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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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Thränen; auch gestand er, daß ihn diese Langmuth Gottes während
seines ruchlosen Lebens oft zu Thränen gerührt habe. Von dieser
Zeit an schlug der Geistliche bloß diesen Weg ein und führte seine
Aufgabe siegreich durch. Der stolze Wildling wollte auch von seinem
Gott und dessen Dienern um die schwere Arbeit, die er auf sich
nehmen sollte, manierlich angesprochen sein. Es läßt sich jedoch denken,
und wird auch ausdrücklich erzählt, daß dieselbe nicht ohne Unter¬
brechung von Statten ging, wobei besonders sein Stolz immer wieder
den schwer zu brechenden Kopf erhob. Einst besuchten ihn, nach der
Art der Zeit, welche äußerst neugierig auf Verbrecher war, zwei
Fremde in seinem Gefängniß. Der eine betrachtete die berüchtigte Ge¬
stalt und fragte, ob er der Unglückliche sei, der so Viele unglücklich
gemacht habe? Meine Herren, antwortete er, den mächtigen Kopf in
den breiten Nacken werfend, wer ist unglücklicher, Sie oder ich? Sie,
die vielleicht mitten in Ihren Sünden durch einen einzigen Schlag
dahingerissen werden, oder ich, der ich durch das Blut Jesu mit Gott
versöhnet bin? Indessen that er gleich wieder Buße und sagte zu sei¬
nem Beichtvater: Mein Gott, was bin ich für ein elender Mensch,
daß ich nicht einmal diese einzige Rede habe erdulden können! Aber
auch die lustigen Farben des Lebens störten ihm das ernste Gewebe,
an dem er wirkte. Die unanständigen Witze und die Religionsspötte¬
reien, die so oft den Beifall seiner Gesellen erregt hatten, kehrten
manchmal wieder zu ihm zurück und verdarben ihm durch irgend eine
unwillkürliche Gedankenverbindung das Gebet oder das Bibelwort,
durch welches er den glimmenden Docht seiner Leuchte anzufachen,
das zerstoßene Rohr seines Lebens aufzurichten suchte. "Eben so wenig",
sagt sein Geschichtschreiber, "verließ ihn seine rohe Lustigkeit. Ein Glas
Wein und ein gutes Essen machte ihn auch in den letzten Tagen seines
Lebens so lustig, daß er die ganze Gesellschaft, die bei ihm war, mit
Scherzen unterhielt, und Henker, Tod, Bekehrung, Alles vergaß." Desto
größer aber war nachher immer wieder seine Zerknirschung, "so daß
er einst, als er bei ziemlichem Durste mehr Verlangen nach einem
Glase Wein, als nach geistlichen Gesängen empfunden, aus Reue
hierüber und aus Zorn über sich selbst das Gesangbuch auf den Bo¬
den warf, was ihm dann einen neuen eben so großen Kummer ver¬
ursachte". Da im Menschenleben zwischen dem Kleinsten und Größten

Thränen; auch geſtand er, daß ihn dieſe Langmuth Gottes während
ſeines ruchloſen Lebens oft zu Thränen gerührt habe. Von dieſer
Zeit an ſchlug der Geiſtliche bloß dieſen Weg ein und führte ſeine
Aufgabe ſiegreich durch. Der ſtolze Wildling wollte auch von ſeinem
Gott und deſſen Dienern um die ſchwere Arbeit, die er auf ſich
nehmen ſollte, manierlich angeſprochen ſein. Es läßt ſich jedoch denken,
und wird auch ausdrücklich erzählt, daß dieſelbe nicht ohne Unter¬
brechung von Statten ging, wobei beſonders ſein Stolz immer wieder
den ſchwer zu brechenden Kopf erhob. Einſt beſuchten ihn, nach der
Art der Zeit, welche äußerſt neugierig auf Verbrecher war, zwei
Fremde in ſeinem Gefängniß. Der eine betrachtete die berüchtigte Ge¬
ſtalt und fragte, ob er der Unglückliche ſei, der ſo Viele unglücklich
gemacht habe? Meine Herren, antwortete er, den mächtigen Kopf in
den breiten Nacken werfend, wer iſt unglücklicher, Sie oder ich? Sie,
die vielleicht mitten in Ihren Sünden durch einen einzigen Schlag
dahingeriſſen werden, oder ich, der ich durch das Blut Jeſu mit Gott
verſöhnet bin? Indeſſen that er gleich wieder Buße und ſagte zu ſei¬
nem Beichtvater: Mein Gott, was bin ich für ein elender Menſch,
daß ich nicht einmal dieſe einzige Rede habe erdulden können! Aber
auch die luſtigen Farben des Lebens ſtörten ihm das ernſte Gewebe,
an dem er wirkte. Die unanſtändigen Witze und die Religionsſpötte¬
reien, die ſo oft den Beifall ſeiner Geſellen erregt hatten, kehrten
manchmal wieder zu ihm zurück und verdarben ihm durch irgend eine
unwillkürliche Gedankenverbindung das Gebet oder das Bibelwort,
durch welches er den glimmenden Docht ſeiner Leuchte anzufachen,
das zerſtoßene Rohr ſeines Lebens aufzurichten ſuchte. „Eben ſo wenig“,
ſagt ſein Geſchichtſchreiber, „verließ ihn ſeine rohe Luſtigkeit. Ein Glas
Wein und ein gutes Eſſen machte ihn auch in den letzten Tagen ſeines
Lebens ſo luſtig, daß er die ganze Geſellſchaft, die bei ihm war, mit
Scherzen unterhielt, und Henker, Tod, Bekehrung, Alles vergaß.“ Deſto
größer aber war nachher immer wieder ſeine Zerknirſchung, „ſo daß
er einſt, als er bei ziemlichem Durſte mehr Verlangen nach einem
Glaſe Wein, als nach geiſtlichen Geſängen empfunden, aus Reue
hierüber und aus Zorn über ſich ſelbſt das Geſangbuch auf den Bo¬
den warf, was ihm dann einen neuen eben ſo großen Kummer ver¬
urſachte“. Da im Menſchenleben zwiſchen dem Kleinſten und Größten

