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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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sei nämlich auf einem sehr elenden Pferde gesessen, das mit seinem
eigenen trotzigen und kühnen Anstande -- und, wie aus den andern
Quellen hervorgeht, mit seiner durchaus ehrbaren Kleidung -- einen
höchst lächerlichen Widerspruch gebildet habe, und dieser Umstand so
wie das auffallende Gesicht des Mannes habe gemacht, daß der Ober¬
amtmann mit Aufmerksamkeit bald auf dem Pferde, bald auf ihm ver¬
weilt sei. Diese Aufmerksamkeit sei dem Reiter nicht entgangen, der
nun habe annehmen müssen, das gestohlene Pferd sei bereits steckbrief¬
lich geschildert, und deßhalb, da der Oberamtmann eine Veränderung
in seinem Gesichte zu erblicken glaubte und ihm abzusteigen befahl,
die Flucht zu ergreifen gesucht habe.

Gleichwohl würden nach seiner Vergewaltigung durch einige muthige
Vaihinger Bürger, die, wie der Vorgang von Jöhlingen beweist, ihr
Leben dabei wagten, die Inzichten, die in seinem Benehmen und den
bei ihm gefundenen allerdings verdächtigen Gegenständen lagen, noch
nicht zu einem zuversichtlichen Verfahren gegen ihn ausgereicht haben.
Er hatte sich schon mehr in solchen Verlegenheiten befunden und wußte,
wie viel man der Obrigkeit, selbst auf halbem Augenschein von ihr
ertappt, durch hartnäckiges Leugnen abtrotzen konnte. Aber die erste
Gefängnißnacht in Vaihingen vollendete die Umwandlung, die schon
lange in seinem Innern begonnen hatte und durch die Stürme des
Lebens, die Foltern des Gewissens so vorbereitet war, daß sie nur
noch eines äußeren Anstoßes bedurfte.

Wer seinen Mutterwitz und seine offenherzige Leutseligkeit für die
einzigen von seiner Mutter ererbten Eigenschaften hielt, hatte sich gar¬
stig in ihm verrechnet, und theuer mußten die Genossen seiner Uebel¬
thaten diesen Rechnungsfehler büßen. Das hauptsächlichste Erbe, das
er von seiner Mutter überkommen, das heißt, vermittelst ihres Ein¬
flusses sich in sein Herz eingeprägt hatte, war die Religion, wie sie in
den Liedern seiner Landeskirche, in den Sprüchen der Luther'schen Bibel
und in den Fragen und Antworten des protestantischen Katechismus
niedergelegt war. Die Art, wie er diese Religion in der Welt aus¬
üben sah, hatte ihn oft über sie spotten machen, und der Beifall, den
seine Witze fanden, hatte ihn in seinen Spöttereien bestärkt. Aber
was sein Geschichtschreiber aus seinem Mund erzählt, beweist, daß sie
dennoch die Heimath seines innersten Gemüths geblieben war, und der

ſei nämlich auf einem ſehr elenden Pferde geſeſſen, das mit ſeinem
eigenen trotzigen und kühnen Anſtande — und, wie aus den andern
Quellen hervorgeht, mit ſeiner durchaus ehrbaren Kleidung — einen
höchſt lächerlichen Widerſpruch gebildet habe, und dieſer Umſtand ſo
wie das auffallende Geſicht des Mannes habe gemacht, daß der Ober¬
amtmann mit Aufmerkſamkeit bald auf dem Pferde, bald auf ihm ver¬
weilt ſei. Dieſe Aufmerkſamkeit ſei dem Reiter nicht entgangen, der
nun habe annehmen müſſen, das geſtohlene Pferd ſei bereits ſteckbrief¬
lich geſchildert, und deßhalb, da der Oberamtmann eine Veränderung
in ſeinem Geſichte zu erblicken glaubte und ihm abzuſteigen befahl,
die Flucht zu ergreifen geſucht habe.

Gleichwohl würden nach ſeiner Vergewaltigung durch einige muthige
Vaihinger Bürger, die, wie der Vorgang von Jöhlingen beweist, ihr
Leben dabei wagten, die Inzichten, die in ſeinem Benehmen und den
bei ihm gefundenen allerdings verdächtigen Gegenſtänden lagen, noch
nicht zu einem zuverſichtlichen Verfahren gegen ihn ausgereicht haben.
Er hatte ſich ſchon mehr in ſolchen Verlegenheiten befunden und wußte,
wie viel man der Obrigkeit, ſelbſt auf halbem Augenſchein von ihr
ertappt, durch hartnäckiges Leugnen abtrotzen konnte. Aber die erſte
Gefängnißnacht in Vaihingen vollendete die Umwandlung, die ſchon
lange in ſeinem Innern begonnen hatte und durch die Stürme des
Lebens, die Foltern des Gewiſſens ſo vorbereitet war, daß ſie nur
noch eines äußeren Anſtoßes bedurfte.

