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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 10. Die Unterordnung der Einzelstaaten unter das Reich.
schritt angebahnt, als er den Begriff des Verwaltungskör-
pers
im Gegensatz zum Regierungsorgan entwickelt, und die
öffentlich rechtliche (juristische) Persönlichkeit des Verwaltungskör-
pers als begriffliches Erforderniß desselben dargethan hat 1). Dieses
Resultat wird aber theils dadurch verdüstert, daß Stein die Selbst-
verwaltungskörper mit den "Vertretungen" und "Vereinen" in
Zusammenhang bringt und aus ihnen ein "System der freien
Verwaltung" combinirt, theils in seinem staatsrechtlichen Werth
verkümmert, indem er die Selbstverwaltung stützt "auf die örtlich
begrenzte aber sachlich unbegrenzte Gemeinschaft, die durch
den Grundbesitz und seine Interessen und Verhältnisse
gegeben wird" (S. 128). Die Rechtssphäre der Selbstverwaltungs-
körper ist keine sachlich unbegränzte, der Grundbesitz ist nicht die
alleinige Quelle der in dem Selbstverwaltungskörper zur Erschei-
nung kommenden Gemeinschaft. Das natürliche Substrat
des Selbstverwaltungskörpers ist ganz dasselbe wie
dasjenige des Staates
: ein örtlich begrenztes Gebiet und
die auf demselben ansässigen Staatsbürger, und die recht-
liche Quelle seiner Befugnisse ist das souveräne
Herrschaftsrecht des Staates
, welcher dem Selbstverwal-
tungskörper die selbstständige Handhabung obrigkeitlicher Rechte
und Pflichten übertragen resp., wo er denselben vorgefunden, über-
lassen hat.

Selbstverwaltung bedeutet seinem Wortsinn nach den Gegen-
satz zum Verwaltet-werden. Wird von einem politischen Körper
ausgesagt, daß er sich selbst verwaltet, so setzt das begrifflich immer
eine höhere Macht voraus, von der er auch verwaltet werden
könnte. Das Wort ist daher unanwendbar von der höchsten,
obersten, wirklich souveränen Macht, da bei ihr ein Verwaltet-
werden unmöglich und undenkbar ist 2). Dagegen findet der Begriff

1) Auch H. Schulze Preuß. Staatsr. II. S. 3 hebt die juristische Per-
sönlichkeit der korporativen Verbände, denen die Selbstverwaltung übertragen
ist, mit Nachdruck hervor. Zu den besten Erörterungen über das Wesen der
Selbstverwaltung gehören die kurzen Ausführungen von Ernst Meier in v.
Holtzendorff's Encyclopädie I. 2. Aufl. S. 853 fg.
2) Eine Folge der herrschenden Lehre von der Selbstverwaltung ist die,
daß man selbst die Volksvertretung dahin rechnet. So sagt z. B. Wester-
kamp
Reichsverfassung S. 232: "die Selbstverwaltung innerhalb des Deut-

§. 10. Die Unterordnung der Einzelſtaaten unter das Reich.
ſchritt angebahnt, als er den Begriff des Verwaltungskör-
pers
im Gegenſatz zum Regierungsorgan entwickelt, und die
öffentlich rechtliche (juriſtiſche) Perſönlichkeit des Verwaltungskör-
pers als begriffliches Erforderniß deſſelben dargethan hat 1). Dieſes
Reſultat wird aber theils dadurch verdüſtert, daß Stein die Selbſt-
verwaltungskörper mit den „Vertretungen“ und „Vereinen“ in
Zuſammenhang bringt und aus ihnen ein „Syſtem der freien
Verwaltung“ combinirt, theils in ſeinem ſtaatsrechtlichen Werth
verkümmert, indem er die Selbſtverwaltung ſtützt „auf die örtlich
begrenzte aber ſachlich unbegrenzte Gemeinſchaft, die durch
den Grundbeſitz und ſeine Intereſſen und Verhältniſſe
gegeben wird“ (S. 128). Die Rechtsſphäre der Selbſtverwaltungs-
körper iſt keine ſachlich unbegränzte, der Grundbeſitz iſt nicht die
alleinige Quelle der in dem Selbſtverwaltungskörper zur Erſchei-
nung kommenden Gemeinſchaft. Das natürliche Subſtrat
des Selbſtverwaltungskörpers iſt ganz daſſelbe wie
dasjenige des Staates
: ein örtlich begrenztes Gebiet und
die auf demſelben anſäſſigen Staatsbürger, und die recht-
liche Quelle ſeiner Befugniſſe iſt das ſouveräne
Herrſchaftsrecht des Staates
, welcher dem Selbſtverwal-
tungskörper die ſelbſtſtändige Handhabung obrigkeitlicher Rechte
und Pflichten übertragen reſp., wo er denſelben vorgefunden, über-
laſſen hat.