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[466/0482] Thränen; auch geſtand er, daß ihn dieſe Langmuth Gottes während ſeines ruchloſen Lebens oft zu Thränen gerührt habe. Von dieſer Zeit an ſchlug der Geiſtliche bloß dieſen Weg ein und führte ſeine Aufgabe ſiegreich durch. Der ſtolze Wildling wollte auch von ſeinem Gott und deſſen Dienern um die ſchwere Arbeit, die er auf ſich nehmen ſollte, manierlich angeſprochen ſein. Es läßt ſich jedoch denken, und wird auch ausdrücklich erzählt, daß dieſelbe nicht ohne Unter¬ brechung von Statten ging, wobei beſonders ſein Stolz immer wieder den ſchwer zu brechenden Kopf erhob. Einſt beſuchten ihn, nach der Art der Zeit, welche äußerſt neugierig auf Verbrecher war, zwei Fremde in ſeinem Gefängniß. Der eine betrachtete die berüchtigte Ge¬ ſtalt und fragte, ob er der Unglückliche ſei, der ſo Viele unglücklich gemacht habe? Meine Herren, antwortete er, den mächtigen Kopf in den breiten Nacken werfend, wer iſt unglücklicher, Sie oder ich? Sie, die vielleicht mitten in Ihren Sünden durch einen einzigen Schlag dahingeriſſen werden, oder ich, der ich durch das Blut Jeſu mit Gott verſöhnet bin? Indeſſen that er gleich wieder Buße und ſagte zu ſei¬ nem Beichtvater: Mein Gott, was bin ich für ein elender Menſch, daß ich nicht einmal dieſe einzige Rede habe erdulden können! Aber auch die luſtigen Farben des Lebens ſtörten ihm das ernſte Gewebe, an dem er wirkte. Die unanſtändigen Witze und die Religionsſpötte¬ reien, die ſo oft den Beifall ſeiner Geſellen erregt hatten, kehrten manchmal wieder zu ihm zurück und verdarben ihm durch irgend eine unwillkürliche Gedankenverbindung das Gebet oder das Bibelwort, durch welches er den glimmenden Docht ſeiner Leuchte anzufachen, das zerſtoßene Rohr ſeines Lebens aufzurichten ſuchte. „Eben ſo wenig“, ſagt ſein Geſchichtſchreiber, „verließ ihn ſeine rohe Luſtigkeit. Ein Glas Wein und ein gutes Eſſen machte ihn auch in den letzten Tagen ſeines Lebens ſo luſtig, daß er die ganze Geſellſchaft, die bei ihm war, mit Scherzen unterhielt, und Henker, Tod, Bekehrung, Alles vergaß.“ Deſto größer aber war nachher immer wieder ſeine Zerknirſchung, „ſo daß er einſt, als er bei ziemlichem Durſte mehr Verlangen nach einem Glaſe Wein, als nach geiſtlichen Geſängen empfunden, aus Reue hierüber und aus Zorn über ſich ſelbſt das Geſangbuch auf den Bo¬ den warf, was ihm dann einen neuen eben ſo großen Kummer ver¬ urſachte“. Da im Menſchenleben zwiſchen dem Kleinſten und Größten

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 466. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/482>, abgerufen am 22.11.2024.