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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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Inzwischen waren Friedrich's Versuche, Christinen in den nächsten
Tagen nach jener Begegnung im Bäckerhause wieder anzutreffen, ver¬
geblich gewesen, und nach einem unangenehmen Auftritt mit dem obern
Müller, der aus Groll, daß er ihn nicht unter seine schwiegerväter¬
liche Aufsicht bekommen konnte, sich einige Anzüglichkeiten gegen ihn
erlaubte, gab er diese Versuche völlig auf. Nicht daß er das Feld
als Besiegter geräumt hätte, denn der Müller war sowohl mit der
Zunge als mit der Faust zu kurz gekommen, aber er vermochte es
nicht zu ertragen, seine Herzensangelegenheit zum Gegenstand roher
Scherze gemacht zu sehen. Er hätte der ganzen Welt verbieten mö¬
gen, ein Wort davon zu reden; wußte er doch nicht, daß es für die
menschliche Zunge, wie sie nun einmal bei Vielen seiner Nachbarn
beschaffen war, keinen köstlicheren Genuß gab als eine Liebschaft zu
verarbeiten, und daß ihr solch ein Festmahl um so süßer schmeckte, je
mehr Gift und Bitterkeit sie beimischen konnte.

Da er Christinen nirgends zu Gesicht bekam, und die Entfernung
von ihr nicht länger aushalten zu können meinte, so beschloß er end¬
lich geradezu in die Familie seiner Geliebten einzudringen, ein Unter¬
nehmen, das auf dem Lande meist mit mehr Schwierigkeiten und
Verlegenheiten verbunden ist als in der Stadt, weil der Bauer den
Dingen ohne Umschweif auf den Grund geht und über den Zweck
eines Besuches nicht in entfernten Anspielungen und Feinheiten, son¬
dern ganz rund und glatt und grob belehrt sein will. Auch wird
auf diesem Wege nicht leicht eine Liebschaft, sondern nur eine schon
vorher fertig abgemachte Werbung ins Werk gesetzt. Nun würde
zwar der Eintritt in das Haus des Hirschbauern nicht so viel Kopf¬
brechens erfordert haben als anderwärts ein solcher Versuch, denn die
Leute waren bitterlich arm und hatten sogar schon während einer
Krankheit des Hausvaters Unterstützungen aus dem Kirchensäckel genossen,
der in den Gemeinden für Kirchenzwecke und Armenfürsorge gestiftet ist,
und gewöhnlich "der Heilig'" genannt wird. Man konnte deßhalb ohne
große Scheu voraussetzen, daß sie einen Zuspruch aus der Sonne wohl
auch nicht verschmähen und die Ueberbringung desselben durch den
Sohn des Hauses, statt durch einen Knecht, als eine besondere Ehre
aufnehmen würden; allein der junge Mensch war trotz der Rohheit,
in welcher ihn die herrschende Sitte seiner Umgebung erhielt, zumal

Inzwiſchen waren Friedrich's Verſuche, Chriſtinen in den nächſten
Tagen nach jener Begegnung im Bäckerhauſe wieder anzutreffen, ver¬
geblich geweſen, und nach einem unangenehmen Auftritt mit dem obern
Müller, der aus Groll, daß er ihn nicht unter ſeine ſchwiegerväter¬
liche Aufſicht bekommen konnte, ſich einige Anzüglichkeiten gegen ihn
erlaubte, gab er dieſe Verſuche völlig auf. Nicht daß er das Feld
als Beſiegter geräumt hätte, denn der Müller war ſowohl mit der
Zunge als mit der Fauſt zu kurz gekommen, aber er vermochte es
nicht zu ertragen, ſeine Herzensangelegenheit zum Gegenſtand roher
Scherze gemacht zu ſehen. Er hätte der ganzen Welt verbieten mö¬
gen, ein Wort davon zu reden; wußte er doch nicht, daß es für die
menſchliche Zunge, wie ſie nun einmal bei Vielen ſeiner Nachbarn
beſchaffen war, keinen köſtlicheren Genuß gab als eine Liebſchaft zu
verarbeiten, und daß ihr ſolch ein Feſtmahl um ſo ſüßer ſchmeckte, je
mehr Gift und Bitterkeit ſie beimiſchen konnte.

