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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 10. Die Unterordnung der Einzelstaaten unter das Reich.
polizei, die Militäraushebung und Einquartierung, die Steuer-
jurisdiction der directen Staats- und Communalsteuern, rechnet
die Gesellschaft überhaupt nicht mehr zu ihrer Selbstverwaltung."

Aus einer Vergleichung dieser beiden Stellen ergiebt sich, daß
nur scheinbar die wirthschaftliche Selbstverwaltung im Sinne Gneist's
auf andere Gegenstände wie die obrigkeitliche Selbstverwaltung sich
erstreckt. Das Verzeichniß der zu dem obrigkeitlichen Selfgovern-
ment gehörenden Functionen ist nur größer; was der wirthschaft-
lichen Selbstverwaltung zugerechnet wird, nämlich Armenpflege,
Gesundheitspflege, die ja doch ein Theil der Sicherheits- und
Wohlfahrtspolizei und in einigen Beziehungen ein Theil der Ar-
menpflege ist, -- Wegeverwaltung, Ortspolizeiverwaltung, Ver-
waltung des Communalvermögens, findet sich auch in dem von
Gneist aufgestellten Verzeichniß der Gegenstände der obrigkeitlichen
Selbstverwaltung. Es sind auch in der That lauter Aufgaben,
denen sich der Staat nicht entziehen kann, die ihrer Natur nach
Staatsgeschäfte sind. Wie alle großen Aufgaben des Staates haben
auch sie eine wirthschaftliche Bedeutung und können sie ohne finan-
zielle Mittel nicht durchgeführt werden; ebenso wenig aber ist ihre
Durchführung möglich ohne die Staatsgewalt im Sinne einer obrig-
keitlichen Herrschaft, ohne die Macht des Staates, zu befehlen und
zu verbieten. Auch in diesen Gebieten der Verwaltung wird das
Hoheitsrecht des Staates wirksam. Der von Gneist
betonte Gegensatz berührt nicht sowohl das Object der Selbst-
verwaltung, als die Organisation derselben; seine Darstellung
gipfelt in dem Nachweise, daß in den gewählten Versammlungen
mehr die wirthschaftlichen Interessen der gesellschaftlichen Klassen
als die staatlichen Interessen zur Geltung kommen, daß dem alten
englischen Friedensrichter-Amt ein anderes politisches System als
den boards zu Grunde liegt. Am deutlichsten tritt dieser Gedanke
hervor in seinen vortrefflichen Ausführungen in "Verwaltung, Justiz,
Rechtsweg" S. 102 ff. In dieser Hinsicht kann man ihm vollkom-
men zustimmen und sein Urtheil über die politische Bedeutung ge-
wählter Lokalvertretungen adoptiren. Dagegen hört der Begriff
der Selbstverwaltung auf, ein juristisch begränzter zu sein, wenn
man die Fähigkeit juristischer Personen zur Vermögens-Administra-
tion nach Maßgabe ihrer Korporationsverfassung und nach den
Regeln des Privatrechts dazu zählt. Dieser Vorwurf trifft Gneist

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§. 10. Die Unterordnung der Einzelſtaaten unter das Reich.
polizei, die Militäraushebung und Einquartierung, die Steuer-
jurisdiction der directen Staats- und Communalſteuern, rechnet
die Geſellſchaft überhaupt nicht mehr zu ihrer Selbſtverwaltung.“

