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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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wo es sich um das Betragen des Vermöglicheren gegen den Armen
handelte, zartfühlend genug, sich die Thüre zu dem Mädchen seines
Herzens nicht mit einem unumwundenen Almosen eröffnen zu wollen.
Er erdachte sich vielmehr einen andern Weg, der ihn ohne Demüthi¬
gung derselben, aber doch mit einer kleinen Strafe für ihre Zurück¬
haltung, zu dem ersehnten Ziele führen sollte. Neben einer Kuh und
einer Ziege, die dem Hirschbauer als Ueberreste eines ohnehin gerin¬
gen Viehstandes geblieben waren, und so kümmerlichen Unterhalt ge¬
währten, daß der Backofen am Hause nur noch wie ein Spott über
die Nahrungslosigkeit aussah, besaß die Familie ein Lamm, das aber
eigentlich Christinen gehörte, welche es einst als krank, aufgegeben und
werthlos vom Schäfer zum Geschenk erhalten, durch ihre mitleidige
Pflege jedoch sich selbst und ihrem kleinen Bruder zur Freude davon¬
gebracht hatte. Alles dieses war von Friedrich ausgekundschaftet
worden, und so trat der junge Bewerber eines Tages mit dem gleich¬
giltigsten Gesichte unter dem Vorwande eines Handels in das Haus.
Christine, die ihn vom Fenster aus kommen sah, begab sich geschwind
aus der Stube, um ihre Bestürzung nicht merken zu lassen; aber sie
müßte kein Mädchen gewesen sein, wenn sie nicht, nachdem der erste
Schrecken vorüber war, das Herz in die Hände genommen und sich
wieder an ihre Kunkel gesetzt hätte. Gleichwohl konnte sie es nicht
wehren, daß, als sie eintrat und mit demüthig leisem Gruße an dem
Besuch vorüberging, eine helle Röthe ihr ins Antlitz schoß. Dieselbe
wich jedoch schnell, als das Mädchen gewahr wurde, daß ihr Schäflein
dem jungen Metzger verkauft sei, daß sie es verlieren und an die
Schlachtbank abgeben müsse. Das Geld lag schon blank auf dem
Tische, ein lockender Preis, dem die Armuth nicht wohl widerstehen
konnte. Christine erblaßte und hob kindlich zu weinen an; sie richtete
ihre Augen mit einem so schmerzlichen Blick auf den Beschützer ihrer
Kindheit, der ihr jetzt Das anthun konnte, daß dieser, dem der Stachel
des stummen Vorwurfs durch das Herz ging, sein Spiel beinahe be¬
reute und es schneller, als er sich vorgenommen hatte, zu Ende führte.
Es scheint, sagte er, der Jungfer thut es and nach dem Thierlein; ich
würd' mich ja der Sünde fürchten, ihr so ins Herz zu schneiden; nun
ist's aber einmal gekauft und bezahlt und da beißt die Maus keinen
Faden davon; also wird's, schätz' ich, das Beste sein, ich geb's ihr der¬

wo es ſich um das Betragen des Vermöglicheren gegen den Armen
handelte, zartfühlend genug, ſich die Thüre zu dem Mädchen ſeines
Herzens nicht mit einem unumwundenen Almoſen eröffnen zu wollen.
Er erdachte ſich vielmehr einen andern Weg, der ihn ohne Demüthi¬
gung derſelben, aber doch mit einer kleinen Strafe für ihre Zurück¬
haltung, zu dem erſehnten Ziele führen ſollte. Neben einer Kuh und
einer Ziege, die dem Hirſchbauer als Ueberreſte eines ohnehin gerin¬
gen Viehſtandes geblieben waren, und ſo kümmerlichen Unterhalt ge¬
währten, daß der Backofen am Hauſe nur noch wie ein Spott über
die Nahrungsloſigkeit ausſah, beſaß die Familie ein Lamm, das aber
eigentlich Chriſtinen gehörte, welche es einſt als krank, aufgegeben und
werthlos vom Schäfer zum Geſchenk erhalten, durch ihre mitleidige
Pflege jedoch ſich ſelbſt und ihrem kleinen Bruder zur Freude davon¬
gebracht hatte. Alles dieſes war von Friedrich ausgekundſchaftet
worden, und ſo trat der junge Bewerber eines Tages mit dem gleich¬
giltigſten Geſichte unter dem Vorwande eines Handels in das Haus.
Chriſtine, die ihn vom Fenſter aus kommen ſah, begab ſich geſchwind
aus der Stube, um ihre Beſtürzung nicht merken zu laſſen; aber ſie
müßte kein Mädchen geweſen ſein, wenn ſie nicht, nachdem der erſte
Schrecken vorüber war, das Herz in die Hände genommen und ſich
wieder an ihre Kunkel geſetzt hätte. Gleichwohl konnte ſie es nicht
wehren, daß, als ſie eintrat und mit demüthig leiſem Gruße an dem
Beſuch vorüberging, eine helle Röthe ihr ins Antlitz ſchoß. Dieſelbe
wich jedoch ſchnell, als das Mädchen gewahr wurde, daß ihr Schäflein
dem jungen Metzger verkauft ſei, daß ſie es verlieren und an die
Schlachtbank abgeben müſſe. Das Geld lag ſchon blank auf dem
Tiſche, ein lockender Preis, dem die Armuth nicht wohl widerſtehen
konnte. Chriſtine erblaßte und hob kindlich zu weinen an; ſie richtete
ihre Augen mit einem ſo ſchmerzlichen Blick auf den Beſchützer ihrer
Kindheit, der ihr jetzt Das anthun konnte, daß dieſer, dem der Stachel
des ſtummen Vorwurfs durch das Herz ging, ſein Spiel beinahe be¬
reute und es ſchneller, als er ſich vorgenommen hatte, zu Ende führte.
Es ſcheint, ſagte er, der Jungfer thut es and nach dem Thierlein; ich
würd' mich ja der Sünde fürchten, ihr ſo ins Herz zu ſchneiden; nun
iſt's aber einmal gekauft und bezahlt und da beißt die Maus keinen
Faden davon; alſo wird's, ſchätz' ich, das Beſte ſein, ich geb's ihr der¬

