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Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876.

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§. 9. Das Subject der Reichsgewalt.
Einheiten gedacht, das Subject der Staatsgewalt und als
solche Mitglieder des Reiches 1).

In diesem Sinne kann man daher sagen, daß die Deut-
schen Fürsten und freien Städte
in ihrer Gesammt-
heit die Träger oder Inhaber der Reichssouveränetät sind 2).
Der Ausdruck kann aber zu einer mißverständlichen Auffassung
führen 3). Denn die Deutschen Fürsten sind nicht für ihre Person,
sondern nur als Oberhäupter und Vertreter ihrer Staaten
Mit-Träger der Reichsgewalt. Wenn ein Deutscher Landesherr
abdankt oder sonst in rechtlicher Weise die Vertretung seines Staa-
tes verliert, so verliert er zugleich den Antheil an der Reichsge-
walt; im Falle einer Regentschaft ist nicht der nominelle Monarch
sondern der Regent Mitsouverän des Reiches. Es kann im Deut-
schen Reiche keine Personalisten geben 4). Das Deutsche Reich
ist kein Fürstenbund, sondern ein aus den Deutschen Staaten ge-
bildeter Staat. Daß nach dem Eingange der Verfassung die
Fürsten den Bund geschlossen haben, ist ein Einwand, der
kaum ernsthaft erhoben werden kann, denn bei Errichtung des
Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches handelten die
Deutschen Souveräne nicht als Privatpersonen, sondern als Staats-
Oberhäupter und die Deutschen Staaten wurden, wie es in Mo-
narchien nicht anders sein kann, durch ihre Landesherren vertreten.
Sollte in irgend einem Deutschen Staate einmal eine Aenderung
der Verfassungsform eintreten, so bleibt der Staat mitberechtigt
an der Reichsgewalt, wenngleich er keinen Fürsten mehr hat, und

1) Der Hamburger ist sowenig wie der Anhaltiner Reichsmitglied; die
Hamburger Bürgerschaft ist es in derselben Weise wie der Fürst von Anhalt.
2) So v. Martitz 45 ff. G. Meyer Nordd. Bundesr. 60 (vgl. dessen Er-
örterungen S. 43.). Grotefend § 751 S. 785.
3) Thudichum Verf.-R. des Nordd. B. S. 60 Note 1 spricht dieses
Mißverständniß ausdrücklich aus, indem er sagt, daß unter den Bundesglie-
dern oder Mitgliedern des Bundes nicht die Bundesstaaten, sondern
die Bundesfürsten und die Senate der 3 Hansestädte zu verstehen seien. (Vgl.
jedoch denselben im Jahrb. I. S. 21 Note 3). Ebenso sagt Meyer
S. 65 Note 1, die preuß. Vertreter im Bundesrathe seien "keine Vertreter
des Staates Preußen, sondern des Königs von Preußen" (!). Auch Seydel
S. 15 u. 97 verwerthet dieses Mißverständniß zu Schlußfolgerungen. Richtig
und treffend v. Held S. 103. 104.
4) Vgl. v. Mohl Reichsstaatsr. S. 10.

§. 9. Das Subject der Reichsgewalt.
Einheiten gedacht, das Subject der Staatsgewalt und als
ſolche Mitglieder des Reiches 1).

In dieſem Sinne kann man daher ſagen, daß die Deut-
ſchen Fürſten und freien Städte
in ihrer Geſammt-
heit die Träger oder Inhaber der Reichsſouveränetät ſind 2).
Der Ausdruck kann aber zu einer mißverſtändlichen Auffaſſung
führen 3). Denn die Deutſchen Fürſten ſind nicht für ihre Perſon,
ſondern nur als Oberhäupter und Vertreter ihrer Staaten
Mit-Träger der Reichsgewalt. Wenn ein Deutſcher Landesherr
abdankt oder ſonſt in rechtlicher Weiſe die Vertretung ſeines Staa-
tes verliert, ſo verliert er zugleich den Antheil an der Reichsge-
walt; im Falle einer Regentſchaft iſt nicht der nominelle Monarch
ſondern der Regent Mitſouverän des Reiches. Es kann im Deut-
ſchen Reiche keine Perſonaliſten geben 4). Das Deutſche Reich
iſt kein Fürſtenbund, ſondern ein aus den Deutſchen Staaten ge-
bildeter Staat. Daß nach dem Eingange der Verfaſſung die
Fürſten den Bund geſchloſſen haben, iſt ein Einwand, der
kaum ernſthaft erhoben werden kann, denn bei Errichtung des
Norddeutſchen Bundes und des Deutſchen Reiches handelten die
Deutſchen Souveräne nicht als Privatperſonen, ſondern als Staats-
Oberhäupter und die Deutſchen Staaten wurden, wie es in Mo-
narchien nicht anders ſein kann, durch ihre Landesherren vertreten.
Sollte in irgend einem Deutſchen Staate einmal eine Aenderung
der Verfaſſungsform eintreten, ſo bleibt der Staat mitberechtigt
an der Reichsgewalt, wenngleich er keinen Fürſten mehr hat, und