Aus einer Vergleichung dieſer beiden Stellen ergiebt ſich, daß
nur ſcheinbar die wirthſchaftliche Selbſtverwaltung im Sinne Gneiſt’s
auf andere Gegenſtände wie die obrigkeitliche Selbſtverwaltung ſich
erſtreckt. Das Verzeichniß der zu dem obrigkeitlichen Selfgovern-
ment gehörenden Functionen iſt nur größer; was der wirthſchaft-
lichen Selbſtverwaltung zugerechnet wird, nämlich Armenpflege,
Geſundheitspflege, die ja doch ein Theil der Sicherheits- und
Wohlfahrtspolizei und in einigen Beziehungen ein Theil der Ar-
menpflege iſt, — Wegeverwaltung, Ortspolizeiverwaltung, Ver-
waltung des Communalvermögens, findet ſich auch in dem von
Gneiſt aufgeſtellten Verzeichniß der Gegenſtände der obrigkeitlichen
Selbſtverwaltung. Es ſind auch in der That lauter Aufgaben,
denen ſich der Staat nicht entziehen kann, die ihrer Natur nach
Staatsgeſchäfte ſind. Wie alle großen Aufgaben des Staates haben
auch ſie eine wirthſchaftliche Bedeutung und können ſie ohne finan-
zielle Mittel nicht durchgeführt werden; ebenſo wenig aber iſt ihre
Durchführung möglich ohne die Staatsgewalt im Sinne einer obrig-
keitlichen Herrſchaft, ohne die Macht des Staates, zu befehlen und
zu verbieten. Auch in dieſen Gebieten der Verwaltung wird das
Hoheitsrecht des Staates wirkſam. Der von Gneiſt
betonte Gegenſatz berührt nicht ſowohl das Object der Selbſt-
verwaltung, als die Organiſation derſelben; ſeine Darſtellung
gipfelt in dem Nachweiſe, daß in den gewählten Verſammlungen
mehr die wirthſchaftlichen Intereſſen der geſellſchaftlichen Klaſſen
als die ſtaatlichen Intereſſen zur Geltung kommen, daß dem alten
engliſchen Friedensrichter-Amt ein anderes politiſches Syſtem als
den boards zu Grunde liegt. Am deutlichſten tritt dieſer Gedanke
hervor in ſeinen vortrefflichen Ausführungen in „Verwaltung, Juſtiz,
Rechtsweg“ S. 102 ff. In dieſer Hinſicht kann man ihm vollkom-
men zuſtimmen und ſein Urtheil über die politiſche Bedeutung ge-
wählter Lokalvertretungen adoptiren. Dagegen hört der Begriff
der Selbſtverwaltung auf, ein juriſtiſch begränzter zu ſein, wenn
man die Fähigkeit juriſtiſcher Perſonen zur Vermögens-Adminiſtra-
tion nach Maßgabe ihrer Korporationsverfaſſung und nach den
Regeln des Privatrechts dazu zählt. Dieſer Vorwurf trifft Gneiſt

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[99/0119] §. 10. Die Unterordnung der Einzelſtaaten unter das Reich. polizei, die Militäraushebung und Einquartierung, die Steuer- jurisdiction der directen Staats- und Communalſteuern, rechnet die Geſellſchaft überhaupt nicht mehr zu ihrer Selbſtverwaltung.“ Aus einer Vergleichung dieſer beiden Stellen ergiebt ſich, daß nur ſcheinbar die wirthſchaftliche Selbſtverwaltung im Sinne Gneiſt’s auf andere Gegenſtände wie die obrigkeitliche Selbſtverwaltung ſich erſtreckt. Das Verzeichniß der zu dem obrigkeitlichen Selfgovern- ment gehörenden Functionen iſt nur größer; was der wirthſchaft- lichen Selbſtverwaltung zugerechnet wird, nämlich Armenpflege, Geſundheitspflege, die ja doch ein Theil der Sicherheits- und Wohlfahrtspolizei und in einigen Beziehungen ein Theil der Ar- menpflege iſt, — Wegeverwaltung, Ortspolizeiverwaltung, Ver- waltung des Communalvermögens, findet ſich auch in dem von Gneiſt aufgeſtellten Verzeichniß der Gegenſtände der obrigkeitlichen Selbſtverwaltung. Es ſind auch in der That lauter Aufgaben, denen ſich der Staat nicht entziehen kann, die ihrer Natur nach Staatsgeſchäfte ſind. Wie alle großen Aufgaben des Staates haben auch ſie eine wirthſchaftliche Bedeutung und können ſie ohne finan- zielle Mittel nicht durchgeführt werden; ebenſo wenig aber iſt ihre Durchführung möglich ohne die Staatsgewalt im Sinne einer obrig- keitlichen Herrſchaft, ohne die Macht des Staates, zu befehlen und zu verbieten. Auch in dieſen Gebieten der Verwaltung wird das Hoheitsrecht des Staates wirkſam. Der von Gneiſt betonte Gegenſatz berührt nicht ſowohl das Object der Selbſt- verwaltung, als die Organiſation derſelben; ſeine Darſtellung gipfelt in dem Nachweiſe, daß in den gewählten Verſammlungen mehr die wirthſchaftlichen Intereſſen der geſellſchaftlichen Klaſſen als die ſtaatlichen Intereſſen zur Geltung kommen, daß dem alten engliſchen Friedensrichter-Amt ein anderes politiſches Syſtem als den boards zu Grunde liegt. Am deutlichſten tritt dieſer Gedanke hervor in ſeinen vortrefflichen Ausführungen in „Verwaltung, Juſtiz, Rechtsweg“ S. 102 ff. In dieſer Hinſicht kann man ihm vollkom- men zuſtimmen und ſein Urtheil über die politiſche Bedeutung ge- wählter Lokalvertretungen adoptiren. Dagegen hört der Begriff der Selbſtverwaltung auf, ein juriſtiſch begränzter zu ſein, wenn man die Fähigkeit juriſtiſcher Perſonen zur Vermögens-Adminiſtra- tion nach Maßgabe ihrer Korporationsverfaſſung und nach den Regeln des Privatrechts dazu zählt. Dieſer Vorwurf trifft Gneiſt 7*

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/119>, abgerufen am 30.04.2024.