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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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in den Kirchen predige. Das ging nun freilich nicht ohne innerliches
Widersprechen meines Gewissens ab, und überhaupt hatte ich beständig
quälende Gewissensbisse." Nichts aber, setzt sein Geschichtschreiber
hinzu, habe seine Besserung so sehr gehindert, als sein Weib, die seine
Begierde nach derselben als Zuckungen eines Feigen belacht, und
wenn Spotten nichts mehr half, seine Frömmigkeit bloß als einen
Vorwand, sie zu verlassen und zu seiner lutherischen Christine zurück¬
zukehren, angesehen habe.

Die schwarze Christine bekannte sich zu der katholischen Kirche.
Sie hatte mit ihrem Geliebten gleich nach ihrer Verbindung eine
Wallfahrt zu der schwarzen Maria von Einsiedeln gemacht, um sich
trauen zu lassen, daselbst auch Bereitwilligkeit gefunden, die jedoch
nicht zur That werden konnte, da keines von beiden Brautleuten daran
gedacht hatte, seinen Taufschein mitzubringen. Ihr erstes Kind war
in einem badischen Orte, dessen jaunerfreundlicher Schultheiß dabei zu
Gevatter stand, von einem Jesuiten getauft worden. Ueber den Tod
dieses Kindes, das sie frühe wieder verlor, betrübte sie sich so über¬
mäßig, daß sie in Verzweiflung verfiel und dem Wahnsinn nahe kam;
sie wollte sich durchaus nicht von dem Kinde trennen und trug die
verwesende Leiche in einem Kästchen mit der größten Beschwerde acht
Tage lang herum. Ueber ihr Verhältniß zu ihrer Religion sagt der
akademische Geschichtschreiber dieses Räubers und dieser Räuberin:
"Niemand betete pflichtlicher das Pater Noster. Niemand besuchte die
Wallfahrten so fleißig oder wohnte den Prozessionen so häufig bei.
Schwan hat versichert, daß sie oft auf eine einzige solche heilige Feierlichkeit
mehr als dreißig Gulden aufgewandt, daß sie aber auch öfters das
Geld dazu vorher gestohlen habe." Uebereinstimmend hiemit sagt ein
Schriftsteller des vorigen Jahrhunderts, der über die Jauner schrieb
und sich durch seine Sprache als Protestanten zu erkennen gibt, die
Religion, zu der sich diese Menschenklasse bekenne, sei in der Regel
die katholische, man dürfe immer hundert Katholiken auf einen oder
zween Lutheraner, Reformirte oder Juden rechnen; diese Minderheiten
bilden die Ausnahme und seien allemal Ueberläufer aus dem Bürger¬
stande; die Religionswissenschaft der Mehrheit bestehe in einigen aus¬
wendig gelernten Formeln, in Legenden, in ungestalten Ideen von
Wallfahrten, Messelesen, Rosenkranzbeten u. dgl., und mehr, fügt er

in den Kirchen predige. Das ging nun freilich nicht ohne innerliches
Widerſprechen meines Gewiſſens ab, und überhaupt hatte ich beſtändig
quälende Gewiſſensbiſſe.“ Nichts aber, ſetzt ſein Geſchichtſchreiber
hinzu, habe ſeine Beſſerung ſo ſehr gehindert, als ſein Weib, die ſeine
Begierde nach derſelben als Zuckungen eines Feigen belacht, und
wenn Spotten nichts mehr half, ſeine Frömmigkeit bloß als einen
Vorwand, ſie zu verlaſſen und zu ſeiner lutheriſchen Chriſtine zurück¬
zukehren, angeſehen habe.

