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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 10. Die Unterordnung der Einzelstaaten unter das Reich.
selbst nicht; seine Ausdrucksweise aber hat die Veranlassung gege-
ben, unter wirthschaftlicher Selbstverwaltung die Beseitigung oder
Einschränkung der Bevormundung von Gemeinde-Verbänden hin-
sichtlich der Verwaltung ihres privatrechtlichen Vermögens zu ver-
stehen; ja selbst die Handlungsfähigkeit der einzelnen Menschen
innerhalb der rechtlichen Schranken als Selbstverwaltung zu be-
zeichnen. Aus diesem doctrinären Begriff der Selbstverwaltung ist
jede Spur von staatsrechtlichem, überhaupt von juristischem, Inhalte
entschwunden. Die äußerste Linie ist in dieser Richtung wohl er-
reicht worden von Hermann Rösler das sociale Verwaltungs-
recht. 1872. I. S. 43 fg. Er sagt:

"Die Selbstverwaltung im materiellen Sinne bedeutet die
rechtliche Anerkennung der Wahrheit, daß die Entwicklung der
Menschen auf ihrer eigenen, gesellschaftlich bedingten Thä-
tigkeit
beruht, und sie besteht in der rechtmäßigen Durchführung
der socialen Freiheit in allen Verhältnissen des Culturlebens.
Die Selbstverwaltung verleiht (sic!) den Einzelnen ein bestimmtes
Gebiet unabhängiger Thätigkeit gegenüber den Verwal-
tungsorganen
und namentlich auch gegenüber dem Staate; sie
verleiht aber zugleich den Einzelnen einen bestimmenden Einfluß
auf die Bildung und die Thätigkeit der Verwaltungsorgane selbst" 1).

Für diese Charakteristik der Selbstverwaltung beruft sich der
Verf. auf Gneist, nur rectifizirt er ihn dahin, daß auch "eigene
Rechte und gesellschaftliche Interessen" Gegenstand der Selbstver-
waltung seien, indem er ihn auf den Mündel aufmerksam macht,
"der mündig wird und zur Selbstverwaltung übergeht." (!)

Welche Theorie der Selbstverwaltung auf solcher Grundlage
erbaut wird, kann man wohl ahnen. Als "allgemeine Sätze"
stellt Rösler folgende hin:

1. Alle Selbstverwaltung im materiellen Sinne beruht noth-
wendig auf der Freiheit des natürlichen (!) Lebens und des Ge-
wissens, sowie auf Freiheit der Religion, der Wissenschaft und
der Kunst.

2. Die freie Entscheidung und Thätigkeit müssen in allen An-

1) Keineswegs richtiger, sondern noch unklarer sind die Bemerkungen in
Tellkampfs Schrift "Die Selbstverwaltung" Berlin 1872 S. 15 sg. 31 fg.
über das "Wesen der Selbstverwaltung" und über "ihre Bedeutung für den
Rechts- und Verfassungsstaat."

§. 10. Die Unterordnung der Einzelſtaaten unter das Reich.
ſelbſt nicht; ſeine Ausdrucksweiſe aber hat die Veranlaſſung gege-
ben, unter wirthſchaftlicher Selbſtverwaltung die Beſeitigung oder
Einſchränkung der Bevormundung von Gemeinde-Verbänden hin-
ſichtlich der Verwaltung ihres privatrechtlichen Vermögens zu ver-
ſtehen; ja ſelbſt die Handlungsfähigkeit der einzelnen Menſchen
innerhalb der rechtlichen Schranken als Selbſtverwaltung zu be-
zeichnen. Aus dieſem doctrinären Begriff der Selbſtverwaltung iſt
jede Spur von ſtaatsrechtlichem, überhaupt von juriſtiſchem, Inhalte
entſchwunden. Die äußerſte Linie iſt in dieſer Richtung wohl er-
reicht worden von Hermann Rösler das ſociale Verwaltungs-
recht. 1872. I. S. 43 fg. Er ſagt:

„Die Selbſtverwaltung im materiellen Sinne bedeutet die
rechtliche Anerkennung der Wahrheit, daß die Entwicklung der
Menſchen auf ihrer eigenen, geſellſchaftlich bedingten Thä-
tigkeit
beruht, und ſie beſteht in der rechtmäßigen Durchführung
der ſocialen Freiheit in allen Verhältniſſen des Culturlebens.
Die Selbſtverwaltung verleiht (sic!) den Einzelnen ein beſtimmtes
Gebiet unabhängiger Thätigkeit gegenüber den Verwal-
tungsorganen
und namentlich auch gegenüber dem Staate; ſie
verleiht aber zugleich den Einzelnen einen beſtimmenden Einfluß
auf die Bildung und die Thätigkeit der Verwaltungsorgane ſelbſt“ 1).