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[69/0085] wo es ſich um das Betragen des Vermöglicheren gegen den Armen handelte, zartfühlend genug, ſich die Thüre zu dem Mädchen ſeines Herzens nicht mit einem unumwundenen Almoſen eröffnen zu wollen. Er erdachte ſich vielmehr einen andern Weg, der ihn ohne Demüthi¬ gung derſelben, aber doch mit einer kleinen Strafe für ihre Zurück¬ haltung, zu dem erſehnten Ziele führen ſollte. Neben einer Kuh und einer Ziege, die dem Hirſchbauer als Ueberreſte eines ohnehin gerin¬ gen Viehſtandes geblieben waren, und ſo kümmerlichen Unterhalt ge¬ währten, daß der Backofen am Hauſe nur noch wie ein Spott über die Nahrungsloſigkeit ausſah, beſaß die Familie ein Lamm, das aber eigentlich Chriſtinen gehörte, welche es einſt als krank, aufgegeben und werthlos vom Schäfer zum Geſchenk erhalten, durch ihre mitleidige Pflege jedoch ſich ſelbſt und ihrem kleinen Bruder zur Freude davon¬ gebracht hatte. Alles dieſes war von Friedrich ausgekundſchaftet worden, und ſo trat der junge Bewerber eines Tages mit dem gleich¬ giltigſten Geſichte unter dem Vorwande eines Handels in das Haus. Chriſtine, die ihn vom Fenſter aus kommen ſah, begab ſich geſchwind aus der Stube, um ihre Beſtürzung nicht merken zu laſſen; aber ſie müßte kein Mädchen geweſen ſein, wenn ſie nicht, nachdem der erſte Schrecken vorüber war, das Herz in die Hände genommen und ſich wieder an ihre Kunkel geſetzt hätte. Gleichwohl konnte ſie es nicht wehren, daß, als ſie eintrat und mit demüthig leiſem Gruße an dem Beſuch vorüberging, eine helle Röthe ihr ins Antlitz ſchoß. Dieſelbe wich jedoch ſchnell, als das Mädchen gewahr wurde, daß ihr Schäflein dem jungen Metzger verkauft ſei, daß ſie es verlieren und an die Schlachtbank abgeben müſſe. Das Geld lag ſchon blank auf dem Tiſche, ein lockender Preis, dem die Armuth nicht wohl widerſtehen konnte. Chriſtine erblaßte und hob kindlich zu weinen an; ſie richtete ihre Augen mit einem ſo ſchmerzlichen Blick auf den Beſchützer ihrer Kindheit, der ihr jetzt Das anthun konnte, daß dieſer, dem der Stachel des ſtummen Vorwurfs durch das Herz ging, ſein Spiel beinahe be¬ reute und es ſchneller, als er ſich vorgenommen hatte, zu Ende führte. Es ſcheint, ſagte er, der Jungfer thut es and nach dem Thierlein; ich würd' mich ja der Sünde fürchten, ihr ſo ins Herz zu ſchneiden; nun iſt's aber einmal gekauft und bezahlt und da beißt die Maus keinen Faden davon; alſo wird's, ſchätz' ich, das Beſte ſein, ich geb's ihr der¬

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/85>, abgerufen am 02.05.2024.