§. 10. Die Unterordnung der Einzelstaaten unter das Reich.
der Staat selbst, der diesen Zwang handhabt, sondern ein öffent- lich rechtliches Subject, das zwischen den Staat und den Einzelnen gestellt ist und das vom Staat zur Durchführung seiner Aufgaben verwendet wird.
Dieser Zwischenbau zwischen Staatsgewalt und Staatsbürger kann verschieden organisirt sein. Es können die Mittelglieder monarchisch gebildet sein; dies war der Fall bei den Immunitäts- herren des Mittelalters, bei den zu Landesherren gewordenen Für- sten und Grafen des alten Reiches, bei den mit Gerichtsbarkeit und Ortspolizeigewat ausgestatteten Grundherren. Dem feudalen Staat entspricht der patrimoniale Charakter der Selbstverwaltungs- Aemter. Patrimonialgerichtsbarkeit und gutsherrliche Polizei sind demnach nicht, wie man gewöhnlich sagt, der Gegensatz der Selbstverwaltung, sondern eine Bethätigung, eine Form derselben; aber allerdings eine Form, die im Widerspruch steht mit den Prin- zipien des heutigen Staatsrechts und den sein ganzes Wesen be- herrschenden Ideen.
Es können ferner die Mittelglieder in der Gestalt der juristi- schen Personen des öffentlichen Rechts, also corporativ organisirt sein, als örtlich begränzte Verbände, die ihre rechtlich normirte Verfassung haben und als Subjecte von öffentlichen (obrigkeitlichen) Rechten und Pflichten fungiren. Selbstverwaltungskörper dieser Art waren in Deutschland im Mittelalter die Städte und freien Landgemeinden und auch in England nimmt die Geschichte des Self- governments ihren Ausgangspunkt von der Bildung öffentlich recht- licher Corporationen. Vgl. Stein, Verwaltungslehre 2. Aufl. I. 2. S. 160 fg. Die Verwandlung der feudalen Selbstverwaltungs- ämter in corporative, beziehentlich die Neubildung corporativer Verbände und die Beauftragung derselben mit obrigkeitlichen Ge- schäften, die bisher der Staat selbst durch eigene Beamte ausge- führt hat, das ist die politische That unserer Zeit, die man -- soweit es sich um die Beseitigung der gutsherrlichen Polizei dabei handelte -- ungenau die Einführung der Selbstverwaltung nennt, indem man eine Gestalt der Selbstverwaltung für den Begriff derselben nimmt.
Für das richtige Verständniß der Selbstverwaltung hat Lo- renz Stein in der zweiten Auflage seiner Verwaltungslehre I. Theil 2. Abth. (Stuttg. 1869) in so fern einen bedeutenden Fort-
§. 10. Die Unterordnung der Einzelſtaaten unter das Reich.
der Staat ſelbſt, der dieſen Zwang handhabt, ſondern ein öffent- lich rechtliches Subject, das zwiſchen den Staat und den Einzelnen geſtellt iſt und das vom Staat zur Durchführung ſeiner Aufgaben verwendet wird.
Dieſer Zwiſchenbau zwiſchen Staatsgewalt und Staatsbürger kann verſchieden organiſirt ſein. Es können die Mittelglieder monarchiſch gebildet ſein; dies war der Fall bei den Immunitäts- herren des Mittelalters, bei den zu Landesherren gewordenen Für- ſten und Grafen des alten Reiches, bei den mit Gerichtsbarkeit und Ortspolizeigewat ausgeſtatteten Grundherren. Dem feudalen Staat entſpricht der patrimoniale Charakter der Selbſtverwaltungs- Aemter. Patrimonialgerichtsbarkeit und gutsherrliche Polizei ſind demnach nicht, wie man gewöhnlich ſagt, der Gegenſatz der Selbſtverwaltung, ſondern eine Bethätigung, eine Form derſelben; aber allerdings eine Form, die im Widerſpruch ſteht mit den Prin- zipien des heutigen Staatsrechts und den ſein ganzes Weſen be- herrſchenden Ideen.
