gewiß einige seiner Kameraden sich einschleichen würden, um ihn zu retten". In Folge dieser Angaben mußte die standhafte Erwartung des Volkes, daß der Schützling des Teufels, wie in Hohentwiel und an¬ dern festen Orten, eines Tages durch Rauchfang oder Schlüsselloch ver¬ schwinden werde, unerfüllt bleiben. Dagegen rief der Tod des Amts¬ dieners, der plötzlich während der Untersuchung starb, die noch jetzt im Munde des Volkes lebende Sage hervor, die verzweifelten Spie߬ gesellen des Gefangenen haben, um seine gefährlichen Geständnisse, die sich wie ein Lauffeuer in alle Lande verbreiteten, abzuschneiden, ihm heimlich vergiftetes Backwerk zuzustecken versucht, und die Confiscation desselben sei dem Diener des Gesetzes übel bekommen. Während aber im Volke sich geschäftig eine Art Heldensage über ihn bildete, stand er demüthig vor seinem Richter und bekannte sich für den "Verworfen¬ sten aller Sterblichen".
Die strenge Folgerichtigkeit der Buße verlangte aber mehr von ihm. Die schon in der Freiheit versuchten Enthüllungen über die mordbren¬ nerischen Plane der überrheinischen Zigeuner konnten ihm nicht besonders schwer werden, denn dieses Gesindel ging ihn nicht näher an. Aber wenn seine Beichte vollständig sein sollte, so mußte er nähere Genossen, mußte er seine Nächsten in das Verderben, wenigstens in das zeitliche, mit hineinreißen. Nach seiner ganzen Beschaffenheit mußte ihn dies einen Kampf kosten, über dessen Schwere man sich durch die bei dem Naturmenschen in jeder Lage des Lebens möglichen Augenblicke der Lustigkeit nicht täuschen lassen darf. Die beiden Haupttriebräder seiner ganzen Lebensentwicklung, Liebe und Stolz, mußten in diesem Kampfe überwunden werden. Er war sein Leben lang seinen Freunden ein treuer Freund nicht bloß gewesen, sondern, zur vollsten Befriedigung seines Selbstgefühls, als solcher auch stets von ihnen anerkannt worden: und nun sollte er diesen einzigen, letzten Ruhm, an dem er sich im Eisgange der Selbstverachtung noch aufrecht gehalten, von sich werfen, sollte auch noch den Seinen verächtlich werden, wie er der übrigen Welt verächtlich war. Aber er war dem Buß- und Besserungsplan, welchen das weltliche und geistliche Amt zusammen entwarfen, schon in seinem ersten Verhör vorausgeeilt, in welchem er erklärt hatte, er wolle seiner Mitschuldigen so wenig wie seiner selbst verschonen, und hatte damals schon auf die Gefangenen in Stein, unter welchen seine zweite
gewiß einige ſeiner Kameraden ſich einſchleichen würden, um ihn zu retten“. In Folge dieſer Angaben mußte die ſtandhafte Erwartung des Volkes, daß der Schützling des Teufels, wie in Hohentwiel und an¬ dern feſten Orten, eines Tages durch Rauchfang oder Schlüſſelloch ver¬ ſchwinden werde, unerfüllt bleiben. Dagegen rief der Tod des Amts¬ dieners, der plötzlich während der Unterſuchung ſtarb, die noch jetzt im Munde des Volkes lebende Sage hervor, die verzweifelten Spie߬ geſellen des Gefangenen haben, um ſeine gefährlichen Geſtändniſſe, die ſich wie ein Lauffeuer in alle Lande verbreiteten, abzuſchneiden, ihm heimlich vergiftetes Backwerk zuzuſtecken verſucht, und die Confiscation deſſelben ſei dem Diener des Geſetzes übel bekommen. Während aber im Volke ſich geſchäftig eine Art Heldenſage über ihn bildete, ſtand er demüthig vor ſeinem Richter und bekannte ſich für den „Verworfen¬ ſten aller Sterblichen“.
