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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 11. Die Rechte der Einzelstaaten.
gleichen kann 1). Dahin gehört z. B. der Anspruch der einzelnen
Staaten auf die Postüberschüsse gemäß Art. 51 der R.-V. und §
3 des Ges. vom 10. März 1870 oder auf die Vergütung der Er-
hebungskosten für Zölle und Verbrauchsabgaben gemäß Art. 38
der R.-V. rücksichtlich der bereits abgelaufenen Zeit. Das Reich
kann allerdings jeder Zeit die angeführten Gesetzesbestimmungen
ändern; würde das Reich dies aber mit rückwirkender Kraft
thun, so würde es dadurch zweifellos in iura quaesita einzelner
Staaten eingreifen. Rücksichtlich der Pflichten der Staaten liefern
die Matrikular-Beiträge ein analoges Veispiel; das Reich kann
jeder Zeit für dieselben einen neuen Vertheilungs-Maaßstaab
einführen; für die Zeit aber bis zu dieser Aenderung hat der
Einzelstaat ein erworbenes Recht, daß die bis dahin fällig ge-
wordenen Beiträge nach den bestehenden Grundsätzen berechnet
werden.

2. Die Mitgliedschaftsrechte sind grundsätzlich für alle Staaten
dieselben, nicht etwa in dem Sinne, daß sie für alle Staaten
absolut gleich sind, sondern daß auf alle Staaten dieselben
Rechtsregeln Anwendung finden. Bei der Begründung des Nord-
deutschen Bundes und dem Hinzutritt der Süddeutschen Staaten
standen sich die, bis dahin souveränen Deutschen Staaten als
völlig gleichberechtigte Persönlichkeiten gegenüber und auf der An-
erkennung dieser Gleichberechtigung, der Koexistenz aneinander
ebenbürtiger staatlicher Personen beruht das Bundesverhältniß,
der bundesstaatliche Charakter des Reiches. Es ist nicht ausge-
schlossen, daß nicht einzelnen Staaten Sonderrechte eingeräumt
werden, durch welche die Lasten und Pflichten der übrigen nicht
erschwert werden, wie z. B. die Kompetenz-Beschränkungen des
Reiches hinsichtlich der süddeutschen Staaten; es ist ferner zu-
lässig, einzelnen Staaten mit Zustimmung aller übrigen Prä-
rogativen beizulegen, wie z. B. die Präsidialrechte Preußens; es
ist endlich vollkommen zulässig, einem Staat größere Lasten auf-
zuerlegen oder ihm größere Opfer an Hoheitsrechten zuzumuthen,
wie andern, aber es setzt dies seine spezielle Einwilligung vor-
aus 2).


1) Laband a. a. O. S. 1502.
2) Beispiele sind die Ausantwortung der Preuß. Marine und aller Ma-
rine-Etabissements an das Reich ohne Entschädigung, die Abfindung des Für-

§. 11. Die Rechte der Einzelſtaaten.
gleichen kann 1). Dahin gehört z. B. der Anſpruch der einzelnen
Staaten auf die Poſtüberſchüſſe gemäß Art. 51 der R.-V. und §
3 des Geſ. vom 10. März 1870 oder auf die Vergütung der Er-
hebungskoſten für Zölle und Verbrauchsabgaben gemäß Art. 38
der R.-V. rückſichtlich der bereits abgelaufenen Zeit. Das Reich
kann allerdings jeder Zeit die angeführten Geſetzesbeſtimmungen
ändern; würde das Reich dies aber mit rückwirkender Kraft
thun, ſo würde es dadurch zweifellos in iura quaesita einzelner
Staaten eingreifen. Rückſichtlich der Pflichten der Staaten liefern
die Matrikular-Beiträge ein analoges Veiſpiel; das Reich kann
jeder Zeit für dieſelben einen neuen Vertheilungs-Maaßſtaab
einführen; für die Zeit aber bis zu dieſer Aenderung hat der
Einzelſtaat ein erworbenes Recht, daß die bis dahin fällig ge-
wordenen Beiträge nach den beſtehenden Grundſätzen berechnet
werden.