Es können ferner die Mittelglieder in der Geſtalt der juriſti- ſchen Perſonen des öffentlichen Rechts, alſo corporativ organiſirt ſein, als örtlich begränzte Verbände, die ihre rechtlich normirte Verfaſſung haben und als Subjecte von öffentlichen (obrigkeitlichen) Rechten und Pflichten fungiren. Selbſtverwaltungskörper dieſer Art waren in Deutſchland im Mittelalter die Städte und freien Landgemeinden und auch in England nimmt die Geſchichte des Self- governments ihren Ausgangspunkt von der Bildung öffentlich recht- licher Corporationen. Vgl. Stein, Verwaltungslehre 2. Aufl. I. 2. S. 160 fg. Die Verwandlung der feudalen Selbſtverwaltungs- ämter in corporative, beziehentlich die Neubildung corporativer Verbände und die Beauftragung derſelben mit obrigkeitlichen Ge- ſchäften, die bisher der Staat ſelbſt durch eigene Beamte ausge- führt hat, das iſt die politiſche That unſerer Zeit, die man — ſoweit es ſich um die Beſeitigung der gutsherrlichen Polizei dabei handelte — ungenau die Einführung der Selbſtverwaltung nennt, indem man eine Geſtalt der Selbſtverwaltung für den Begriff derſelben nimmt.
Für das richtige Verſtändniß der Selbſtverwaltung hat Lo- renz Stein in der zweiten Auflage ſeiner Verwaltungslehre I. Theil 2. Abth. (Stuttg. 1869) in ſo fern einen bedeutenden Fort-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0122"n="102"/><fwplace="top"type="header">§. 10. Die Unterordnung der Einzelſtaaten unter das Reich.</fw><lb/>
der Staat ſelbſt, der dieſen Zwang handhabt, ſondern ein öffent-<lb/>
lich rechtliches Subject, das zwiſchen den Staat und den Einzelnen<lb/>
geſtellt iſt und das vom Staat zur Durchführung ſeiner Aufgaben<lb/>
verwendet wird.</p><lb/><p>Dieſer Zwiſchenbau zwiſchen Staatsgewalt und Staatsbürger<lb/>
kann verſchieden organiſirt ſein. Es können die Mittelglieder<lb/>
monarchiſch gebildet ſein; dies war der Fall bei den Immunitäts-<lb/>
herren des Mittelalters, bei den zu Landesherren gewordenen Für-<lb/>ſten und Grafen des alten Reiches, bei den mit Gerichtsbarkeit<lb/>
und Ortspolizeigewat ausgeſtatteten Grundherren. Dem feudalen<lb/>
Staat entſpricht der patrimoniale Charakter der Selbſtverwaltungs-<lb/>
Aemter. Patrimonialgerichtsbarkeit und gutsherrliche Polizei ſind<lb/>
demnach nicht, wie man gewöhnlich ſagt, der <hirendition="#g">Gegenſatz</hi> der<lb/>
Selbſtverwaltung, ſondern eine Bethätigung, eine Form derſelben;<lb/>
aber allerdings eine Form, die im Widerſpruch ſteht mit den Prin-<lb/>
zipien des heutigen Staatsrechts und den ſein ganzes Weſen be-<lb/>
herrſchenden Ideen.</p><lb/><p>Es können ferner die Mittelglieder in der Geſtalt der juriſti-<lb/>ſchen Perſonen des öffentlichen Rechts, alſo corporativ organiſirt<lb/>ſein, als örtlich begränzte Verbände, die ihre rechtlich normirte<lb/>
Verfaſſung haben und als Subjecte von öffentlichen (obrigkeitlichen)<lb/>
Rechten und Pflichten fungiren. Selbſtverwaltungskörper dieſer<lb/>
Art waren in Deutſchland im Mittelalter die Städte und freien<lb/>
Landgemeinden und auch in England nimmt die Geſchichte des Self-<lb/>
governments ihren Ausgangspunkt von der Bildung öffentlich recht-<lb/>
licher Corporationen. Vgl. Stein, Verwaltungslehre 2. Aufl. <hirendition="#aq">I.</hi><lb/>
2. S. 160 fg. Die Verwandlung der feudalen Selbſtverwaltungs-<lb/>
ämter in corporative, beziehentlich die Neubildung corporativer<lb/>
Verbände und die Beauftragung derſelben mit obrigkeitlichen Ge-<lb/>ſchäften, die bisher der Staat ſelbſt durch eigene Beamte ausge-<lb/>
führt hat, das iſt die politiſche That unſerer Zeit, die man —<lb/>ſoweit es ſich um die Beſeitigung der gutsherrlichen Polizei dabei<lb/>
handelte — ungenau die Einführung der Selbſtverwaltung nennt,<lb/>
indem man eine Geſtalt der Selbſtverwaltung für den Begriff<lb/>
derſelben nimmt.</p><lb/><p>Für das richtige Verſtändniß der Selbſtverwaltung hat <hirendition="#g">Lo-<lb/>
renz Stein</hi> in der zweiten Auflage ſeiner Verwaltungslehre <hirendition="#aq">I.</hi><lb/>
Theil 2. Abth. (Stuttg. 1869) in ſo fern einen bedeutenden Fort-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[102/0122]
§. 10. Die Unterordnung der Einzelſtaaten unter das Reich.
