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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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Euer Sohn sein mag, der Euch freilich schon Kummer und Verdruß
genug gemacht hat -- so lieb es Euch sein mag, daß der ungerathene
Sohn noch was Ordentliches in der Welt werde, so hoch bitt' ich Euch,
Vater: laßt den Menschen, den ich mitbringe, als Euren Knecht in
Eurem Hause sein.

Wo ist er denn? fragte der Alte ungeduldig.

Er wartet hinterm Haus am Garten.

Die Stiefmutter gab dem Chirurgus einen Wink und er schlich
sich unbemerkt hinaus.

Wer ist er denn? fragte der Alte weiter.

Friedrich schwieg eine Zeitlang in sichtlicher Verlegenheit; die sieges¬
frohe Zuversicht, die er bei seinem Eintreten gezeigt hatte, war allmäh¬
lich von ihm gewichen. Vater, hob er endlich an, Ihr werdet in Eu¬
rem Herzen nicht sogleich die Stimme finden, die für ihn spricht. Man
hat gegen diese Leute Manches einzuwenden, und das ist auch kein
Wunder, denn man behandelt sie auch darnach.

Mach's kurz und gut, rief der Alte und schlug, auf den Tisch
Was ist das vor eine Manier? Wenn's was Rechtes ist, so sag's
frei heraus, und ist's was Dummes, so halt' das Maul! Was brauchst
du mir durch die Ränkeleien da das Essen zu verderben.

Indessen war der Chirurg wieder eingetreten. Es ist ein Zigeuner,
sagte er langsam und nachdrücklich, indem er zu dem Tisch trat.

Ein Zigeuner? rief die Stiefmutter und schlug ein gellendes Ge¬
lächter auf. Die beiden Müller und der Knecht, welche aufmerksam
zugehört hatten, lachten aus vollem Halse mit. Auch das Gesinde
am Tische stimmte in das Gelächter ein, doch nur allmählich und schüch¬
tern, da der Sonnenwirth nicht mitlachte, sondern die Stirne in dräu¬
ende Falten gelegt hatte. Magdalene war mit einem wehmüthigen
Blick auf den Bruder hinausgegangen.

Ich weiß wohl, Vater, daß es eine Zumuthung ist, fuhr Friedrich
unerschrocken fort. Aber soll's denn der arme Teufel büßen, daß
seine Eltern Zigeuner gewesen sind?

Der Chirurgus unterbrach ihn. Das hängt vielleicht, sagte er mit
etwas näselnder Stimme, das hängt vielleicht mit der Prädestination
zusammen, die der Herr Pfarrer predigt.

Euer Sohn ſein mag, der Euch freilich ſchon Kummer und Verdruß
genug gemacht hat — ſo lieb es Euch ſein mag, daß der ungerathene
Sohn noch was Ordentliches in der Welt werde, ſo hoch bitt' ich Euch,
Vater: laßt den Menſchen, den ich mitbringe, als Euren Knecht in
Eurem Hauſe ſein.

Wo iſt er denn? fragte der Alte ungeduldig.

Er wartet hinterm Haus am Garten.

Die Stiefmutter gab dem Chirurgus einen Wink und er ſchlich
ſich unbemerkt hinaus.

Wer iſt er denn? fragte der Alte weiter.

Friedrich ſchwieg eine Zeitlang in ſichtlicher Verlegenheit; die ſieges¬
frohe Zuverſicht, die er bei ſeinem Eintreten gezeigt hatte, war allmäh¬
lich von ihm gewichen. Vater, hob er endlich an, Ihr werdet in Eu¬
rem Herzen nicht ſogleich die Stimme finden, die für ihn ſpricht. Man
hat gegen dieſe Leute Manches einzuwenden, und das iſt auch kein
Wunder, denn man behandelt ſie auch darnach.

Mach's kurz und gut, rief der Alte und ſchlug, auf den Tiſch
Was iſt das vor eine Manier? Wenn's was Rechtes iſt, ſo ſag's
frei heraus, und iſt's was Dummes, ſo halt' das Maul! Was brauchſt
du mir durch die Ränkeleien da das Eſſen zu verderben.

