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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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Wahrheit aber aus Stolz und Scham, weil die Gemeinheit dieser
kleinen Diebstähle und Einbrüche ihm unauslöschlich auf der Seele
brannte. Doch warf er endlich auch diesen Stolz als ein verwerfliches
Ueberbleibsel seines alten Herzens weg. Der Oberamtmann, der die
weiche Seite dieses Herzens kennen gelernt hatte, unterstützte ihn mit
gutem Bedacht; "er ehrte ihn durch den offen kundgegebenen Glauben
an seine Aufrichtigkeit und Besserung, drückte ihm seine Freude aus,
ihn nicht durch Drohungen, Schimpf und gewaltsame Mittel zwingen
zu müssen, sprach auch mitunter von andern Gegenständen mit ihm,
hörte seine Meinung und ließ die Inquisition den Ton einer vertrau¬
lichen Unterredung annehmen", wovon freilich das Protokoll nichts
enthält. Zugleich schickte er ihm Essen und Trinken in's Gefängniß,
und daß er für diese freundliche Gabe in mehr als einem Sinn
empfänglich war, wissen wir bereits. Die Stadt ahmte das Beispiel
ihres Oberbeamten nach. Die Wächter ließen sichs gleichfalls gesagt
sein, ihn menschlich zu behandeln; "sie gingen ganz vertraulich mit ihm um
und lachten und beteten abwechselnd mit ihm". Wie viel diese guten
Tage dazu beigetragen, ihn auf dem eingeschlagenen Wege zu erhalten,
läßt sich nicht unterscheiden; wohl aber ist nicht zu leugnen, daß den
reinsten Gesinnungen immer menschliche Schwäche anklebt. Indessen
hatte die Güte ihr strenges Maß. Er war gleich anfangs so hart ge¬
schlossen worden, daß er gar keine Bewegung machen konnte, und vier
Männer mußten beständig in seinem Zimmer, vier außerhalb desselben
wachen. Allein die Handlungsweise des Oberamtmanns, der das Mensch¬
liche mit dem Amtlichen zu verbinden wußte, gewann den Räuber völlig.
"Mit Thränen erklärte er" -- und der Gewährsmann fügt ausdrück¬
lich hinzu, daß dies seine eignen Worte seien -- "der Oberamtmann
habe durch seine Güte mehr aus ihm herausgebracht, als tausend
Foltern nicht hätten erpressen können. Er erklärte, er danke der Vor¬
sehung, daß sie ihm gerade in dieser Stadt seinen Tod bestimmt, und
er möchte um keinen Preis, auch wenn er könnte, mehr entwischen.
Weil er sich aber selbst nicht traute, so wünschte er, bat sogar, man
möchte ihn wie den ärgsten Bösewicht bewachen. Er nannte die Arten
des Schließens, die allein mit Sicherheit bei ihm angewendet werden
könnten, und zeigte andere, deren Nutzlosigkeit er bewies. Besonders
erinnerte er, daß man an Markttagen wachsam sein solle, weil da

Wahrheit aber aus Stolz und Scham, weil die Gemeinheit dieſer
kleinen Diebſtähle und Einbrüche ihm unauslöſchlich auf der Seele
brannte. Doch warf er endlich auch dieſen Stolz als ein verwerfliches
Ueberbleibſel ſeines alten Herzens weg. Der Oberamtmann, der die
weiche Seite dieſes Herzens kennen gelernt hatte, unterſtützte ihn mit
gutem Bedacht; „er ehrte ihn durch den offen kundgegebenen Glauben
an ſeine Aufrichtigkeit und Beſſerung, drückte ihm ſeine Freude aus,
ihn nicht durch Drohungen, Schimpf und gewaltſame Mittel zwingen
zu müſſen, ſprach auch mitunter von andern Gegenſtänden mit ihm,
hörte ſeine Meinung und ließ die Inquiſition den Ton einer vertrau¬
lichen Unterredung annehmen“, wovon freilich das Protokoll nichts
enthält. Zugleich ſchickte er ihm Eſſen und Trinken in's Gefängniß,
und daß er für dieſe freundliche Gabe in mehr als einem Sinn
empfänglich war, wiſſen wir bereits. Die Stadt ahmte das Beiſpiel
ihres Oberbeamten nach. Die Wächter ließen ſichs gleichfalls geſagt
ſein, ihn menſchlich zu behandeln; „ſie gingen ganz vertraulich mit ihm um
und lachten und beteten abwechſelnd mit ihm“. Wie viel dieſe guten
Tage dazu beigetragen, ihn auf dem eingeſchlagenen Wege zu erhalten,
läßt ſich nicht unterſcheiden; wohl aber iſt nicht zu leugnen, daß den
reinſten Geſinnungen immer menſchliche Schwäche anklebt. Indeſſen
hatte die Güte ihr ſtrenges Maß. Er war gleich anfangs ſo hart ge¬
ſchloſſen worden, daß er gar keine Bewegung machen konnte, und vier
Männer mußten beſtändig in ſeinem Zimmer, vier außerhalb deſſelben
wachen. Allein die Handlungsweiſe des Oberamtmanns, der das Menſch¬
liche mit dem Amtlichen zu verbinden wußte, gewann den Räuber völlig.
