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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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gewiß zu sagen, so müßt' ich ja doch ein schlechter Rathgeber sein,
wenn ich's verschweigen wollte.

Magdalene seufzte abermals.

Ich glaub's gern, fuhr er fort, daß es dir schwer eingeht, aber
dennoch mußt du's recht genau in's Aug' fassen. Uebrigens kannst
du dir dabei voraus denken, wie du bei jedem scheelen Blick, bei jedem
Streich, an jedem Hungertag sagen wirst: ist mir doch lieber, als
wenn ich bei dem Zaunstecken sein müßte, den ich nicht mag. Und
dann, wie lang wird's dauern? Nur so lang, als sie meinen, daß
sie dich zwingen können. Wenn deine Geduld größer ist als ihre
Bosheit, so wird ihre Bosheit zu nichte. Der schlanke Freiersmann
macht am Ende den Kuhhirten von Ulm, oder es find't sich unter¬
dessen eine andere Gelegenheit, die dem Vater in die Augen sticht, so
daß er ihm selber den Laufpaß gibt. Zeit gewonnen, ist Alles ge¬
wonnen. Mit dem Theil Ungemach, das du dir nicht vom Leib
halten kannst, kaufst du dein junges Leben los von größerem Unge¬
mach und behältst es unverschandirt, so daß dir der grüne Schleicher
sein Lebtag nicht in's Bett kommen kann. Ich sag' dir, Magdalene
was ich da gesprochen habe -- es ist zwar gar nichts Neues, und
Viele reden desgleichen, aber sie wissen nicht, was sie sagen; denn
es ist ein Geheimniß! Wer's aber recht versteht, der kann Wunder
damit thun, und Wunder sind auch schon damit gethan worden! Mit
drei einfältigen Wörtlein: Ich thu's nicht! und ich thu's eben nicht!
damit kann ein rechter Kerl -- Mannskerl oder Weibskerl, gilt
gleich viel -- einen Güterwagen sperren, und wenn sechs Dutzend
Mecklenburger vorgespannt wären. Jetzt wirst du verstehen, warum
ich gesagt hab': Das Mittel ist sicher, wenn man sich darauf ver¬
lassen kann. Frag' dich nun selber, ob es sicher ist.

Die Schwester trat fest und aufrecht vor den Bruder hin. Und
ich thu's eben nicht! rief sie, seinen Ton nachahmend, indem sie
dabei auf den Boden stampfte.

So gefällst du mir, sagte er lachend. Komm, setz' dich wieder.
Sei nur standhaft und laß dir weiter sonst keine graue Haar'
wachsen. Ich bin ja um den Weg. Wenn sie dir den Futterkasten
gar zu arg versperren, so will ich dein Rabe sein, und wenn des Alten
Hand zu schwer wird über dir, so will ich dazwischen springen und

gewiß zu ſagen, ſo müßt' ich ja doch ein ſchlechter Rathgeber ſein,
wenn ich's verſchweigen wollte.

Magdalene ſeufzte abermals.

Ich glaub's gern, fuhr er fort, daß es dir ſchwer eingeht, aber
dennoch mußt du's recht genau in's Aug' faſſen. Uebrigens kannſt
du dir dabei voraus denken, wie du bei jedem ſcheelen Blick, bei jedem
Streich, an jedem Hungertag ſagen wirſt: iſt mir doch lieber, als
wenn ich bei dem Zaunſtecken ſein müßte, den ich nicht mag. Und
dann, wie lang wird's dauern? Nur ſo lang, als ſie meinen, daß
ſie dich zwingen können. Wenn deine Geduld größer iſt als ihre
Bosheit, ſo wird ihre Bosheit zu nichte. Der ſchlanke Freiersmann
macht am Ende den Kuhhirten von Ulm, oder es find't ſich unter¬
deſſen eine andere Gelegenheit, die dem Vater in die Augen ſticht, ſo
daß er ihm ſelber den Laufpaß gibt. Zeit gewonnen, iſt Alles ge¬
wonnen. Mit dem Theil Ungemach, das du dir nicht vom Leib
halten kannſt, kaufſt du dein junges Leben los von größerem Unge¬
mach und behältſt es unverſchandirt, ſo daß dir der grüne Schleicher
ſein Lebtag nicht in's Bett kommen kann. Ich ſag' dir, Magdalene
was ich da geſprochen habe — es iſt zwar gar nichts Neues, und
Viele reden desgleichen, aber ſie wiſſen nicht, was ſie ſagen; denn
es iſt ein Geheimniß! Wer's aber recht verſteht, der kann Wunder
damit thun, und Wunder ſind auch ſchon damit gethan worden! Mit
drei einfältigen Wörtlein: Ich thu's nicht! und ich thu's eben nicht!
damit kann ein rechter Kerl — Mannskerl oder Weibskerl, gilt
gleich viel — einen Güterwagen ſperren, und wenn ſechs Dutzend
Mecklenburger vorgeſpannt wären. Jetzt wirſt du verſtehen, warum
ich geſagt hab': Das Mittel iſt ſicher, wenn man ſich darauf ver¬
laſſen kann. Frag' dich nun ſelber, ob es ſicher iſt.