Indeſſen war der Chirurg wieder eingetreten. Es iſt ein Zigeuner,
ſagte er langſam und nachdrücklich, indem er zu dem Tiſch trat.

Ein Zigeuner? rief die Stiefmutter und ſchlug ein gellendes Ge¬
lächter auf. Die beiden Müller und der Knecht, welche aufmerkſam
zugehört hatten, lachten aus vollem Halſe mit. Auch das Geſinde
am Tiſche ſtimmte in das Gelächter ein, doch nur allmählich und ſchüch¬
tern, da der Sonnenwirth nicht mitlachte, ſondern die Stirne in dräu¬
ende Falten gelegt hatte. Magdalene war mit einem wehmüthigen
Blick auf den Bruder hinausgegangen.

Ich weiß wohl, Vater, daß es eine Zumuthung iſt, fuhr Friedrich
unerſchrocken fort. Aber ſoll's denn der arme Teufel büßen, daß
ſeine Eltern Zigeuner geweſen ſind?

Der Chirurgus unterbrach ihn. Das hängt vielleicht, ſagte er mit
etwas näſelnder Stimme, das hängt vielleicht mit der Prädeſtination
zuſammen, die der Herr Pfarrer predigt.

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[36/0052] Euer Sohn ſein mag, der Euch freilich ſchon Kummer und Verdruß genug gemacht hat — ſo lieb es Euch ſein mag, daß der ungerathene Sohn noch was Ordentliches in der Welt werde, ſo hoch bitt' ich Euch, Vater: laßt den Menſchen, den ich mitbringe, als Euren Knecht in Eurem Hauſe ſein. Wo iſt er denn? fragte der Alte ungeduldig. Er wartet hinterm Haus am Garten. Die Stiefmutter gab dem Chirurgus einen Wink und er ſchlich ſich unbemerkt hinaus. Wer iſt er denn? fragte der Alte weiter. Friedrich ſchwieg eine Zeitlang in ſichtlicher Verlegenheit; die ſieges¬ frohe Zuverſicht, die er bei ſeinem Eintreten gezeigt hatte, war allmäh¬ lich von ihm gewichen. Vater, hob er endlich an, Ihr werdet in Eu¬ rem Herzen nicht ſogleich die Stimme finden, die für ihn ſpricht. Man hat gegen dieſe Leute Manches einzuwenden, und das iſt auch kein Wunder, denn man behandelt ſie auch darnach. Mach's kurz und gut, rief der Alte und ſchlug, auf den Tiſch Was iſt das vor eine Manier? Wenn's was Rechtes iſt, ſo ſag's frei heraus, und iſt's was Dummes, ſo halt' das Maul! Was brauchſt du mir durch die Ränkeleien da das Eſſen zu verderben. Indeſſen war der Chirurg wieder eingetreten. Es iſt ein Zigeuner, ſagte er langſam und nachdrücklich, indem er zu dem Tiſch trat. Ein Zigeuner? rief die Stiefmutter und ſchlug ein gellendes Ge¬ lächter auf. Die beiden Müller und der Knecht, welche aufmerkſam zugehört hatten, lachten aus vollem Halſe mit. Auch das Geſinde am Tiſche ſtimmte in das Gelächter ein, doch nur allmählich und ſchüch¬ tern, da der Sonnenwirth nicht mitlachte, ſondern die Stirne in dräu¬ ende Falten gelegt hatte. Magdalene war mit einem wehmüthigen Blick auf den Bruder hinausgegangen. Ich weiß wohl, Vater, daß es eine Zumuthung iſt, fuhr Friedrich unerſchrocken fort. Aber ſoll's denn der arme Teufel büßen, daß ſeine Eltern Zigeuner geweſen ſind? Der Chirurgus unterbrach ihn. Das hängt vielleicht, ſagte er mit etwas näſelnder Stimme, das hängt vielleicht mit der Prädeſtination zuſammen, die der Herr Pfarrer predigt.

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/52>, abgerufen am 01.05.2024.