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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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mit protestantischer Härte hinzu, brauchen sie als Jauner auch nicht
zu wissen, denn die Religion würde ihnen, wenn sie sie dem Wesen
nach kenneten, nur beschwerlich sein.

Die katholische Kirche, die sich die allgemeine nennt und es zu
werden strebt, macht dem Menschen den Eintritt in ihre allezeit offenen
Tempel leichter und legt ihm kein so schweres Opfer auf wie ihre
Schwesterkirche. Da sie Alles unter ihre Flügel versammeln will, so
muß sie wie eine gütige, nachsichtige Mutter verfahren, die dem Kinde
je nach dem Maße seiner Gaben nicht das Schwerste zumuthet, sondern
sich mit der Andeutung des guten Willens begnügt. Daher erklärt es sich,
daß ihre opferfreudigen Sendboten unter den kindlichen Völkern einer
jüngeren Welt, wie bei den aus Indien nach Europa eingewanderten
Zigeunern, welche großentheils den Grundstock der Heimathlosen des vorigen
Jahrhunderts abgegeben haben, im Pflanzen und Ernten glücklicher gewesen
sind, als ihre Nebenbuhler von der anderen Kirche. Diese strengere Mut¬
ter weist die bloß äußerliche Andeutung zurück, sie duldet es nicht, daß
der Mensch an seiner Statt Gott einen guten Mann sein lasse, son¬
dern legt ihm selbst, unter Verheißung des göttlichen Beistandes zwar, die
Riesenarbeit auf, sich die Geheimnisse des Glaubens anzueignen und
das eigne Ich zu überwinden. Da sie selbst die Größe dieser Forde¬
rung sich nicht verbergen kann, so sagt sie, es sei nur Auserwählten
möglich, dieselbe zu erfüllen, während sie zugleich, da sie so wenig wie die
andere Kirche ihren Kreis zu beschränken gemeint ist, hiedurch in den
Widerspruch geräth, auch Nichtauserwählten ihr Joch auferlegen zu
wollen. Hiezu kommt noch, daß ihr seit mehr als hundert Jahren gerade
unter ihren begabtesten Söhnen Gegner aufgestanden sind, die, statt
sich als Auserwählte zu zeigen, den Grund des Glaubens mit der
Schneide der Prüfung und Verneinung aufgewühlt und ihre unbe¬
gabteren Brüder beunruhigt haben, so daß die Kirche selbst, im Kampf
mit ihnen, so wie andererseits mit ihrer älteren Schwester, genöthigt
worden ist, um den Glauben zu streiten, das heißt, die Breite, Höhe
und Tiefe der Gottheit auszumessen, was zwar den Weltkindern frei¬
stehen mag, der Kirche aber durch ihre heiligen Urkunden nicht
empfohlen ist. So weisen denn beide Kirchen an ihren Bekennern
Schattenseiten auf, welche die Gefahren der einen wie der andern an¬
zeigen: dort Leichtsinn, hier Verwirrung. Beide aber, die nachsichtige

mit proteſtantiſcher Härte hinzu, brauchen ſie als Jauner auch nicht
zu wiſſen, denn die Religion würde ihnen, wenn ſie ſie dem Weſen
nach kenneten, nur beſchwerlich ſein.

Die katholiſche Kirche, die ſich die allgemeine nennt und es zu
werden ſtrebt, macht dem Menſchen den Eintritt in ihre allezeit offenen
Tempel leichter und legt ihm kein ſo ſchweres Opfer auf wie ihre
Schweſterkirche. Da ſie Alles unter ihre Flügel verſammeln will, ſo
muß ſie wie eine gütige, nachſichtige Mutter verfahren, die dem Kinde
je nach dem Maße ſeiner Gaben nicht das Schwerſte zumuthet, ſondern
ſich mit der Andeutung des guten Willens begnügt. Daher erklärt es ſich,
daß ihre opferfreudigen Sendboten unter den kindlichen Völkern einer
jüngeren Welt, wie bei den aus Indien nach Europa eingewanderten
Zigeunern, welche großentheils den Grundſtock der Heimathloſen des vorigen
Jahrhunderts abgegeben haben, im Pflanzen und Ernten glücklicher geweſen
ſind, als ihre Nebenbuhler von der anderen Kirche. Dieſe ſtrengere Mut¬
ter weist die bloß äußerliche Andeutung zurück, ſie duldet es nicht, daß
der Menſch an ſeiner Statt Gott einen guten Mann ſein laſſe, ſon¬
dern legt ihm ſelbſt, unter Verheißung des göttlichen Beiſtandes zwar, die
Rieſenarbeit auf, ſich die Geheimniſſe des Glaubens anzueignen und
das eigne Ich zu überwinden. Da ſie ſelbſt die Größe dieſer Forde¬
rung ſich nicht verbergen kann, ſo ſagt ſie, es ſei nur Auserwählten
möglich, dieſelbe zu erfüllen, während ſie zugleich, da ſie ſo wenig wie die
andere Kirche ihren Kreis zu beſchränken gemeint iſt, hiedurch in den
Widerſpruch geräth, auch Nichtauserwählten ihr Joch auferlegen zu
wollen. Hiezu kommt noch, daß ihr ſeit mehr als hundert Jahren gerade
unter ihren begabteſten Söhnen Gegner aufgeſtanden ſind, die, ſtatt
ſich als Auserwählte zu zeigen, den Grund des Glaubens mit der
Schneide der Prüfung und Verneinung aufgewühlt und ihre unbe¬
gabteren Brüder beunruhigt haben, ſo daß die Kirche ſelbſt, im Kampf
mit ihnen, ſo wie andererſeits mit ihrer älteren Schweſter, genöthigt
worden iſt, um den Glauben zu ſtreiten, das heißt, die Breite, Höhe
und Tiefe der Gottheit auszumeſſen, was zwar den Weltkindern frei¬
ſtehen mag, der Kirche aber durch ihre heiligen Urkunden nicht
empfohlen iſt. So weiſen denn beide Kirchen an ihren Bekennern
Schattenſeiten auf, welche die Gefahren der einen wie der andern an¬
zeigen: dort Leichtſinn, hier Verwirrung. Beide aber, die nachſichtige

