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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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Maß immer voller geworden wäre, in der ganzen Aufrichtigkeit seines
Herzens gedankt.

Mit diesem Bekenntniß nun, das gleich in den ersten Worten den
Stab über sein verwüstetes Leben brach, hatte er sich nicht bloß in
die Hand der Obrigkeit, sondern auch in die Hand seiner Kirche er¬
geben, welche ihre Diener sandte, um dieses Leben zu einem bu߬
fertigen und seligen Ende zuzubereiten. Ohne Zweifel haben dieselben
nach der Sitte der Zeit ausführliche Beschreibungen dieses geistlichen
Prozesses veröffentlicht; aber unter den vielen Schwarten von hoch¬
fürstlichen Geburts-, Hochzeits- und Leichenfeierlichkeiten in dem öffent¬
lichen Bücherschatze, den der Herzog später anlegte, als er für ein
gleichfalls verfehltes Leben Ersatz in der Erziehung der Jugend suchte,
haben jene Schriften keinen Platz gefunden, und das Lebensbild, aus
welchem nicht ein Zug hätte verloren gehen sollen, muß auch auf
dieser Seite halbvollendet bleiben. Doch hat einer der beiden Geist¬
lichen dem Sohne des Oberamtmanns einzelne Züge aus jenem Be¬
kehrungsgange mitgetheilt, welche uns in der Erzählung desselben auf¬
behalten sind. Bei seinem ersten Besuche begann dieser Geistliche von
dem Zorne Gottes zu reden, der diejenigen verfolge, welche die Mittel
der Gnade zu lange verschmäht, von einer traurigen Ewigkeit und von
den Schwierigkeiten einer aufrichtigen Besserung nach einem so ruch¬
losen Leben. Hiemit hatte er zwar untadelhaft nach seinem Schema
gearbeitet, wie der Oberamtmann nach dem seinigen ein regelrechtes
Protokoll zu schreiben wußte; aber seine Bemühung fand den ent¬
gegengesetzten Erfolg. Der Räuber rief ihm aufgebracht entgegen, ob
er nur gekommen sei, ihn zu quälen? Der Geistliche bequemte sich,
in die Schule des Oberamtmanns, der diesen harten Stoff besser zu
kneten verstand, zu gehen, und stellte sich nun dem stolzen Verbrecher
als ein Bote des Friedens dar, der dem reuigen Sünder im Namen
Gottes -- welcher ihm geboten habe, ihn in seinem Namen sogar darum
zu bitten -- Gnade antrug; dann ging er zum Gebet über, flehte
Gott um Vergebung ihrer Beider Sünden an und dankte ihm für
die Langmuth, die er diesem seinem verirrten Schafe bewiesen habe.
Jetzt war die rechte Saite angeschlagen: der Verbrecher war bewegt
von dem Gedanken an die Langmuth Gottes, sah den Geistlichen wäh¬
rend seines Vortrags mit unverwandten Augen an und zerfloß in

D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 30

Maß immer voller geworden wäre, in der ganzen Aufrichtigkeit ſeines
Herzens gedankt.

Mit dieſem Bekenntniß nun, das gleich in den erſten Worten den
Stab über ſein verwüſtetes Leben brach, hatte er ſich nicht bloß in
die Hand der Obrigkeit, ſondern auch in die Hand ſeiner Kirche er¬
geben, welche ihre Diener ſandte, um dieſes Leben zu einem bu߬
fertigen und ſeligen Ende zuzubereiten. Ohne Zweifel haben dieſelben
nach der Sitte der Zeit ausführliche Beſchreibungen dieſes geiſtlichen
Prozeſſes veröffentlicht; aber unter den vielen Schwarten von hoch¬
fürſtlichen Geburts-, Hochzeits- und Leichenfeierlichkeiten in dem öffent¬
lichen Bücherſchatze, den der Herzog ſpäter anlegte, als er für ein
gleichfalls verfehltes Leben Erſatz in der Erziehung der Jugend ſuchte,
haben jene Schriften keinen Platz gefunden, und das Lebensbild, aus
welchem nicht ein Zug hätte verloren gehen ſollen, muß auch auf
dieſer Seite halbvollendet bleiben. Doch hat einer der beiden Geiſt¬
lichen dem Sohne des Oberamtmanns einzelne Züge aus jenem Be¬
kehrungsgange mitgetheilt, welche uns in der Erzählung deſſelben auf¬
behalten ſind. Bei ſeinem erſten Beſuche begann dieſer Geiſtliche von
dem Zorne Gottes zu reden, der diejenigen verfolge, welche die Mittel
der Gnade zu lange verſchmäht, von einer traurigen Ewigkeit und von
den Schwierigkeiten einer aufrichtigen Beſſerung nach einem ſo ruch¬
loſen Leben. Hiemit hatte er zwar untadelhaft nach ſeinem Schema
gearbeitet, wie der Oberamtmann nach dem ſeinigen ein regelrechtes
Protokoll zu ſchreiben wußte; aber ſeine Bemühung fand den ent¬
gegengeſetzten Erfolg. Der Räuber rief ihm aufgebracht entgegen, ob
er nur gekommen ſei, ihn zu quälen? Der Geiſtliche bequemte ſich,
in die Schule des Oberamtmanns, der dieſen harten Stoff beſſer zu
kneten verſtand, zu gehen, und ſtellte ſich nun dem ſtolzen Verbrecher
als ein Bote des Friedens dar, der dem reuigen Sünder im Namen
Gottes — welcher ihm geboten habe, ihn in ſeinem Namen ſogar darum
zu bitten — Gnade antrug; dann ging er zum Gebet über, flehte
Gott um Vergebung ihrer Beider Sünden an und dankte ihm für
die Langmuth, die er dieſem ſeinem verirrten Schafe bewieſen habe.
Jetzt war die rechte Saite angeſchlagen: der Verbrecher war bewegt
von dem Gedanken an die Langmuth Gottes, ſah den Geiſtlichen wäh¬
rend ſeines Vortrags mit unverwandten Augen an und zerfloß in