Die ſtrenge Folgerichtigkeit der Buße verlangte aber mehr von ihm. Die ſchon in der Freiheit verſuchten Enthüllungen über die mordbren¬ neriſchen Plane der überrheiniſchen Zigeuner konnten ihm nicht beſonders ſchwer werden, denn dieſes Geſindel ging ihn nicht näher an. Aber wenn ſeine Beichte vollſtändig ſein ſollte, ſo mußte er nähere Genoſſen, mußte er ſeine Nächſten in das Verderben, wenigſtens in das zeitliche, mit hineinreißen. Nach ſeiner ganzen Beſchaffenheit mußte ihn dies einen Kampf koſten, über deſſen Schwere man ſich durch die bei dem Naturmenſchen in jeder Lage des Lebens möglichen Augenblicke der Luſtigkeit nicht täuſchen laſſen darf. Die beiden Haupttriebräder ſeiner ganzen Lebensentwicklung, Liebe und Stolz, mußten in dieſem Kampfe überwunden werden. Er war ſein Leben lang ſeinen Freunden ein treuer Freund nicht bloß geweſen, ſondern, zur vollſten Befriedigung ſeines Selbſtgefühls, als ſolcher auch ſtets von ihnen anerkannt worden: und nun ſollte er dieſen einzigen, letzten Ruhm, an dem er ſich im Eisgange der Selbſtverachtung noch aufrecht gehalten, von ſich werfen, ſollte auch noch den Seinen verächtlich werden, wie er der übrigen Welt verächtlich war. Aber er war dem Buß- und Beſſerungsplan, welchen das weltliche und geiſtliche Amt zuſammen entwarfen, ſchon in ſeinem erſten Verhör vorausgeeilt, in welchem er erklärt hatte, er wolle ſeiner Mitſchuldigen ſo wenig wie ſeiner ſelbſt verſchonen, und hatte damals ſchon auf die Gefangenen in Stein, unter welchen ſeine zweite
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0486"n="470"/>
gewiß einige ſeiner Kameraden ſich einſchleichen würden, um ihn zu<lb/>
retten“. In Folge dieſer Angaben mußte die ſtandhafte Erwartung des<lb/>
Volkes, daß der Schützling des Teufels, wie in Hohentwiel und an¬<lb/>
dern feſten Orten, eines Tages durch Rauchfang oder Schlüſſelloch ver¬<lb/>ſchwinden werde, unerfüllt bleiben. Dagegen rief der Tod des Amts¬<lb/>
dieners, der plötzlich während der Unterſuchung ſtarb, die noch jetzt<lb/>
im Munde des Volkes lebende Sage hervor, die verzweifelten Spie߬<lb/>
geſellen des Gefangenen haben, um ſeine gefährlichen Geſtändniſſe, die<lb/>ſich wie ein Lauffeuer in alle Lande verbreiteten, abzuſchneiden, ihm<lb/>
heimlich vergiftetes Backwerk zuzuſtecken verſucht, und die Confiscation<lb/>
deſſelben ſei dem Diener des Geſetzes übel bekommen. Während aber<lb/>
im Volke ſich geſchäftig eine Art Heldenſage über ihn bildete, ſtand<lb/>
er demüthig vor ſeinem Richter und bekannte ſich für den „Verworfen¬<lb/>ſten aller Sterblichen“.</p><lb/><p>Die ſtrenge Folgerichtigkeit der Buße verlangte aber mehr von ihm.<lb/>
Die ſchon in der Freiheit verſuchten Enthüllungen über die mordbren¬<lb/>
neriſchen Plane der überrheiniſchen Zigeuner konnten ihm nicht beſonders<lb/>ſchwer werden, denn dieſes Geſindel ging ihn nicht näher an. Aber<lb/>
wenn ſeine Beichte vollſtändig ſein ſollte, ſo mußte er nähere Genoſſen,<lb/>
mußte er ſeine Nächſten in das Verderben, wenigſtens in das zeitliche,<lb/>
mit hineinreißen. Nach ſeiner ganzen Beſchaffenheit mußte ihn dies<lb/>
einen Kampf koſten, über deſſen Schwere man ſich durch die bei dem<lb/>
Naturmenſchen in jeder Lage des Lebens möglichen Augenblicke der<lb/>
Luſtigkeit nicht täuſchen laſſen darf. Die beiden Haupttriebräder ſeiner<lb/>
ganzen Lebensentwicklung, Liebe und Stolz, mußten in dieſem Kampfe<lb/>
