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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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fallende Aehnlichkeit mit den Zügen seiner Schwester. Da stieß er
unter der Thüre auf den Fischer, der ihm wie ein böses Vorzeichen
entgegen trat, und sein Gesicht verfinsterte sich. Einen Augenblick
maß er ihn schweigend mit den Augen. Du auch da, Giftmichel?
sagte er, indem er an ihm vorüberging. Der Fischer fletschte die Zähne
gegen ihn und machte sich hinaus.

Friedrich blieb ein wenig stehen, um sich zu sammeln; dann nä¬
herte er sich dem Tische und trat zu seinem Vater, der bereits durch
einen Wink der Frau auf ihn aufmerksam gemacht worden war und
ihm schweigend entgegen sah.

Grüß' Gott, Vater! redete er ihn an. Da bin ich wieder, und
versprech' Euch, daß es mit Gottes Hilfe nun anders werden soll,
denn ich bin nun kein Kind mehr, und wenn ich Euch bisher oft
durch meinen Unverstand betrübt habe, so hab' ich mir jetzt vorge¬
nommen, Euch hinfüro ein treuer gehorsamer Sohn zu sein.

Mach' nicht so viel Redensarten! sagte der Alte. Wenn dir's
Ernst ist, so thu's, ohne davon zu reden; aber versprich nichts, was
du nicht halten kannst. Setz' dich und iß.

Ja, Vater, aber ich hab' zuvor eine großmächtige Bitte, fuhr
Friedrich fort, ohne sich durch den Empfang irre machen zu lassen.
Ich möcht' eine Seele vom Verderben retten, und das kann ich nicht,
wenn Ihr mir nicht dazu helft.

Der Alte erhob sein Gesicht. Die Stiefmutter sah ihn mit ge¬
spannter Neugier und finsterer Miene an. Er hatte sie noch nicht
begrüßt, er hatte nur für seinen Vater Augen gehabt.

Ihr meint gewiß, Vater, sprach er weiter, da wo ich herkomme,
hab' ich nur lauter schlechtes Zeug gelernt. Aber so ist's nicht, viel¬
mehr bin ich in gute Hände gerathen und hab' Christenthum gelernt.
Ich hab' gelernt, daß jeder gute Christ und redliche Mensch seinen
verachteten Mitbrüdern aufhelfen müsse. Weil das aber nicht einer
für alle thun kann, so mein' ich, es sei genug, wenn ein Mensch oder
eine Familie sich eines Einzigen annimmt.

Wo will denn das hinaus? fragte der Alte barsch.

Vater, ich hab' Euch einen Menschen mitgebracht, der keine Hei¬
math hat, eine vater- und mutterlose Waise; denn das ist er, und
wenn auch seine Eltern noch leben. Und ich bitt' Euch, so lieb Euch

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fallende Aehnlichkeit mit den Zügen ſeiner Schweſter. Da ſtieß er
unter der Thüre auf den Fiſcher, der ihm wie ein böſes Vorzeichen
entgegen trat, und ſein Geſicht verfinſterte ſich. Einen Augenblick
maß er ihn ſchweigend mit den Augen. Du auch da, Giftmichel?
ſagte er, indem er an ihm vorüberging. Der Fiſcher fletſchte die Zähne
gegen ihn und machte ſich hinaus.

Friedrich blieb ein wenig ſtehen, um ſich zu ſammeln; dann nä¬
herte er ſich dem Tiſche und trat zu ſeinem Vater, der bereits durch
einen Wink der Frau auf ihn aufmerkſam gemacht worden war und
ihm ſchweigend entgegen ſah.

Grüß' Gott, Vater! redete er ihn an. Da bin ich wieder, und
verſprech' Euch, daß es mit Gottes Hilfe nun anders werden ſoll,
denn ich bin nun kein Kind mehr, und wenn ich Euch bisher oft
durch meinen Unverſtand betrübt habe, ſo hab' ich mir jetzt vorge¬
nommen, Euch hinfüro ein treuer gehorſamer Sohn zu ſein.

Mach' nicht ſo viel Redensarten! ſagte der Alte. Wenn dir's
Ernſt iſt, ſo thu's, ohne davon zu reden; aber verſprich nichts, was
du nicht halten kannſt. Setz' dich und iß.