Da er Chriſtinen nirgends zu Geſicht bekam, und die Entfernung
von ihr nicht länger aushalten zu können meinte, ſo beſchloß er end¬
lich geradezu in die Familie ſeiner Geliebten einzudringen, ein Unter¬
nehmen, das auf dem Lande meiſt mit mehr Schwierigkeiten und
Verlegenheiten verbunden iſt als in der Stadt, weil der Bauer den
Dingen ohne Umſchweif auf den Grund geht und über den Zweck
eines Beſuches nicht in entfernten Anſpielungen und Feinheiten, ſon¬
dern ganz rund und glatt und grob belehrt ſein will. Auch wird
auf dieſem Wege nicht leicht eine Liebſchaft, ſondern nur eine ſchon
vorher fertig abgemachte Werbung ins Werk geſetzt. Nun würde
zwar der Eintritt in das Haus des Hirſchbauern nicht ſo viel Kopf¬
brechens erfordert haben als anderwärts ein ſolcher Verſuch, denn die
Leute waren bitterlich arm und hatten ſogar ſchon während einer
Krankheit des Hausvaters Unterſtützungen aus dem Kirchenſäckel genoſſen,
der in den Gemeinden für Kirchenzwecke und Armenfürſorge geſtiftet iſt,
und gewöhnlich „der Heilig'“ genannt wird. Man konnte deßhalb ohne
große Scheu vorausſetzen, daß ſie einen Zuſpruch aus der Sonne wohl
auch nicht verſchmähen und die Ueberbringung desſelben durch den
Sohn des Hauſes, ſtatt durch einen Knecht, als eine beſondere Ehre
aufnehmen würden; allein der junge Menſch war trotz der Rohheit,
in welcher ihn die herrſchende Sitte ſeiner Umgebung erhielt, zumal

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[68/0084] Inzwiſchen waren Friedrich's Verſuche, Chriſtinen in den nächſten Tagen nach jener Begegnung im Bäckerhauſe wieder anzutreffen, ver¬ geblich geweſen, und nach einem unangenehmen Auftritt mit dem obern Müller, der aus Groll, daß er ihn nicht unter ſeine ſchwiegerväter¬ liche Aufſicht bekommen konnte, ſich einige Anzüglichkeiten gegen ihn erlaubte, gab er dieſe Verſuche völlig auf. Nicht daß er das Feld als Beſiegter geräumt hätte, denn der Müller war ſowohl mit der Zunge als mit der Fauſt zu kurz gekommen, aber er vermochte es nicht zu ertragen, ſeine Herzensangelegenheit zum Gegenſtand roher Scherze gemacht zu ſehen. Er hätte der ganzen Welt verbieten mö¬ gen, ein Wort davon zu reden; wußte er doch nicht, daß es für die menſchliche Zunge, wie ſie nun einmal bei Vielen ſeiner Nachbarn beſchaffen war, keinen köſtlicheren Genuß gab als eine Liebſchaft zu verarbeiten, und daß ihr ſolch ein Feſtmahl um ſo ſüßer ſchmeckte, je mehr Gift und Bitterkeit ſie beimiſchen konnte. Da er Chriſtinen nirgends zu Geſicht bekam, und die Entfernung von ihr nicht länger aushalten zu können meinte, ſo beſchloß er end¬ lich geradezu in die Familie ſeiner Geliebten einzudringen, ein Unter¬ nehmen, das auf dem Lande meiſt mit mehr Schwierigkeiten und Verlegenheiten verbunden iſt als in der Stadt, weil der Bauer den Dingen ohne Umſchweif auf den Grund geht und über den Zweck eines Beſuches nicht in entfernten Anſpielungen und Feinheiten, ſon¬ dern ganz rund und glatt und grob belehrt ſein will. Auch wird auf dieſem Wege nicht leicht eine Liebſchaft, ſondern nur eine ſchon vorher fertig abgemachte Werbung ins Werk geſetzt. Nun würde zwar der Eintritt in das Haus des Hirſchbauern nicht ſo viel Kopf¬ brechens erfordert haben als anderwärts ein ſolcher Verſuch, denn die Leute waren bitterlich arm und hatten ſogar ſchon während einer Krankheit des Hausvaters Unterſtützungen aus dem Kirchenſäckel genoſſen, der in den Gemeinden für Kirchenzwecke und Armenfürſorge geſtiftet iſt, und gewöhnlich „der Heilig'“ genannt wird. Man konnte deßhalb ohne große Scheu vorausſetzen, daß ſie einen Zuſpruch aus der Sonne wohl auch nicht verſchmähen und die Ueberbringung desſelben durch den Sohn des Hauſes, ſtatt durch einen Knecht, als eine beſondere Ehre aufnehmen würden; allein der junge Menſch war trotz der Rohheit, in welcher ihn die herrſchende Sitte ſeiner Umgebung erhielt, zumal

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/84>, abgerufen am 23.11.2024.