Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

Bild:
<< vorherige Seite

§. 10. Die Unterordnung der Einzelstaaten unter das Reich.
der Selbstverwaltung überall da Anwendung, wo eine obere
Gewalt die ihr zustehenden Hoheitsrechte nicht unmittelbar mittelst
eines eigenen, zu ihrer ausschließlichen Disposition stehenden Appa-
rates durchführt, sondern sich darauf beschränkt, die Normen für
die Ausübung dieser Hoheitsrechte aufzustellen und ihre Durch-
führung zu beaufsichtigen, während die Durchführung selbst niedern,
untergeordneten politischen Körpern übertragen oder überlassen ist.
Ob die Verwaltung durch besoldete Berufsbeamte oder durch unbe-
soldete Inhaber von Ehrenämtern besorgt wird, ist für den Be-
griff
der Selbstverwaltung unerheblich. Die communale Ver-
waltung durch besoldete, auf lange Zeit oder lebenslänglich ange-
stellte Bürgermeister bleibt Selbstverwaltung; die Thätigkeit unbe-
soldeter Consuln oder der unbesoldeten Mitglieder der Reichsschul-
denkommission ist unter keinem Gesichtspunkt Selbstverwaltung.
Im einzelnen Staate ist Selbstverwaltung diejenige obrigkeitliche
Verwaltung, welche nicht durch Behörden und Beamte des Staates,
oder da diese Behörden nur Organe oder Apparate des Staates
sind, nicht durch den Staat selbst, sondern durch ihm zwar
untergeordnete, aber innerhalb ihres Wirkungskreises selbstständige
Corporationen oder Einzelpersonen versehen wird.

Im Reich ist der Einzelstaat eine, innerhalb seines Wirkungs-
kreises selbstständige Person (Corporation), welche unter der sou-
veränen Gesetzgebung und Aufsicht des Reiches die Verwaltung
führt. Der Art. 4 der Reichsverfassung normirt prinzipiell das
Verhältniß des Reiches zu den Einzelstaaten in der Art, daß die
in diesem Artikel aufgeführten Angelegenheiten "der Beaufsichtigung
Seitens des Reichs und der Gesetzgebung desselben unterliegen."

Das Reich ist demnach dem Prinzip nach auf diejenigen Be-
fugnisse beschränkt, welche der Selbstverwaltung gegenüber be-
stehen, die das Complement der Selbstverwaltung bilden, sie nega-
tiv im Gegensatz zur eigenen und directen Verwaltung durch die
souveräne Gewalt bestimmen, nämlich auf die Aufstellung der Nor-
men und die Beaufsichtigung ihrer Befolgung. Die Durchführung
und Handhabung der Gesetze dagegen ist auf das Reich nicht
übergegangen, folglich den Einzelstaaten verblieben. Jedoch hat

schen Reiches besteht in der ausgedehnten Einwirkung, welche der aus Vertre-
tern des Deutschen Volkes bestehende Reichstag auf alle Reichsangelegenheiten
ausübt."

§. 10. Die Unterordnung der Einzelſtaaten unter das Reich.
der Selbſtverwaltung überall da Anwendung, wo eine obere
Gewalt die ihr zuſtehenden Hoheitsrechte nicht unmittelbar mittelſt
eines eigenen, zu ihrer ausſchließlichen Dispoſition ſtehenden Appa-
rates durchführt, ſondern ſich darauf beſchränkt, die Normen für
die Ausübung dieſer Hoheitsrechte aufzuſtellen und ihre Durch-
führung zu beaufſichtigen, während die Durchführung ſelbſt niedern,
untergeordneten politiſchen Körpern übertragen oder überlaſſen iſt.
Ob die Verwaltung durch beſoldete Berufsbeamte oder durch unbe-
ſoldete Inhaber von Ehrenämtern beſorgt wird, iſt für den Be-
griff
der Selbſtverwaltung unerheblich. Die communale Ver-
waltung durch beſoldete, auf lange Zeit oder lebenslänglich ange-
ſtellte Bürgermeiſter bleibt Selbſtverwaltung; die Thätigkeit unbe-
ſoldeter Conſuln oder der unbeſoldeten Mitglieder der Reichsſchul-
denkommiſſion iſt unter keinem Geſichtspunkt Selbſtverwaltung.
Im einzelnen Staate iſt Selbſtverwaltung diejenige obrigkeitliche
Verwaltung, welche nicht durch Behörden und Beamte des Staates,
oder da dieſe Behörden nur Organe oder Apparate des Staates
ſind, nicht durch den Staat ſelbſt, ſondern durch ihm zwar
untergeordnete, aber innerhalb ihres Wirkungskreiſes ſelbſtſtändige
Corporationen oder Einzelperſonen verſehen wird.