Selbſtverwaltung bedeutet ſeinem Wortſinn nach den Gegen-
ſatz zum Verwaltet-werden. Wird von einem politiſchen Körper
ausgeſagt, daß er ſich ſelbſt verwaltet, ſo ſetzt das begrifflich immer
eine höhere Macht voraus, von der er auch verwaltet werden
könnte. Das Wort iſt daher unanwendbar von der höchſten,
oberſten, wirklich ſouveränen Macht, da bei ihr ein Verwaltet-
werden unmöglich und undenkbar iſt 2). Dagegen findet der Begriff

1) Auch H. Schulze Preuß. Staatsr. II. S. 3 hebt die juriſtiſche Per-
ſönlichkeit der korporativen Verbände, denen die Selbſtverwaltung übertragen
iſt, mit Nachdruck hervor. Zu den beſten Erörterungen über das Weſen der
Selbſtverwaltung gehören die kurzen Ausführungen von Ernſt Meier in v.
Holtzendorff’s Encyclopädie I. 2. Aufl. S. 853 fg.
2) Eine Folge der herrſchenden Lehre von der Selbſtverwaltung iſt die,
daß man ſelbſt die Volksvertretung dahin rechnet. So ſagt z. B. Weſter-
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Reichsverfaſſung S. 232: „die Selbſtverwaltung innerhalb des Deut-
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[103/0123] §. 10. Die Unterordnung der Einzelſtaaten unter das Reich. ſchritt angebahnt, als er den Begriff des Verwaltungskör- pers im Gegenſatz zum Regierungsorgan entwickelt, und die öffentlich rechtliche (juriſtiſche) Perſönlichkeit des Verwaltungskör- pers als begriffliches Erforderniß deſſelben dargethan hat 1). Dieſes Reſultat wird aber theils dadurch verdüſtert, daß Stein die Selbſt- verwaltungskörper mit den „Vertretungen“ und „Vereinen“ in Zuſammenhang bringt und aus ihnen ein „Syſtem der freien Verwaltung“ combinirt, theils in ſeinem ſtaatsrechtlichen Werth verkümmert, indem er die Selbſtverwaltung ſtützt „auf die örtlich begrenzte aber ſachlich unbegrenzte Gemeinſchaft, die durch den Grundbeſitz und ſeine Intereſſen und Verhältniſſe gegeben wird“ (S. 128). Die Rechtsſphäre der Selbſtverwaltungs- körper iſt keine ſachlich unbegränzte, der Grundbeſitz iſt nicht die alleinige Quelle der in dem Selbſtverwaltungskörper zur Erſchei- nung kommenden Gemeinſchaft. Das natürliche Subſtrat des Selbſtverwaltungskörpers iſt ganz daſſelbe wie dasjenige des Staates: ein örtlich begrenztes Gebiet und die auf demſelben anſäſſigen Staatsbürger, und die recht- liche Quelle ſeiner Befugniſſe iſt das ſouveräne Herrſchaftsrecht des Staates, welcher dem Selbſtverwal- tungskörper die ſelbſtſtändige Handhabung obrigkeitlicher Rechte und Pflichten übertragen reſp., wo er denſelben vorgefunden, über- laſſen hat. Selbſtverwaltung bedeutet ſeinem Wortſinn nach den Gegen- ſatz zum Verwaltet-werden. Wird von einem politiſchen Körper ausgeſagt, daß er ſich ſelbſt verwaltet, ſo ſetzt das begrifflich immer eine höhere Macht voraus, von der er auch verwaltet werden könnte. Das Wort iſt daher unanwendbar von der höchſten, oberſten, wirklich ſouveränen Macht, da bei ihr ein Verwaltet- werden unmöglich und undenkbar iſt 2). Dagegen findet der Begriff 1) Auch H. Schulze Preuß. Staatsr. II. S. 3 hebt die juriſtiſche Per- ſönlichkeit der korporativen Verbände, denen die Selbſtverwaltung übertragen iſt, mit Nachdruck hervor. Zu den beſten Erörterungen über das Weſen der Selbſtverwaltung gehören die kurzen Ausführungen von Ernſt Meier in v. Holtzendorff’s Encyclopädie I. 2. Aufl. S. 853 fg. 2) Eine Folge der herrſchenden Lehre von der Selbſtverwaltung iſt die, daß man ſelbſt die Volksvertretung dahin rechnet. So ſagt z. B. Weſter- kamp Reichsverfaſſung S. 232: „die Selbſtverwaltung innerhalb des Deut-

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/123>, abgerufen am 30.04.2024.