2. Die Mitgliedſchaftsrechte ſind grundſätzlich für alle Staaten
dieſelben, nicht etwa in dem Sinne, daß ſie für alle Staaten
abſolut gleich ſind, ſondern daß auf alle Staaten dieſelben
Rechtsregeln Anwendung finden. Bei der Begründung des Nord-
deutſchen Bundes und dem Hinzutritt der Süddeutſchen Staaten
ſtanden ſich die, bis dahin ſouveränen Deutſchen Staaten als
völlig gleichberechtigte Perſönlichkeiten gegenüber und auf der An-
erkennung dieſer Gleichberechtigung, der Koexiſtenz aneinander
ebenbürtiger ſtaatlicher Perſonen beruht das Bundesverhältniß,
der bundesſtaatliche Charakter des Reiches. Es iſt nicht ausge-
ſchloſſen, daß nicht einzelnen Staaten Sonderrechte eingeräumt
werden, durch welche die Laſten und Pflichten der übrigen nicht
erſchwert werden, wie z. B. die Kompetenz-Beſchränkungen des
Reiches hinſichtlich der ſüddeutſchen Staaten; es iſt ferner zu-
läſſig, einzelnen Staaten mit Zuſtimmung aller übrigen Prä-
rogativen beizulegen, wie z. B. die Präſidialrechte Preußens; es
iſt endlich vollkommen zuläſſig, einem Staat größere Laſten auf-
zuerlegen oder ihm größere Opfer an Hoheitsrechten zuzumuthen,
wie andern, aber es ſetzt dies ſeine ſpezielle Einwilligung vor-
aus 2).


1) Laband a. a. O. S. 1502.
2) Beiſpiele ſind die Ausantwortung der Preuß. Marine und aller Ma-
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[112/0132] §. 11. Die Rechte der Einzelſtaaten. gleichen kann 1). Dahin gehört z. B. der Anſpruch der einzelnen Staaten auf die Poſtüberſchüſſe gemäß Art. 51 der R.-V. und § 3 des Geſ. vom 10. März 1870 oder auf die Vergütung der Er- hebungskoſten für Zölle und Verbrauchsabgaben gemäß Art. 38 der R.-V. rückſichtlich der bereits abgelaufenen Zeit. Das Reich kann allerdings jeder Zeit die angeführten Geſetzesbeſtimmungen ändern; würde das Reich dies aber mit rückwirkender Kraft thun, ſo würde es dadurch zweifellos in iura quaesita einzelner Staaten eingreifen. Rückſichtlich der Pflichten der Staaten liefern die Matrikular-Beiträge ein analoges Veiſpiel; das Reich kann jeder Zeit für dieſelben einen neuen Vertheilungs-Maaßſtaab einführen; für die Zeit aber bis zu dieſer Aenderung hat der Einzelſtaat ein erworbenes Recht, daß die bis dahin fällig ge- wordenen Beiträge nach den beſtehenden Grundſätzen berechnet werden. 2. Die Mitgliedſchaftsrechte ſind grundſätzlich für alle Staaten dieſelben, nicht etwa in dem Sinne, daß ſie für alle Staaten abſolut gleich ſind, ſondern daß auf alle Staaten dieſelben Rechtsregeln Anwendung finden. Bei der Begründung des Nord- deutſchen Bundes und dem Hinzutritt der Süddeutſchen Staaten ſtanden ſich die, bis dahin ſouveränen Deutſchen Staaten als völlig gleichberechtigte Perſönlichkeiten gegenüber und auf der An- erkennung dieſer Gleichberechtigung, der Koexiſtenz aneinander ebenbürtiger ſtaatlicher Perſonen beruht das Bundesverhältniß, der bundesſtaatliche Charakter des Reiches. Es iſt nicht ausge- ſchloſſen, daß nicht einzelnen Staaten Sonderrechte eingeräumt werden, durch welche die Laſten und Pflichten der übrigen nicht erſchwert werden, wie z. B. die Kompetenz-Beſchränkungen des Reiches hinſichtlich der ſüddeutſchen Staaten; es iſt ferner zu- läſſig, einzelnen Staaten mit Zuſtimmung aller übrigen Prä- rogativen beizulegen, wie z. B. die Präſidialrechte Preußens; es iſt endlich vollkommen zuläſſig, einem Staat größere Laſten auf- zuerlegen oder ihm größere Opfer an Hoheitsrechten zuzumuthen, wie andern, aber es ſetzt dies ſeine ſpezielle Einwilligung vor- aus 2). 1) Laband a. a. O. S. 1502. 2) Beiſpiele ſind die Ausantwortung der Preuß. Marine und aller Ma- rine-Etabiſſements an das Reich ohne Entſchädigung, die Abfindung des Für-

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/132>, abgerufen am 30.04.2024.