überwunden werden. Er war ſein Leben lang ſeinen Freunden ein<lb/>
treuer Freund nicht bloß geweſen, ſondern, zur vollſten Befriedigung<lb/>ſeines Selbſtgefühls, als ſolcher auch ſtets von ihnen anerkannt worden:<lb/>
und nun ſollte er dieſen einzigen, letzten Ruhm, an dem er ſich im<lb/>
Eisgange der Selbſtverachtung noch aufrecht gehalten, von ſich werfen,<lb/>ſollte auch noch den Seinen verächtlich werden, wie er der übrigen Welt<lb/>
verächtlich war. Aber er war dem Buß- und Beſſerungsplan, welchen<lb/>
das weltliche und geiſtliche Amt zuſammen entwarfen, ſchon in ſeinem<lb/>
erſten Verhör vorausgeeilt, in welchem er erklärt hatte, er wolle ſeiner<lb/>
Mitſchuldigen ſo wenig wie ſeiner ſelbſt verſchonen, und hatte damals<lb/>ſchon auf die Gefangenen in Stein, unter welchen ſeine zweite<lb/></p></div></body></text></TEI>
[470/0486]
gewiß einige ſeiner Kameraden ſich einſchleichen würden, um ihn zu
retten“. In Folge dieſer Angaben mußte die ſtandhafte Erwartung des
Volkes, daß der Schützling des Teufels, wie in Hohentwiel und an¬
dern feſten Orten, eines Tages durch Rauchfang oder Schlüſſelloch ver¬
ſchwinden werde, unerfüllt bleiben. Dagegen rief der Tod des Amts¬
dieners, der plötzlich während der Unterſuchung ſtarb, die noch jetzt
im Munde des Volkes lebende Sage hervor, die verzweifelten Spie߬
geſellen des Gefangenen haben, um ſeine gefährlichen Geſtändniſſe, die
ſich wie ein Lauffeuer in alle Lande verbreiteten, abzuſchneiden, ihm
heimlich vergiftetes Backwerk zuzuſtecken verſucht, und die Confiscation
deſſelben ſei dem Diener des Geſetzes übel bekommen. Während aber
im Volke ſich geſchäftig eine Art Heldenſage über ihn bildete, ſtand
er demüthig vor ſeinem Richter und bekannte ſich für den „Verworfen¬
ſten aller Sterblichen“.
Die ſtrenge Folgerichtigkeit der Buße verlangte aber mehr von ihm.
Die ſchon in der Freiheit verſuchten Enthüllungen über die mordbren¬
neriſchen Plane der überrheiniſchen Zigeuner konnten ihm nicht beſonders
ſchwer werden, denn dieſes Geſindel ging ihn nicht näher an. Aber
wenn ſeine Beichte vollſtändig ſein ſollte, ſo mußte er nähere Genoſſen,
mußte er ſeine Nächſten in das Verderben, wenigſtens in das zeitliche,
mit hineinreißen. Nach ſeiner ganzen Beſchaffenheit mußte ihn dies
einen Kampf koſten, über deſſen Schwere man ſich durch die bei dem
Naturmenſchen in jeder Lage des Lebens möglichen Augenblicke der
Luſtigkeit nicht täuſchen laſſen darf. Die beiden Haupttriebräder ſeiner
ganzen Lebensentwicklung, Liebe und Stolz, mußten in dieſem Kampfe
überwunden werden. Er war ſein Leben lang ſeinen Freunden ein
treuer Freund nicht bloß geweſen, ſondern, zur vollſten Befriedigung
ſeines Selbſtgefühls, als ſolcher auch ſtets von ihnen anerkannt worden:
und nun ſollte er dieſen einzigen, letzten Ruhm, an dem er ſich im
Eisgange der Selbſtverachtung noch aufrecht gehalten, von ſich werfen,
ſollte auch noch den Seinen verächtlich werden, wie er der übrigen Welt
verächtlich war. Aber er war dem Buß- und Beſſerungsplan, welchen
das weltliche und geiſtliche Amt zuſammen entwarfen, ſchon in ſeinem
erſten Verhör vorausgeeilt, in welchem er erklärt hatte, er wolle ſeiner
Mitſchuldigen ſo wenig wie ſeiner ſelbſt verſchonen, und hatte damals
ſchon auf die Gefangenen in Stein, unter welchen ſeine zweite
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 470. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/486>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.