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[459/0475] mit proteſtantiſcher Härte hinzu, brauchen ſie als Jauner auch nicht zu wiſſen, denn die Religion würde ihnen, wenn ſie ſie dem Weſen nach kenneten, nur beſchwerlich ſein. Die katholiſche Kirche, die ſich die allgemeine nennt und es zu werden ſtrebt, macht dem Menſchen den Eintritt in ihre allezeit offenen Tempel leichter und legt ihm kein ſo ſchweres Opfer auf wie ihre Schweſterkirche. Da ſie Alles unter ihre Flügel verſammeln will, ſo muß ſie wie eine gütige, nachſichtige Mutter verfahren, die dem Kinde je nach dem Maße ſeiner Gaben nicht das Schwerſte zumuthet, ſondern ſich mit der Andeutung des guten Willens begnügt. Daher erklärt es ſich, daß ihre opferfreudigen Sendboten unter den kindlichen Völkern einer jüngeren Welt, wie bei den aus Indien nach Europa eingewanderten Zigeunern, welche großentheils den Grundſtock der Heimathloſen des vorigen Jahrhunderts abgegeben haben, im Pflanzen und Ernten glücklicher geweſen ſind, als ihre Nebenbuhler von der anderen Kirche. Dieſe ſtrengere Mut¬ ter weist die bloß äußerliche Andeutung zurück, ſie duldet es nicht, daß der Menſch an ſeiner Statt Gott einen guten Mann ſein laſſe, ſon¬ dern legt ihm ſelbſt, unter Verheißung des göttlichen Beiſtandes zwar, die Rieſenarbeit auf, ſich die Geheimniſſe des Glaubens anzueignen und das eigne Ich zu überwinden. Da ſie ſelbſt die Größe dieſer Forde¬ rung ſich nicht verbergen kann, ſo ſagt ſie, es ſei nur Auserwählten möglich, dieſelbe zu erfüllen, während ſie zugleich, da ſie ſo wenig wie die andere Kirche ihren Kreis zu beſchränken gemeint iſt, hiedurch in den Widerſpruch geräth, auch Nichtauserwählten ihr Joch auferlegen zu wollen. Hiezu kommt noch, daß ihr ſeit mehr als hundert Jahren gerade unter ihren begabteſten Söhnen Gegner aufgeſtanden ſind, die, ſtatt ſich als Auserwählte zu zeigen, den Grund des Glaubens mit der Schneide der Prüfung und Verneinung aufgewühlt und ihre unbe¬ gabteren Brüder beunruhigt haben, ſo daß die Kirche ſelbſt, im Kampf mit ihnen, ſo wie andererſeits mit ihrer älteren Schweſter, genöthigt worden iſt, um den Glauben zu ſtreiten, das heißt, die Breite, Höhe und Tiefe der Gottheit auszumeſſen, was zwar den Weltkindern frei¬ ſtehen mag, der Kirche aber durch ihre heiligen Urkunden nicht empfohlen iſt. So weiſen denn beide Kirchen an ihren Bekennern Schattenſeiten auf, welche die Gefahren der einen wie der andern an¬ zeigen: dort Leichtſinn, hier Verwirrung. Beide aber, die nachſichtige

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 459. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/475>, abgerufen am 18.05.2024.