der Staat ſelbſt, der dieſen Zwang handhabt, ſondern ein öffent-
lich rechtliches Subject, das zwiſchen den Staat und den Einzelnen
geſtellt iſt und das vom Staat zur Durchführung ſeiner Aufgaben
verwendet wird.
Dieſer Zwiſchenbau zwiſchen Staatsgewalt und Staatsbürger
kann verſchieden organiſirt ſein. Es können die Mittelglieder
monarchiſch gebildet ſein; dies war der Fall bei den Immunitäts-
herren des Mittelalters, bei den zu Landesherren gewordenen Für-
ſten und Grafen des alten Reiches, bei den mit Gerichtsbarkeit
und Ortspolizeigewat ausgeſtatteten Grundherren. Dem feudalen
Staat entſpricht der patrimoniale Charakter der Selbſtverwaltungs-
Aemter. Patrimonialgerichtsbarkeit und gutsherrliche Polizei ſind
demnach nicht, wie man gewöhnlich ſagt, der Gegenſatz der
Selbſtverwaltung, ſondern eine Bethätigung, eine Form derſelben;
aber allerdings eine Form, die im Widerſpruch ſteht mit den Prin-
zipien des heutigen Staatsrechts und den ſein ganzes Weſen be-
herrſchenden Ideen.
Es können ferner die Mittelglieder in der Geſtalt der juriſti-
ſchen Perſonen des öffentlichen Rechts, alſo corporativ organiſirt
ſein, als örtlich begränzte Verbände, die ihre rechtlich normirte
Verfaſſung haben und als Subjecte von öffentlichen (obrigkeitlichen)
Rechten und Pflichten fungiren. Selbſtverwaltungskörper dieſer
Art waren in Deutſchland im Mittelalter die Städte und freien
Landgemeinden und auch in England nimmt die Geſchichte des Self-
governments ihren Ausgangspunkt von der Bildung öffentlich recht-
licher Corporationen. Vgl. Stein, Verwaltungslehre 2. Aufl. I.
2. S. 160 fg. Die Verwandlung der feudalen Selbſtverwaltungs-
ämter in corporative, beziehentlich die Neubildung corporativer
Verbände und die Beauftragung derſelben mit obrigkeitlichen Ge-
ſchäften, die bisher der Staat ſelbſt durch eigene Beamte ausge-
führt hat, das iſt die politiſche That unſerer Zeit, die man —
ſoweit es ſich um die Beſeitigung der gutsherrlichen Polizei dabei
handelte — ungenau die Einführung der Selbſtverwaltung nennt,
indem man eine Geſtalt der Selbſtverwaltung für den Begriff
derſelben nimmt.
Für das richtige Verſtändniß der Selbſtverwaltung hat Lo-
renz Stein in der zweiten Auflage ſeiner Verwaltungslehre I.
Theil 2. Abth. (Stuttg. 1869) in ſo fern einen bedeutenden Fort-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/122>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.