„Mit Thränen erklärte er“ — und der Gewährsmann fügt ausdrück¬
lich hinzu, daß dies ſeine eignen Worte ſeien — „der Oberamtmann
habe durch ſeine Güte mehr aus ihm herausgebracht, als tauſend
Foltern nicht hätten erpreſſen können. Er erklärte, er danke der Vor¬
ſehung, daß ſie ihm gerade in dieſer Stadt ſeinen Tod beſtimmt, und
er möchte um keinen Preis, auch wenn er könnte, mehr entwiſchen.
Weil er ſich aber ſelbſt nicht traute, ſo wünſchte er, bat ſogar, man
möchte ihn wie den ärgſten Böſewicht bewachen. Er nannte die Arten
des Schließens, die allein mit Sicherheit bei ihm angewendet werden
könnten, und zeigte andere, deren Nutzloſigkeit er bewies. Beſonders
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[469/0485] Wahrheit aber aus Stolz und Scham, weil die Gemeinheit dieſer kleinen Diebſtähle und Einbrüche ihm unauslöſchlich auf der Seele brannte. Doch warf er endlich auch dieſen Stolz als ein verwerfliches Ueberbleibſel ſeines alten Herzens weg. Der Oberamtmann, der die weiche Seite dieſes Herzens kennen gelernt hatte, unterſtützte ihn mit gutem Bedacht; „er ehrte ihn durch den offen kundgegebenen Glauben an ſeine Aufrichtigkeit und Beſſerung, drückte ihm ſeine Freude aus, ihn nicht durch Drohungen, Schimpf und gewaltſame Mittel zwingen zu müſſen, ſprach auch mitunter von andern Gegenſtänden mit ihm, hörte ſeine Meinung und ließ die Inquiſition den Ton einer vertrau¬ lichen Unterredung annehmen“, wovon freilich das Protokoll nichts enthält. Zugleich ſchickte er ihm Eſſen und Trinken in's Gefängniß, und daß er für dieſe freundliche Gabe in mehr als einem Sinn empfänglich war, wiſſen wir bereits. Die Stadt ahmte das Beiſpiel ihres Oberbeamten nach. Die Wächter ließen ſichs gleichfalls geſagt ſein, ihn menſchlich zu behandeln; „ſie gingen ganz vertraulich mit ihm um und lachten und beteten abwechſelnd mit ihm“. Wie viel dieſe guten Tage dazu beigetragen, ihn auf dem eingeſchlagenen Wege zu erhalten, läßt ſich nicht unterſcheiden; wohl aber iſt nicht zu leugnen, daß den reinſten Geſinnungen immer menſchliche Schwäche anklebt. Indeſſen hatte die Güte ihr ſtrenges Maß. Er war gleich anfangs ſo hart ge¬ ſchloſſen worden, daß er gar keine Bewegung machen konnte, und vier Männer mußten beſtändig in ſeinem Zimmer, vier außerhalb deſſelben wachen. Allein die Handlungsweiſe des Oberamtmanns, der das Menſch¬ liche mit dem Amtlichen zu verbinden wußte, gewann den Räuber völlig. „Mit Thränen erklärte er“ — und der Gewährsmann fügt ausdrück¬ lich hinzu, daß dies ſeine eignen Worte ſeien — „der Oberamtmann habe durch ſeine Güte mehr aus ihm herausgebracht, als tauſend Foltern nicht hätten erpreſſen können. Er erklärte, er danke der Vor¬ ſehung, daß ſie ihm gerade in dieſer Stadt ſeinen Tod beſtimmt, und er möchte um keinen Preis, auch wenn er könnte, mehr entwiſchen. Weil er ſich aber ſelbſt nicht traute, ſo wünſchte er, bat ſogar, man möchte ihn wie den ärgſten Böſewicht bewachen. Er nannte die Arten des Schließens, die allein mit Sicherheit bei ihm angewendet werden könnten, und zeigte andere, deren Nutzloſigkeit er bewies. Beſonders erinnerte er, daß man an Markttagen wachſam ſein ſolle, weil da

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 469. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/485>, abgerufen am 22.11.2024.