Ja, Vater, aber ich hab' zuvor eine großmächtige Bitte, fuhr
Friedrich fort, ohne ſich durch den Empfang irre machen zu laſſen.
Ich möcht' eine Seele vom Verderben retten, und das kann ich nicht,
wenn Ihr mir nicht dazu helft.

Der Alte erhob ſein Geſicht. Die Stiefmutter ſah ihn mit ge¬
ſpannter Neugier und finſterer Miene an. Er hatte ſie noch nicht
begrüßt, er hatte nur für ſeinen Vater Augen gehabt.

Ihr meint gewiß, Vater, ſprach er weiter, da wo ich herkomme,
hab' ich nur lauter ſchlechtes Zeug gelernt. Aber ſo iſt's nicht, viel¬
mehr bin ich in gute Hände gerathen und hab' Chriſtenthum gelernt.
Ich hab' gelernt, daß jeder gute Chriſt und redliche Menſch ſeinen
verachteten Mitbrüdern aufhelfen müſſe. Weil das aber nicht einer
für alle thun kann, ſo mein' ich, es ſei genug, wenn ein Menſch oder
eine Familie ſich eines Einzigen annimmt.

Wo will denn das hinaus? fragte der Alte barſch.

Vater, ich hab' Euch einen Menſchen mitgebracht, der keine Hei¬
math hat, eine vater- und mutterloſe Waiſe; denn das iſt er, und
wenn auch ſeine Eltern noch leben. Und ich bitt' Euch, ſo lieb Euch

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[35/0051] fallende Aehnlichkeit mit den Zügen ſeiner Schweſter. Da ſtieß er unter der Thüre auf den Fiſcher, der ihm wie ein böſes Vorzeichen entgegen trat, und ſein Geſicht verfinſterte ſich. Einen Augenblick maß er ihn ſchweigend mit den Augen. Du auch da, Giftmichel? ſagte er, indem er an ihm vorüberging. Der Fiſcher fletſchte die Zähne gegen ihn und machte ſich hinaus. Friedrich blieb ein wenig ſtehen, um ſich zu ſammeln; dann nä¬ herte er ſich dem Tiſche und trat zu ſeinem Vater, der bereits durch einen Wink der Frau auf ihn aufmerkſam gemacht worden war und ihm ſchweigend entgegen ſah. Grüß' Gott, Vater! redete er ihn an. Da bin ich wieder, und verſprech' Euch, daß es mit Gottes Hilfe nun anders werden ſoll, denn ich bin nun kein Kind mehr, und wenn ich Euch bisher oft durch meinen Unverſtand betrübt habe, ſo hab' ich mir jetzt vorge¬ nommen, Euch hinfüro ein treuer gehorſamer Sohn zu ſein. Mach' nicht ſo viel Redensarten! ſagte der Alte. Wenn dir's Ernſt iſt, ſo thu's, ohne davon zu reden; aber verſprich nichts, was du nicht halten kannſt. Setz' dich und iß. Ja, Vater, aber ich hab' zuvor eine großmächtige Bitte, fuhr Friedrich fort, ohne ſich durch den Empfang irre machen zu laſſen. Ich möcht' eine Seele vom Verderben retten, und das kann ich nicht, wenn Ihr mir nicht dazu helft. Der Alte erhob ſein Geſicht. Die Stiefmutter ſah ihn mit ge¬ ſpannter Neugier und finſterer Miene an. Er hatte ſie noch nicht begrüßt, er hatte nur für ſeinen Vater Augen gehabt. Ihr meint gewiß, Vater, ſprach er weiter, da wo ich herkomme, hab' ich nur lauter ſchlechtes Zeug gelernt. Aber ſo iſt's nicht, viel¬ mehr bin ich in gute Hände gerathen und hab' Chriſtenthum gelernt. Ich hab' gelernt, daß jeder gute Chriſt und redliche Menſch ſeinen verachteten Mitbrüdern aufhelfen müſſe. Weil das aber nicht einer für alle thun kann, ſo mein' ich, es ſei genug, wenn ein Menſch oder eine Familie ſich eines Einzigen annimmt. Wo will denn das hinaus? fragte der Alte barſch. Vater, ich hab' Euch einen Menſchen mitgebracht, der keine Hei¬ math hat, eine vater- und mutterloſe Waiſe; denn das iſt er, und wenn auch ſeine Eltern noch leben. Und ich bitt' Euch, ſo lieb Euch 3 *

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/51>, abgerufen am 23.11.2024.