Dennoch ließen diese Anwandlungen nicht von ihm ab, und jetzt wird es begreiflich, wie sie in Vaihingen so plötzlich zum Durchbruch kommen konnten. Zugleich aber lernt man auch deutlicher zwischen den Zeilen des Vaihinger Protokolls lesen, wenn man sich den Auftritt von dem Sohne des Oberamtmanns erzählen läßt.
"Den zweiten Tag", sagt er, "erschien Schwan wieder. Der Be¬ amte schlug nun den entgegengesetzten Weg ein. Er wiederholte ihm zwar noch einmal, daß er ihn für einen ausgemachten Bösewicht halte; aber nun forderte er ihn nicht mehr durch Drohungen, sondern durch Darstellung der schrecklichen Folgen des Lasters, durch Schilderung des Glücks eines ruhigen Gewissens, durch Bezeugung seiner herzlichen Theilnehmung an seinem Schicksal, und durch Verspruch, ihm dasselbe durch alles, was nur in seiner Gewalt stehe, zu mildern, auf; kurz, er versuchte nun durch Religion und theilnehmende Güte sein Herz zu rühren. Der Versuch gelang. Der trotzige Blick milderte sich sichtbarlich, Traurigkeit trat an die Stelle der Wuth, eine Thräne floß in dem wilden Auge. Ich habe meinen Mann gefunden, rief er gerührt, ich bitte Sie, lassen Sie diese Leute hinausgehen, und ich will Ihnen Alles gestehen. Der Oberamtmann, um diese Rührung nicht zu stören, ließ alle nicht ganz nothwendigen Personen hinausgehen, und in diesem Augenblick stammelte Schwan mit bebendem Munde: Hören Sie in Einem Wort alle meine Verbrechen: ich bin der Sonnenwirthle."
Hiscepraemissis ist das Bekenntniß des Räubers nicht mehr so sehr überraschend, wie es in dem Protokoll des Oberamtmanns überrascht und wie dieser selbst, der freilich im Protokoll dies wenig merken läßt, nebst Stadt und Land davon überrascht gewesen ist. Hätte er sein Inquisitionsschema, wie er es in das Protokoll schrieb, angewendet, so würde er wohl lange auf diese überfließende Offenheit haben warten dürfen; denn dieses Schema, das auch den redlichsten Beamten ohne seine Schuld zu einer gewissen Unwahrheit zwingt, ist dem Volke so fremd wie die römische Advocatur es seinen zungenausreißenden Vor¬ fahren war. Dem Manne, der den Menschen und den Oberamtmann mit so gutem Erfolge für sein Protokoll zu vereinigen wußte, soll hieraus kein Vorwurf gemacht werden: er hat seiner Zeit einen wich¬ tigen Dienst geleistet, und sein Gefangener selbst hat ihm die Abkür¬ zung einer Laufbahn voll Schmach und innerer Verachtung, deren
Dennoch ließen dieſe Anwandlungen nicht von ihm ab, und jetzt wird es begreiflich, wie ſie in Vaihingen ſo plötzlich zum Durchbruch kommen konnten. Zugleich aber lernt man auch deutlicher zwiſchen den Zeilen des Vaihinger Protokolls leſen, wenn man ſich den Auftritt von dem Sohne des Oberamtmanns erzählen läßt.