Die Schweſter trat feſt und aufrecht vor den Bruder hin. Und
ich thu's eben nicht! rief ſie, ſeinen Ton nachahmend, indem ſie
dabei auf den Boden ſtampfte.

So gefällſt du mir, ſagte er lachend. Komm, ſetz' dich wieder.
Sei nur ſtandhaft und laß dir weiter ſonſt keine graue Haar'
wachſen. Ich bin ja um den Weg. Wenn ſie dir den Futterkaſten
gar zu arg verſperren, ſo will ich dein Rabe ſein, und wenn des Alten
Hand zu ſchwer wird über dir, ſo will ich dazwiſchen ſpringen und

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[46/0062] gewiß zu ſagen, ſo müßt' ich ja doch ein ſchlechter Rathgeber ſein, wenn ich's verſchweigen wollte. Magdalene ſeufzte abermals. Ich glaub's gern, fuhr er fort, daß es dir ſchwer eingeht, aber dennoch mußt du's recht genau in's Aug' faſſen. Uebrigens kannſt du dir dabei voraus denken, wie du bei jedem ſcheelen Blick, bei jedem Streich, an jedem Hungertag ſagen wirſt: iſt mir doch lieber, als wenn ich bei dem Zaunſtecken ſein müßte, den ich nicht mag. Und dann, wie lang wird's dauern? Nur ſo lang, als ſie meinen, daß ſie dich zwingen können. Wenn deine Geduld größer iſt als ihre Bosheit, ſo wird ihre Bosheit zu nichte. Der ſchlanke Freiersmann macht am Ende den Kuhhirten von Ulm, oder es find't ſich unter¬ deſſen eine andere Gelegenheit, die dem Vater in die Augen ſticht, ſo daß er ihm ſelber den Laufpaß gibt. Zeit gewonnen, iſt Alles ge¬ wonnen. Mit dem Theil Ungemach, das du dir nicht vom Leib halten kannſt, kaufſt du dein junges Leben los von größerem Unge¬ mach und behältſt es unverſchandirt, ſo daß dir der grüne Schleicher ſein Lebtag nicht in's Bett kommen kann. Ich ſag' dir, Magdalene was ich da geſprochen habe — es iſt zwar gar nichts Neues, und Viele reden desgleichen, aber ſie wiſſen nicht, was ſie ſagen; denn es iſt ein Geheimniß! Wer's aber recht verſteht, der kann Wunder damit thun, und Wunder ſind auch ſchon damit gethan worden! Mit drei einfältigen Wörtlein: Ich thu's nicht! und ich thu's eben nicht! damit kann ein rechter Kerl — Mannskerl oder Weibskerl, gilt gleich viel — einen Güterwagen ſperren, und wenn ſechs Dutzend Mecklenburger vorgeſpannt wären. Jetzt wirſt du verſtehen, warum ich geſagt hab': Das Mittel iſt ſicher, wenn man ſich darauf ver¬ laſſen kann. Frag' dich nun ſelber, ob es ſicher iſt. Die Schweſter trat feſt und aufrecht vor den Bruder hin. Und ich thu's eben nicht! rief ſie, ſeinen Ton nachahmend, indem ſie dabei auf den Boden ſtampfte. So gefällſt du mir, ſagte er lachend. Komm, ſetz' dich wieder. Sei nur ſtandhaft und laß dir weiter ſonſt keine graue Haar' wachſen. Ich bin ja um den Weg. Wenn ſie dir den Futterkaſten gar zu arg verſperren, ſo will ich dein Rabe ſein, und wenn des Alten Hand zu ſchwer wird über dir, ſo will ich dazwiſchen ſpringen und

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/62>, abgerufen am 02.05.2024.