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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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Gleichungspunkte sind, so drängt sich bei diesem Zuge von selbst die
Erinnerung an die Kämpfe des großen Reformators auf, in dessen
Geistesbande dieser schwierige Zögling sich gegeben hatte, und dessen
riesige Gestalt die Nachwelt oft mit lächelndem Munde bewundert.
Gleichwie seine Kirchenänderung die leichtfertige Welt seiner Tage mit
Umsturz und Zerstörung bedrohte, so geht auch der Lehrbegriff, den
er von einem verwandten Geiste erbte, dem natürlichen Menschen re¬
volutionär und terroristisch zu Leib. Diese Lehre eines alten Kirchen¬
vaters, der nach einem weltlich durchstürmten Leben durchgreifende
Buße und Selbstentäußerung predigte, muß den Menschen erst an
allen Gliedern brechen, um ihn neu aufbauen zu können. Hieraus
ergibt sich von selbst, daß sie bei der Jugend und bei allen jenen
weichen, freundlichen Gemüthern, die in Uebereinstimmung mit sich
durch das Leben gehen, seine Widersprüche nicht empfinden oder bei
Seite zu schieben wissen, nur oberflächlich wirken kann. Wer aber
durch Schuld und Noth hindurchgegangen ist, wer sich in den Netzen
des Lebens verstrickt und sich selbst darin verloren hat, bei wem jener
Entäußerung die grenzenlose Selbstverachtung vorgearbeitet hat, die sich
nicht mehr mit dem Splitter im Auge des Nebenmenschen zu ent¬
schuldigen vermag, und wer auf allen seinen Irrwegen zugleich, wenn
auch nicht ein geistesstolzes Denken, doch ein geistiges Leben sich be¬
wahrt hat, der ist reif, um jene Lehre mit ihrer ganzen übermensch¬
lichen Gewalt in sich aufzunehmen. Auf diesem Wege sind vornehme
und gemeine Sünder, deren Lebensgeschichten unentbehrliche Blätter
in den Jahrbüchern des menschlichen Geistes bilden, zu einer Umwäl¬
zung gekommen, welche die Welt, die nach menschlichem Maße leben
will, ja oft selbst die Kirchenwelt mit Staunen wie ein verzehrendes
Feuer aufflammen sah. Sie haben Heil gestiftet, wo sie auf verwandten
Boden säeten; Viele haben ihnen mit zerstörtem Lebensglück geflucht: denn
ihr Werk war, sich selbst und Alles was sie vorher liebten zu zerschmettern.
An den Genossen eines verbundenen Lebens, wie es auch zu¬
gebracht worden sein mag, zum Verräther zu werden, ist ein Mal¬
zeichen, vor welchem selbst der Leichtfertigste ein wenig stutzt. Die
Rechtfertigung dieser That wäre in dem Falle, der uns vorliegt, selbst
für die natürliche Betrachtung gar nicht schwer; denn einer Bande,
die arglosen Menschen Nachts in die Häuser bricht, die Bewohner

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Gleichungspunkte ſind, ſo drängt ſich bei dieſem Zuge von ſelbſt die
Erinnerung an die Kämpfe des großen Reformators auf, in deſſen
Geiſtesbande dieſer ſchwierige Zögling ſich gegeben hatte, und deſſen
rieſige Geſtalt die Nachwelt oft mit lächelndem Munde bewundert.
Gleichwie ſeine Kirchenänderung die leichtfertige Welt ſeiner Tage mit
Umſturz und Zerſtörung bedrohte, ſo geht auch der Lehrbegriff, den
er von einem verwandten Geiſte erbte, dem natürlichen Menſchen re¬
volutionär und terroriſtiſch zu Leib. Dieſe Lehre eines alten Kirchen¬
vaters, der nach einem weltlich durchſtürmten Leben durchgreifende
Buße und Selbſtentäußerung predigte, muß den Menſchen erſt an
allen Gliedern brechen, um ihn neu aufbauen zu können. Hieraus
ergibt ſich von ſelbſt, daß ſie bei der Jugend und bei allen jenen
weichen, freundlichen Gemüthern, die in Uebereinſtimmung mit ſich
durch das Leben gehen, ſeine Widerſprüche nicht empfinden oder bei
Seite zu ſchieben wiſſen, nur oberflächlich wirken kann. Wer aber
durch Schuld und Noth hindurchgegangen iſt, wer ſich in den Netzen
des Lebens verſtrickt und ſich ſelbſt darin verloren hat, bei wem jener
Entäußerung die grenzenloſe Selbſtverachtung vorgearbeitet hat, die ſich
nicht mehr mit dem Splitter im Auge des Nebenmenſchen zu ent¬
ſchuldigen vermag, und wer auf allen ſeinen Irrwegen zugleich, wenn
auch nicht ein geiſtesſtolzes Denken, doch ein geiſtiges Leben ſich be¬
wahrt hat, der iſt reif, um jene Lehre mit ihrer ganzen übermenſch¬
lichen Gewalt in ſich aufzunehmen. Auf dieſem Wege ſind vornehme
und gemeine Sünder, deren Lebensgeſchichten unentbehrliche Blätter
in den Jahrbüchern des menſchlichen Geiſtes bilden, zu einer Umwäl¬
zung gekommen, welche die Welt, die nach menſchlichem Maße leben
will, ja oft ſelbſt die Kirchenwelt mit Staunen wie ein verzehrendes
Feuer aufflammen ſah. Sie haben Heil geſtiftet, wo ſie auf verwandten
Boden ſäeten; Viele haben ihnen mit zerſtörtem Lebensglück geflucht: denn
ihr Werk war, ſich ſelbſt und Alles was ſie vorher liebten zu zerſchmettern.
An den Genoſſen eines verbundenen Lebens, wie es auch zu¬
gebracht worden ſein mag, zum Verräther zu werden, iſt ein Mal¬
zeichen, vor welchem ſelbſt der Leichtfertigſte ein wenig ſtutzt. Die
Rechtfertigung dieſer That wäre in dem Falle, der uns vorliegt, ſelbſt
für die natürliche Betrachtung gar nicht ſchwer; denn einer Bande,
die argloſen Menſchen Nachts in die Häuſer bricht, die Bewohner