1) Der Hamburger iſt ſowenig wie der Anhaltiner Reichsmitglied; die
Hamburger Bürgerſchaft iſt es in derſelben Weiſe wie der Fürſt von Anhalt.
2) So v. Martitz 45 ff. G. Meyer Nordd. Bundesr. 60 (vgl. deſſen Er-
örterungen S. 43.). Grotefend § 751 S. 785.
3) Thudichum Verf.-R. des Nordd. B. S. 60 Note 1 ſpricht dieſes
Mißverſtändniß ausdrücklich aus, indem er ſagt, daß unter den Bundesglie-
dern oder Mitgliedern des Bundes nicht die Bundesſtaaten, ſondern
die Bundesfürſten und die Senate der 3 Hanſeſtädte zu verſtehen ſeien. (Vgl.
jedoch denſelben im Jahrb. I. S. 21 Note 3). Ebenſo ſagt Meyer
S. 65 Note 1, die preuß. Vertreter im Bundesrathe ſeien „keine Vertreter
des Staates Preußen, ſondern des Königs von Preußen“ (!). Auch Seydel
S. 15 u. 97 verwerthet dieſes Mißverſtändniß zu Schlußfolgerungen. Richtig
und treffend v. Held S. 103. 104.
4) Vgl. v. Mohl Reichsſtaatsr. S. 10.
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[89/0109] §. 9. Das Subject der Reichsgewalt. Einheiten gedacht, das Subject der Staatsgewalt und als ſolche Mitglieder des Reiches 1). In dieſem Sinne kann man daher ſagen, daß die Deut- ſchen Fürſten und freien Städte in ihrer Geſammt- heit die Träger oder Inhaber der Reichsſouveränetät ſind 2). Der Ausdruck kann aber zu einer mißverſtändlichen Auffaſſung führen 3). Denn die Deutſchen Fürſten ſind nicht für ihre Perſon, ſondern nur als Oberhäupter und Vertreter ihrer Staaten Mit-Träger der Reichsgewalt. Wenn ein Deutſcher Landesherr abdankt oder ſonſt in rechtlicher Weiſe die Vertretung ſeines Staa- tes verliert, ſo verliert er zugleich den Antheil an der Reichsge- walt; im Falle einer Regentſchaft iſt nicht der nominelle Monarch ſondern der Regent Mitſouverän des Reiches. Es kann im Deut- ſchen Reiche keine Perſonaliſten geben 4). Das Deutſche Reich iſt kein Fürſtenbund, ſondern ein aus den Deutſchen Staaten ge- bildeter Staat. Daß nach dem Eingange der Verfaſſung die Fürſten den Bund geſchloſſen haben, iſt ein Einwand, der kaum ernſthaft erhoben werden kann, denn bei Errichtung des Norddeutſchen Bundes und des Deutſchen Reiches handelten die Deutſchen Souveräne nicht als Privatperſonen, ſondern als Staats- Oberhäupter und die Deutſchen Staaten wurden, wie es in Mo- narchien nicht anders ſein kann, durch ihre Landesherren vertreten. Sollte in irgend einem Deutſchen Staate einmal eine Aenderung der Verfaſſungsform eintreten, ſo bleibt der Staat mitberechtigt an der Reichsgewalt, wenngleich er keinen Fürſten mehr hat, und 1) Der Hamburger iſt ſowenig wie der Anhaltiner Reichsmitglied; die Hamburger Bürgerſchaft iſt es in derſelben Weiſe wie der Fürſt von Anhalt. 2) So v. Martitz 45 ff. G. Meyer Nordd. Bundesr. 60 (vgl. deſſen Er- örterungen S. 43.). Grotefend § 751 S. 785. 3) Thudichum Verf.-R. des Nordd. B. S. 60 Note 1 ſpricht dieſes Mißverſtändniß ausdrücklich aus, indem er ſagt, daß unter den Bundesglie- dern oder Mitgliedern des Bundes nicht die Bundesſtaaten, ſondern die Bundesfürſten und die Senate der 3 Hanſeſtädte zu verſtehen ſeien. (Vgl. jedoch denſelben im Jahrb. I. S. 21 Note 3). Ebenſo ſagt Meyer S. 65 Note 1, die preuß. Vertreter im Bundesrathe ſeien „keine Vertreter des Staates Preußen, ſondern des Königs von Preußen“ (!). Auch Seydel S. 15 u. 97 verwerthet dieſes Mißverſtändniß zu Schlußfolgerungen. Richtig und treffend v. Held S. 103. 104. 4) Vgl. v. Mohl Reichsſtaatsr. S. 10.

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Zitationshilfe: Laband, Paul: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Bd. 1. Tübingen, 1876, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laband_staatsrecht01_1876/109>, abgerufen am 30.04.2024.