Im Reich iſt der Einzelſtaat eine, innerhalb ſeines Wirkungs-
kreiſes ſelbſtſtändige Perſon (Corporation), welche unter der ſou-
veränen Geſetzgebung und Aufſicht des Reiches die Verwaltung
führt. Der Art. 4 der Reichsverfaſſung normirt prinzipiell das
Verhältniß des Reiches zu den Einzelſtaaten in der Art, daß die
in dieſem Artikel aufgeführten Angelegenheiten „der Beaufſichtigung
Seitens des Reichs und der Geſetzgebung deſſelben unterliegen.“

Das Reich iſt demnach dem Prinzip nach auf diejenigen Be-
fugniſſe beſchränkt, welche der Selbſtverwaltung gegenüber be-
ſtehen, die das Complement der Selbſtverwaltung bilden, ſie nega-
tiv im Gegenſatz zur eigenen und directen Verwaltung durch die
ſouveräne Gewalt beſtimmen, nämlich auf die Aufſtellung der Nor-
men und die Beaufſichtigung ihrer Befolgung. Die Durchführung
und Handhabung der Geſetze dagegen iſt auf das Reich nicht
übergegangen, folglich den Einzelſtaaten verblieben. Jedoch hat

ſchen Reiches beſteht in der ausgedehnten Einwirkung, welche der aus Vertre-
tern des Deutſchen Volkes beſtehende Reichstag auf alle Reichsangelegenheiten
ausübt.“
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0124" n="104"/><fw place="top" type="header">§. 10. Die Unterordnung der Einzel&#x017F;taaten unter das Reich.</fw><lb/>
der Selb&#x017F;tverwaltung <hi rendition="#g">überall</hi> da Anwendung, wo eine obere<lb/>
Gewalt die ihr zu&#x017F;tehenden Hoheitsrechte nicht unmittelbar mittel&#x017F;t<lb/>
eines eigenen, zu ihrer aus&#x017F;chließlichen Dispo&#x017F;ition &#x017F;tehenden Appa-<lb/>
rates durchführt, &#x017F;ondern &#x017F;ich darauf be&#x017F;chränkt, die Normen für<lb/>
die Ausübung die&#x017F;er Hoheitsrechte aufzu&#x017F;tellen und ihre Durch-<lb/>
führung zu beauf&#x017F;ichtigen, während die Durchführung &#x017F;elb&#x017F;t niedern,<lb/>
untergeordneten politi&#x017F;chen Körpern übertragen oder überla&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t.<lb/>
Ob die Verwaltung durch be&#x017F;oldete Berufsbeamte oder durch unbe-<lb/>
&#x017F;oldete Inhaber von Ehrenämtern be&#x017F;orgt wird, i&#x017F;t für den <hi rendition="#g">Be-<lb/>
griff</hi> der Selb&#x017F;tverwaltung unerheblich. Die communale Ver-<lb/>
waltung durch be&#x017F;oldete, auf lange Zeit oder lebenslänglich ange-<lb/>
&#x017F;tellte Bürgermei&#x017F;ter bleibt Selb&#x017F;tverwaltung; die Thätigkeit unbe-<lb/>
&#x017F;oldeter Con&#x017F;uln oder der unbe&#x017F;oldeten Mitglieder der Reichs&#x017F;chul-<lb/>
denkommi&#x017F;&#x017F;ion i&#x017F;t unter keinem Ge&#x017F;ichtspunkt Selb&#x017F;tverwaltung.<lb/>
Im einzelnen Staate i&#x017F;t Selb&#x017F;tverwaltung diejenige obrigkeitliche<lb/>
Verwaltung, welche nicht durch Behörden und Beamte des Staates,<lb/>
oder da die&#x017F;e Behörden nur Organe oder Apparate des Staates<lb/>
&#x017F;ind, <hi rendition="#g">nicht durch den Staat &#x017F;elb&#x017F;t</hi>, &#x017F;ondern durch ihm zwar<lb/>
untergeordnete, aber innerhalb ihres Wirkungskrei&#x017F;es &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;tändige<lb/>
Corporationen oder Einzelper&#x017F;onen ver&#x017F;ehen wird.</p><lb/>
          <p>Im <hi rendition="#g">Reich</hi> i&#x017F;t der Einzel&#x017F;taat eine, innerhalb &#x017F;eines Wirkungs-<lb/>
krei&#x017F;es &#x017F;elb&#x017F;t&#x017F;tändige Per&#x017F;on (Corporation), welche unter der &#x017F;ou-<lb/>
veränen Ge&#x017F;etzgebung und Auf&#x017F;icht des Reiches die Verwaltung<lb/>
führt. Der Art. 4 der Reichsverfa&#x017F;&#x017F;ung normirt prinzipiell das<lb/>
Verhältniß des Reiches zu den Einzel&#x017F;taaten in der Art, daß die<lb/>
in die&#x017F;em Artikel aufgeführten Angelegenheiten &#x201E;der Beauf&#x017F;ichtigung<lb/>