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[467/0483] Gleichungspunkte ſind, ſo drängt ſich bei dieſem Zuge von ſelbſt die Erinnerung an die Kämpfe des großen Reformators auf, in deſſen Geiſtesbande dieſer ſchwierige Zögling ſich gegeben hatte, und deſſen rieſige Geſtalt die Nachwelt oft mit lächelndem Munde bewundert. Gleichwie ſeine Kirchenänderung die leichtfertige Welt ſeiner Tage mit Umſturz und Zerſtörung bedrohte, ſo geht auch der Lehrbegriff, den er von einem verwandten Geiſte erbte, dem natürlichen Menſchen re¬ volutionär und terroriſtiſch zu Leib. Dieſe Lehre eines alten Kirchen¬ vaters, der nach einem weltlich durchſtürmten Leben durchgreifende Buße und Selbſtentäußerung predigte, muß den Menſchen erſt an allen Gliedern brechen, um ihn neu aufbauen zu können. Hieraus ergibt ſich von ſelbſt, daß ſie bei der Jugend und bei allen jenen weichen, freundlichen Gemüthern, die in Uebereinſtimmung mit ſich durch das Leben gehen, ſeine Widerſprüche nicht empfinden oder bei Seite zu ſchieben wiſſen, nur oberflächlich wirken kann. Wer aber durch Schuld und Noth hindurchgegangen iſt, wer ſich in den Netzen des Lebens verſtrickt und ſich ſelbſt darin verloren hat, bei wem jener Entäußerung die grenzenloſe Selbſtverachtung vorgearbeitet hat, die ſich nicht mehr mit dem Splitter im Auge des Nebenmenſchen zu ent¬ ſchuldigen vermag, und wer auf allen ſeinen Irrwegen zugleich, wenn auch nicht ein geiſtesſtolzes Denken, doch ein geiſtiges Leben ſich be¬ wahrt hat, der iſt reif, um jene Lehre mit ihrer ganzen übermenſch¬ lichen Gewalt in ſich aufzunehmen. Auf dieſem Wege ſind vornehme und gemeine Sünder, deren Lebensgeſchichten unentbehrliche Blätter in den Jahrbüchern des menſchlichen Geiſtes bilden, zu einer Umwäl¬ zung gekommen, welche die Welt, die nach menſchlichem Maße leben will, ja oft ſelbſt die Kirchenwelt mit Staunen wie ein verzehrendes Feuer aufflammen ſah. Sie haben Heil geſtiftet, wo ſie auf verwandten Boden ſäeten; Viele haben ihnen mit zerſtörtem Lebensglück geflucht: denn ihr Werk war, ſich ſelbſt und Alles was ſie vorher liebten zu zerſchmettern. An den Genoſſen eines verbundenen Lebens, wie es auch zu¬ gebracht worden ſein mag, zum Verräther zu werden, iſt ein Mal¬ zeichen, vor welchem ſelbſt der Leichtfertigſte ein wenig ſtutzt. Die Rechtfertigung dieſer That wäre in dem Falle, der uns vorliegt, ſelbſt für die natürliche Betrachtung gar nicht ſchwer; denn einer Bande, die argloſen Menſchen Nachts in die Häuſer bricht, die Bewohner 30 *

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 467. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/483>, abgerufen am 23.11.2024.