafts-Rechtes ohne Zuſtimmung
des Berechtigten nicht zuläſſig ſei, beſtreitet, ſo hätte es m. E. dafür gewich-
tigerer Gründe bedurft, als daß der Rechtsſatz in der Regel entbehrlich ſei,
weil ſeine Verletzung ſchon durch die „Ehrlichkeit und Gerechtigkeit“ ſich ver-
biete, und daß er unter Umſtänden unbequem ſein könne.
2) Laband a. a. O. S. 1502. 1503.
Laband, Reichsſtaatsrecht. I. 8
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[113/0133] §. 11. Die Rechte der Einzelſtaaten. Von dieſen Fällen abgeſehen hat die Reichsverfaſſung aber den Grundſatz, daß alle Bundesſtaaten gleiche Rechte und Laſten haben, überall durchgeführt, wenngleich er als ein allgemeines Prinzip nicht ausgeſprochen worden iſt. Den deutlichſten Ausdruck hat er im Art. 58 hinſichtlich der Koſten und Laſten des Kriegs- weſens gefunden, ferner im Art. 70 hinſichtlich der Vertheilung der Matrikular-Beiträge. Aber auch in allen andern Beziehungen finden Belaſtungen und Beſchränkungen einzelner Staaten über das Maaß hinaus, welches für Alle als Regel gilt, nicht ſtatt und es muß als ein allgemeines Prinzip für die Reichsgeſetzgebung überhaupt anerkannt werden, daß jede Abweichung von der Gleich- berechtigung zu Ungunſten eines oder einzelner Mitglieder des Reiches deren ſpezielle Zuſtimmung erfordert 1). II. Sonderrechte einzelner Mitglieder (iura singularia). Unter Sonderrechten verſteht man beſtimmte Rechte einzelner Bundesſtaaten in deren Verhältniß zur Geſammtheit, welche Abweichungen von der ſonſt geltenden Regel zu Gunſten eines oder einzelner Staaten bilden. Sie ergeben ſich nicht aus der An- wendung der verfaſſungs- oder geſetzmäßigen Prinzipien, ſondern ſie beruhen auf der Nichtanwendung derſelben; ſie ſind nicht Reflexwir- kungen der Verfaſſung, ſondern Modifikationen derſelben 2). Immer handelt es ſich dabei um Rechte der Mitglieder in deren Verhältniß zur Geſammtheit, nicht um Rechte, welche den einzelnen Staaten außer aller Beziehung zum Reiche zuſtehen. Man könnte daher wohl auch die Sonderrechte als eine Unterart der Mitgliedſchafts- 2) 1) Laband a. a. O. S. 1514. 1515. Wenn Löning a. a. O. S. 359 ff. gegen die Annahme eines ſolchen Sonderrechts polemiſirt, ſo iſt ſeine Polemik inſofern gegenſtandslos, als ich den Anſpruch jedes Einzelſtaates auf gleiche Behandlung gerade für das Gegentheil eines Sonderrechts, für den, allen Mitgliedern gleichmäßig zu Gute kommenden Ausfluß der Mitgliedſchaft, für ein Mitgliedſchafts-Recht erklärt habe. Wenn er aber den Rechts- ſatz ſelbſt, daß die Verletzung dieſes Mitgliedſchafts-Rechtes ohne Zuſtimmung des Berechtigten nicht zuläſſig ſei, beſtreitet, ſo hätte es m. E. dafür gewich- tigerer Gründe bedurft, als daß der Rechtsſatz in der Regel entbehrlich ſei, weil ſeine Verletzung ſchon durch die „Ehrlichkeit und Gerechtigkeit“ ſich ver- biete, und daß er unter Umſtänden unbequem ſein könne. 2) Laband a. a. O. S. 1502. 1503. 2) ſten Thurn-Taxis für ſein Poſtregal auf Koſten Preußens, die zeitweiſe Ver- wendung preußiſcher Beamtenkräfte, namentlich in den Miniſterien, für Reichs- zwecke u. dgl. Laband, Reichsſtaatsrecht. I. 8

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/133>, abgerufen am 30.04.2024.