Für dieſe Charakteriſtik der Selbſtverwaltung beruft ſich der
Verf. auf Gneiſt, nur rectifizirt er ihn dahin, daß auch „eigene
Rechte und geſellſchaftliche Intereſſen“ Gegenſtand der Selbſtver-
waltung ſeien, indem er ihn auf den Mündel aufmerkſam macht,
„der mündig wird und zur Selbſtverwaltung übergeht.“ (!)

Welche Theorie der Selbſtverwaltung auf ſolcher Grundlage
erbaut wird, kann man wohl ahnen. Als „allgemeine Sätze“
ſtellt Rösler folgende hin:

1. Alle Selbſtverwaltung im materiellen Sinne beruht noth-
wendig auf der Freiheit des natürlichen (!) Lebens und des Ge-
wiſſens, ſowie auf Freiheit der Religion, der Wiſſenſchaft und
der Kunſt.

2. Die freie Entſcheidung und Thätigkeit müſſen in allen An-

1) Keineswegs richtiger, ſondern noch unklarer ſind die Bemerkungen in
Tellkampfs Schrift „Die Selbſtverwaltung“ Berlin 1872 S. 15 ſg. 31 fg.
über das „Weſen der Selbſtverwaltung“ und über „ihre Bedeutung für den
Rechts- und Verfaſſungsſtaat.“
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[100/0120] §. 10. Die Unterordnung der Einzelſtaaten unter das Reich. ſelbſt nicht; ſeine Ausdrucksweiſe aber hat die Veranlaſſung gege- ben, unter wirthſchaftlicher Selbſtverwaltung die Beſeitigung oder Einſchränkung der Bevormundung von Gemeinde-Verbänden hin- ſichtlich der Verwaltung ihres privatrechtlichen Vermögens zu ver- ſtehen; ja ſelbſt die Handlungsfähigkeit der einzelnen Menſchen innerhalb der rechtlichen Schranken als Selbſtverwaltung zu be- zeichnen. Aus dieſem doctrinären Begriff der Selbſtverwaltung iſt jede Spur von ſtaatsrechtlichem, überhaupt von juriſtiſchem, Inhalte entſchwunden. Die äußerſte Linie iſt in dieſer Richtung wohl er- reicht worden von Hermann Rösler das ſociale Verwaltungs- recht. 1872. I. S. 43 fg. Er ſagt: „Die Selbſtverwaltung im materiellen Sinne bedeutet die rechtliche Anerkennung der Wahrheit, daß die Entwicklung der Menſchen auf ihrer eigenen, geſellſchaftlich bedingten Thä- tigkeit beruht, und ſie beſteht in der rechtmäßigen Durchführung der ſocialen Freiheit in allen Verhältniſſen des Culturlebens. Die Selbſtverwaltung verleiht (sic!) den Einzelnen ein beſtimmtes Gebiet unabhängiger Thätigkeit gegenüber den Verwal- tungsorganen und namentlich auch gegenüber dem Staate; ſie verleiht aber zugleich den Einzelnen einen beſtimmenden Einfluß auf die Bildung und die Thätigkeit der Verwaltungsorgane ſelbſt“ 1). Für dieſe Charakteriſtik der Selbſtverwaltung beruft ſich der Verf. auf Gneiſt, nur rectifizirt er ihn dahin, daß auch „eigene Rechte und geſellſchaftliche Intereſſen“ Gegenſtand der Selbſtver- waltung ſeien, indem er ihn auf den Mündel aufmerkſam macht, „der mündig wird und zur Selbſtverwaltung übergeht.“ (!) Welche Theorie der Selbſtverwaltung auf ſolcher Grundlage erbaut wird, kann man wohl ahnen. Als „allgemeine Sätze“ ſtellt Rösler folgende hin: 1. Alle Selbſtverwaltung im materiellen Sinne beruht noth- wendig auf der Freiheit des natürlichen (!) Lebens und des Ge- wiſſens, ſowie auf Freiheit der Religion, der Wiſſenſchaft und der Kunſt. 2. Die freie Entſcheidung und Thätigkeit müſſen in allen An- 1) Keineswegs richtiger, ſondern noch unklarer ſind die Bemerkungen in Tellkampfs Schrift „Die Selbſtverwaltung“ Berlin 1872 S. 15 ſg. 31 fg. über das „Weſen der Selbſtverwaltung“ und über „ihre Bedeutung für den Rechts- und Verfaſſungsſtaat.“

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/120>, abgerufen am 25.11.2024.