Die ſchwarze Chriſtine bekannte ſich zu der katholiſchen Kirche.
Sie hatte mit ihrem Geliebten gleich nach ihrer Verbindung eine
Wallfahrt zu der ſchwarzen Maria von Einſiedeln gemacht, um ſich
trauen zu laſſen, daſelbſt auch Bereitwilligkeit gefunden, die jedoch
nicht zur That werden konnte, da keines von beiden Brautleuten daran
gedacht hatte, ſeinen Taufſchein mitzubringen. Ihr erſtes Kind war
in einem badiſchen Orte, deſſen jaunerfreundlicher Schultheiß dabei zu
Gevatter ſtand, von einem Jeſuiten getauft worden. Ueber den Tod
dieſes Kindes, das ſie frühe wieder verlor, betrübte ſie ſich ſo über¬
mäßig, daß ſie in Verzweiflung verfiel und dem Wahnſinn nahe kam;
ſie wollte ſich durchaus nicht von dem Kinde trennen und trug die
verweſende Leiche in einem Käſtchen mit der größten Beſchwerde acht
Tage lang herum. Ueber ihr Verhältniß zu ihrer Religion ſagt der
akademiſche Geſchichtſchreiber dieſes Räubers und dieſer Räuberin:
„Niemand betete pflichtlicher das Pater Noſter. Niemand beſuchte die
Wallfahrten ſo fleißig oder wohnte den Prozeſſionen ſo häufig bei.
Schwan hat verſichert, daß ſie oft auf eine einzige ſolche heilige Feierlichkeit
mehr als dreißig Gulden aufgewandt, daß ſie aber auch öfters das
Geld dazu vorher geſtohlen habe.“ Uebereinſtimmend hiemit ſagt ein
Schriftſteller des vorigen Jahrhunderts, der über die Jauner ſchrieb
und ſich durch ſeine Sprache als Proteſtanten zu erkennen gibt, die
Religion, zu der ſich dieſe Menſchenklaſſe bekenne, ſei in der Regel
die katholiſche, man dürfe immer hundert Katholiken auf einen oder
zween Lutheraner, Reformirte oder Juden rechnen; dieſe Minderheiten
bilden die Ausnahme und ſeien allemal Ueberläufer aus dem Bürger¬
ſtande; die Religionswiſſenſchaft der Mehrheit beſtehe in einigen aus¬
wendig gelernten Formeln, in Legenden, in ungeſtalten Ideen von
Wallfahrten, Meſſeleſen, Roſenkranzbeten u. dgl., und mehr, fügt er

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[458/0474] in den Kirchen predige. Das ging nun freilich nicht ohne innerliches Widerſprechen meines Gewiſſens ab, und überhaupt hatte ich beſtändig quälende Gewiſſensbiſſe.“ Nichts aber, ſetzt ſein Geſchichtſchreiber hinzu, habe ſeine Beſſerung ſo ſehr gehindert, als ſein Weib, die ſeine Begierde nach derſelben als Zuckungen eines Feigen belacht, und wenn Spotten nichts mehr half, ſeine Frömmigkeit bloß als einen Vorwand, ſie zu verlaſſen und zu ſeiner lutheriſchen Chriſtine zurück¬ zukehren, angeſehen habe. Die ſchwarze Chriſtine bekannte ſich zu der katholiſchen Kirche. Sie hatte mit ihrem Geliebten gleich nach ihrer Verbindung eine Wallfahrt zu der ſchwarzen Maria von Einſiedeln gemacht, um ſich trauen zu laſſen, daſelbſt auch Bereitwilligkeit gefunden, die jedoch nicht zur That werden konnte, da keines von beiden Brautleuten daran gedacht hatte, ſeinen Taufſchein mitzubringen. Ihr erſtes Kind war in einem badiſchen Orte, deſſen jaunerfreundlicher Schultheiß dabei zu Gevatter ſtand, von einem Jeſuiten getauft worden. Ueber den Tod dieſes Kindes, das ſie frühe wieder verlor, betrübte ſie ſich ſo über¬ mäßig, daß ſie in Verzweiflung verfiel und dem Wahnſinn nahe kam; ſie wollte ſich durchaus nicht von dem Kinde trennen und trug die verweſende Leiche in einem Käſtchen mit der größten Beſchwerde acht Tage lang herum. Ueber ihr Verhältniß zu ihrer Religion ſagt der akademiſche Geſchichtſchreiber dieſes Räubers und dieſer Räuberin: „Niemand betete pflichtlicher das Pater Noſter. Niemand beſuchte die Wallfahrten ſo fleißig oder wohnte den Prozeſſionen ſo häufig bei. Schwan hat verſichert, daß ſie oft auf eine einzige ſolche heilige Feierlichkeit mehr als dreißig Gulden aufgewandt, daß ſie aber auch öfters das Geld dazu vorher geſtohlen habe.“ Uebereinſtimmend hiemit ſagt ein Schriftſteller des vorigen Jahrhunderts, der über die Jauner ſchrieb und ſich durch ſeine Sprache als Proteſtanten zu erkennen gibt, die Religion, zu der ſich dieſe Menſchenklaſſe bekenne, ſei in der Regel die katholiſche, man dürfe immer hundert Katholiken auf einen oder zween Lutheraner, Reformirte oder Juden rechnen; dieſe Minderheiten bilden die Ausnahme und ſeien allemal Ueberläufer aus dem Bürger¬ ſtande; die Religionswiſſenſchaft der Mehrheit beſtehe in einigen aus¬ wendig gelernten Formeln, in Legenden, in ungeſtalten Ideen von Wallfahrten, Meſſeleſen, Roſenkranzbeten u. dgl., und mehr, fügt er

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/474>, abgerufen am 25.11.2024.