Seitens des Reichs und der Ge&#x017F;etzgebung de&#x017F;&#x017F;elben unterliegen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Das Reich i&#x017F;t demnach dem Prinzip nach auf diejenigen Be-<lb/>
fugni&#x017F;&#x017F;e be&#x017F;chränkt, welche der Selb&#x017F;tverwaltung <hi rendition="#g">gegenüber</hi> be-<lb/>
&#x017F;tehen, die das Complement der Selb&#x017F;tverwaltung bilden, &#x017F;ie nega-<lb/>
tiv im Gegen&#x017F;atz zur eigenen und directen Verwaltung durch die<lb/>
&#x017F;ouveräne Gewalt be&#x017F;timmen, nämlich auf die Auf&#x017F;tellung der Nor-<lb/>
men und die Beauf&#x017F;ichtigung ihrer Befolgung. Die Durchführung<lb/>
und Handhabung der Ge&#x017F;etze dagegen i&#x017F;t auf das Reich nicht<lb/>
übergegangen, folglich den Einzel&#x017F;taaten verblieben. Jedoch hat<lb/><note xml:id="seg2pn_13_2" prev="#seg2pn_13_1" place="foot" n="2)">&#x017F;chen Reiches be&#x017F;teht in der ausgedehnten Einwirkung, welche der aus Vertre-<lb/>
tern des Deut&#x017F;chen Volkes be&#x017F;tehende Reichstag auf alle Reichsangelegenheiten<lb/>
ausübt.&#x201C;</note><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[104/0124] §. 10. Die Unterordnung der Einzelſtaaten unter das Reich. der Selbſtverwaltung überall da Anwendung, wo eine obere Gewalt die ihr zuſtehenden Hoheitsrechte nicht unmittelbar mittelſt eines eigenen, zu ihrer ausſchließlichen Dispoſition ſtehenden Appa- rates durchführt, ſondern ſich darauf beſchränkt, die Normen für die Ausübung dieſer Hoheitsrechte aufzuſtellen und ihre Durch- führung zu beaufſichtigen, während die Durchführung ſelbſt niedern, untergeordneten politiſchen Körpern übertragen oder überlaſſen iſt. Ob die Verwaltung durch beſoldete Berufsbeamte oder durch unbe- ſoldete Inhaber von Ehrenämtern beſorgt wird, iſt für den Be- griff der Selbſtverwaltung unerheblich. Die communale Ver- waltung durch beſoldete, auf lange Zeit oder lebenslänglich ange- ſtellte Bürgermeiſter bleibt Selbſtverwaltung; die Thätigkeit unbe- ſoldeter Conſuln oder der unbeſoldeten Mitglieder der Reichsſchul- denkommiſſion iſt unter keinem Geſichtspunkt Selbſtverwaltung. Im einzelnen Staate iſt Selbſtverwaltung diejenige obrigkeitliche Verwaltung, welche nicht durch Behörden und Beamte des Staates, oder da dieſe Behörden nur Organe oder Apparate des Staates ſind, nicht durch den Staat ſelbſt, ſondern durch ihm zwar untergeordnete, aber innerhalb ihres Wirkungskreiſes ſelbſtſtändige Corporationen oder Einzelperſonen verſehen wird. Im Reich iſt der Einzelſtaat eine, innerhalb ſeines Wirkungs- kreiſes ſelbſtſtändige Perſon (Corporation), welche unter der ſou- veränen Geſetzgebung und Aufſicht des Reiches die Verwaltung führt. Der Art. 4 der Reichsverfaſſung normirt prinzipiell das Verhältniß des Reiches zu den Einzelſtaaten in der Art, daß die in dieſem Artikel aufgeführten Angelegenheiten „der Beaufſichtigung Seitens des Reichs und der Geſetzgebung deſſelben unterliegen.“ Das Reich iſt demnach dem Prinzip nach auf diejenigen Be- fugniſſe beſchränkt, welche der Selbſtverwaltung gegenüber be- ſtehen, die das Complement der Selbſtverwaltung bilden, ſie nega- tiv im Gegenſatz zur eigenen und directen Verwaltung durch die ſouveräne Gewalt beſtimmen, nämlich auf die Aufſtellung der Nor- men und die Beaufſichtigung ihrer Befolgung. Die Durchführung und Handhabung der Geſetze dagegen iſt auf das Reich nicht übergegangen, folglich den Einzelſtaaten verblieben. Jedoch hat 2) 2) ſchen Reiches beſteht in der ausgedehnten Einwirkung, welche der aus Vertre- tern des Deutſchen Volkes beſtehende Reichstag auf alle Reichsangelegenheiten ausübt.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/124
Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/124>, abgerufen am 30.04.2024.