Wer ſeinen Mutterwitz und ſeine offenherzige Leutſeligkeit für die
einzigen von ſeiner Mutter ererbten Eigenſchaften hielt, hatte ſich gar¬
ſtig in ihm verrechnet, und theuer mußten die Genoſſen ſeiner Uebel¬
thaten dieſen Rechnungsfehler büßen. Das hauptſächlichſte Erbe, das
er von ſeiner Mutter überkommen, das heißt, vermittelſt ihres Ein¬
fluſſes ſich in ſein Herz eingeprägt hatte, war die Religion, wie ſie in
den Liedern ſeiner Landeskirche, in den Sprüchen der Luther'ſchen Bibel
und in den Fragen und Antworten des proteſtantiſchen Katechismus
niedergelegt war. Die Art, wie er dieſe Religion in der Welt aus¬
üben ſah, hatte ihn oft über ſie ſpotten machen, und der Beifall, den
ſeine Witze fanden, hatte ihn in ſeinen Spöttereien beſtärkt. Aber
was ſein Geſchichtſchreiber aus ſeinem Mund erzählt, beweist, daß ſie
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[456/0472] ſei nämlich auf einem ſehr elenden Pferde geſeſſen, das mit ſeinem eigenen trotzigen und kühnen Anſtande — und, wie aus den andern Quellen hervorgeht, mit ſeiner durchaus ehrbaren Kleidung — einen höchſt lächerlichen Widerſpruch gebildet habe, und dieſer Umſtand ſo wie das auffallende Geſicht des Mannes habe gemacht, daß der Ober¬ amtmann mit Aufmerkſamkeit bald auf dem Pferde, bald auf ihm ver¬ weilt ſei. Dieſe Aufmerkſamkeit ſei dem Reiter nicht entgangen, der nun habe annehmen müſſen, das geſtohlene Pferd ſei bereits ſteckbrief¬ lich geſchildert, und deßhalb, da der Oberamtmann eine Veränderung in ſeinem Geſichte zu erblicken glaubte und ihm abzuſteigen befahl, die Flucht zu ergreifen geſucht habe. Gleichwohl würden nach ſeiner Vergewaltigung durch einige muthige Vaihinger Bürger, die, wie der Vorgang von Jöhlingen beweist, ihr Leben dabei wagten, die Inzichten, die in ſeinem Benehmen und den bei ihm gefundenen allerdings verdächtigen Gegenſtänden lagen, noch nicht zu einem zuverſichtlichen Verfahren gegen ihn ausgereicht haben. Er hatte ſich ſchon mehr in ſolchen Verlegenheiten befunden und wußte, wie viel man der Obrigkeit, ſelbſt auf halbem Augenſchein von ihr ertappt, durch hartnäckiges Leugnen abtrotzen konnte. Aber die erſte Gefängnißnacht in Vaihingen vollendete die Umwandlung, die ſchon lange in ſeinem Innern begonnen hatte und durch die Stürme des Lebens, die Foltern des Gewiſſens ſo vorbereitet war, daß ſie nur noch eines äußeren Anſtoßes bedurfte. Wer ſeinen Mutterwitz und ſeine offenherzige Leutſeligkeit für die einzigen von ſeiner Mutter ererbten Eigenſchaften hielt, hatte ſich gar¬ ſtig in ihm verrechnet, und theuer mußten die Genoſſen ſeiner Uebel¬ thaten dieſen Rechnungsfehler büßen. Das hauptſächlichſte Erbe, das er von ſeiner Mutter überkommen, das heißt, vermittelſt ihres Ein¬ fluſſes ſich in ſein Herz eingeprägt hatte, war die Religion, wie ſie in den Liedern ſeiner Landeskirche, in den Sprüchen der Luther'ſchen Bibel und in den Fragen und Antworten des proteſtantiſchen Katechismus niedergelegt war. Die Art, wie er dieſe Religion in der Welt aus¬ üben ſah, hatte ihn oft über ſie ſpotten machen, und der Beifall, den ſeine Witze fanden, hatte ihn in ſeinen Spöttereien beſtärkt. Aber was ſein Geſchichtſchreiber aus ſeinem Mund erzählt, beweist, daß ſie dennoch die Heimath ſeines innerſten Gemüths geblieben war, und der

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 456. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/472>, abgerufen am 22.11.2024.