D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 30
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[465/0481] Maß immer voller geworden wäre, in der ganzen Aufrichtigkeit ſeines Herzens gedankt. Mit dieſem Bekenntniß nun, das gleich in den erſten Worten den Stab über ſein verwüſtetes Leben brach, hatte er ſich nicht bloß in die Hand der Obrigkeit, ſondern auch in die Hand ſeiner Kirche er¬ geben, welche ihre Diener ſandte, um dieſes Leben zu einem bu߬ fertigen und ſeligen Ende zuzubereiten. Ohne Zweifel haben dieſelben nach der Sitte der Zeit ausführliche Beſchreibungen dieſes geiſtlichen Prozeſſes veröffentlicht; aber unter den vielen Schwarten von hoch¬ fürſtlichen Geburts-, Hochzeits- und Leichenfeierlichkeiten in dem öffent¬ lichen Bücherſchatze, den der Herzog ſpäter anlegte, als er für ein gleichfalls verfehltes Leben Erſatz in der Erziehung der Jugend ſuchte, haben jene Schriften keinen Platz gefunden, und das Lebensbild, aus welchem nicht ein Zug hätte verloren gehen ſollen, muß auch auf dieſer Seite halbvollendet bleiben. Doch hat einer der beiden Geiſt¬ lichen dem Sohne des Oberamtmanns einzelne Züge aus jenem Be¬ kehrungsgange mitgetheilt, welche uns in der Erzählung deſſelben auf¬ behalten ſind. Bei ſeinem erſten Beſuche begann dieſer Geiſtliche von dem Zorne Gottes zu reden, der diejenigen verfolge, welche die Mittel der Gnade zu lange verſchmäht, von einer traurigen Ewigkeit und von den Schwierigkeiten einer aufrichtigen Beſſerung nach einem ſo ruch¬ loſen Leben. Hiemit hatte er zwar untadelhaft nach ſeinem Schema gearbeitet, wie der Oberamtmann nach dem ſeinigen ein regelrechtes Protokoll zu ſchreiben wußte; aber ſeine Bemühung fand den ent¬ gegengeſetzten Erfolg. Der Räuber rief ihm aufgebracht entgegen, ob er nur gekommen ſei, ihn zu quälen? Der Geiſtliche bequemte ſich, in die Schule des Oberamtmanns, der dieſen harten Stoff beſſer zu kneten verſtand, zu gehen, und ſtellte ſich nun dem ſtolzen Verbrecher als ein Bote des Friedens dar, der dem reuigen Sünder im Namen Gottes — welcher ihm geboten habe, ihn in ſeinem Namen ſogar darum zu bitten — Gnade antrug; dann ging er zum Gebet über, flehte Gott um Vergebung ihrer Beider Sünden an und dankte ihm für die Langmuth, die er dieſem ſeinem verirrten Schafe bewieſen habe. Jetzt war die rechte Saite angeſchlagen: der Verbrecher war bewegt von dem Gedanken an die Langmuth Gottes, ſah den Geiſtlichen wäh¬ rend ſeines Vortrags mit unverwandten Augen an und zerfloß in D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 30

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/481>, abgerufen am 22.11.2024.