„Den zweiten Tag“, ſagt er, „erſchien Schwan wieder. Der Be¬ amte ſchlug nun den entgegengeſetzten Weg ein. Er wiederholte ihm zwar noch einmal, daß er ihn für einen ausgemachten Böſewicht halte; aber nun forderte er ihn nicht mehr durch Drohungen, ſondern durch Darſtellung der ſchrecklichen Folgen des Laſters, durch Schilderung des Glücks eines ruhigen Gewiſſens, durch Bezeugung ſeiner herzlichen Theilnehmung an ſeinem Schickſal, und durch Verſpruch, ihm daſſelbe durch alles, was nur in ſeiner Gewalt ſtehe, zu mildern, auf; kurz, er verſuchte nun durch Religion und theilnehmende Güte ſein Herz zu rühren. Der Verſuch gelang. Der trotzige Blick milderte ſich ſichtbarlich, Traurigkeit trat an die Stelle der Wuth, eine Thräne floß in dem wilden Auge. Ich habe meinen Mann gefunden, rief er gerührt, ich bitte Sie, laſſen Sie dieſe Leute hinausgehen, und ich will Ihnen Alles geſtehen. Der Oberamtmann, um dieſe Rührung nicht zu ſtören, ließ alle nicht ganz nothwendigen Perſonen hinausgehen, und in dieſem Augenblick ſtammelte Schwan mit bebendem Munde: Hören Sie in Einem Wort alle meine Verbrechen: ich bin der Sonnenwirthle.“
Hiscepraemissis iſt das Bekenntniß des Räubers nicht mehr ſo ſehr überraſchend, wie es in dem Protokoll des Oberamtmanns überraſcht und wie dieſer ſelbſt, der freilich im Protokoll dies wenig merken läßt, nebſt Stadt und Land davon überraſcht geweſen iſt. Hätte er ſein Inquiſitionsſchema, wie er es in das Protokoll ſchrieb, angewendet, ſo würde er wohl lange auf dieſe überfließende Offenheit haben warten dürfen; denn dieſes Schema, das auch den redlichſten Beamten ohne ſeine Schuld zu einer gewiſſen Unwahrheit zwingt, iſt dem Volke ſo fremd wie die römiſche Advocatur es ſeinen zungenausreißenden Vor¬ fahren war. Dem Manne, der den Menſchen und den Oberamtmann mit ſo gutem Erfolge für ſein Protokoll zu vereinigen wußte, ſoll hieraus kein Vorwurf gemacht werden: er hat ſeiner Zeit einen wich¬ tigen Dienſt geleiſtet, und ſein Gefangener ſelbſt hat ihm die Abkür¬ zung einer Laufbahn voll Schmach und innerer Verachtung, deren
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Dennoch ließen dieſe Anwandlungen nicht von ihm ab, und jetzt
wird es begreiflich, wie ſie in Vaihingen ſo plötzlich zum Durchbruch
kommen konnten. Zugleich aber lernt man auch deutlicher zwiſchen den
Zeilen des Vaihinger Protokolls leſen, wenn man ſich den Auftritt
von dem Sohne des Oberamtmanns erzählen läßt.
„Den zweiten Tag“, ſagt er, „erſchien Schwan wieder. Der Be¬
amte ſchlug nun den entgegengeſetzten Weg ein. Er wiederholte ihm
zwar noch einmal, daß er ihn für einen ausgemachten Böſewicht halte;
aber nun forderte er ihn nicht mehr durch Drohungen, ſondern durch
Darſtellung der ſchrecklichen Folgen des Laſters, durch Schilderung
des Glücks eines ruhigen Gewiſſens, durch Bezeugung ſeiner herzlichen
Theilnehmung an ſeinem Schickſal, und durch Verſpruch, ihm daſſelbe
durch alles, was nur in ſeiner Gewalt ſtehe, zu mildern, auf; kurz,
er verſuchte nun durch Religion und theilnehmende Güte ſein Herz zu
rühren. Der Verſuch gelang. Der trotzige Blick milderte ſich ſichtbarlich,
Traurigkeit trat an die Stelle der Wuth, eine Thräne floß in dem
wilden Auge. Ich habe meinen Mann gefunden, rief er gerührt, ich
bitte Sie, laſſen Sie dieſe Leute hinausgehen, und ich will Ihnen
Alles geſtehen. Der Oberamtmann, um dieſe Rührung nicht zu ſtören,
ließ alle nicht ganz nothwendigen Perſonen hinausgehen, und in dieſem
Augenblick ſtammelte Schwan mit bebendem Munde: Hören Sie in
Einem Wort alle meine Verbrechen: ich bin der Sonnenwirthle.“
Hisce praemissis iſt das Bekenntniß des Räubers nicht mehr
ſo ſehr überraſchend, wie es in dem Protokoll des Oberamtmanns
überraſcht und wie dieſer ſelbſt, der freilich im Protokoll dies wenig merken
läßt, nebſt Stadt und Land davon überraſcht geweſen iſt. Hätte er
ſein Inquiſitionsſchema, wie er es in das Protokoll ſchrieb, angewendet,
ſo würde er wohl lange auf dieſe überfließende Offenheit haben warten
dürfen; denn dieſes Schema, das auch den redlichſten Beamten ohne
ſeine Schuld zu einer gewiſſen Unwahrheit zwingt, iſt dem Volke ſo
fremd wie die römiſche Advocatur es ſeinen zungenausreißenden Vor¬
fahren war. Dem Manne, der den Menſchen und den Oberamtmann
mit ſo gutem Erfolge für ſein Protokoll zu vereinigen wußte, ſoll
hieraus kein Vorwurf gemacht werden: er hat ſeiner Zeit einen wich¬
tigen Dienſt geleiſtet, und ſein Gefangener ſelbſt hat ihm die Abkür¬
zung einer Laufbahn voll Schmach und innerer Verachtung, deren
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 464. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/480>, abgerufen am 22.11.2024.
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