Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

soll. So hast du mich auch gequält, bis ich meinem Vater die Frucht
geholt hab', und dann wieder bis ich dem Pfarrer in's Haus gestiegen
bin, und hintennach ist dir's dann doch wieder nicht recht gewesen.

Es ist auch nicht recht, sagte sie.

Gelt, weil's zu bösen Häusern führen kann? Wenn du das nicht
willst, so schick' dich eben in die Zeit, nur mach' mir nicht den Kopf
mit deinem Lamento warm.

Ach! seufzte sie, ich hab' mir eben ein ganz anders Leben für¬
gestellt, wie wir von Neckardenzlingen mit einander fort sind. Da
hab' ich schon gemeint, ich werd' wieder jung, und hab' Alles gern
dahinten gelassen.

Machst mir das zum Vorwurf? Bin ich nicht auch im Rohr ge¬
sessen und hätt' mir Pfeifen schneiden können, und hab' ich nicht um
deinetwillen auf Alles verzichtet?

Wär'st lieber blieben, bis sich etwas für uns gemacht hätt'. Hätt'st
mir ja derweil schreiben können.

Man kriegt ja keine Antwort von dir. Und hab' ich gewußt, wo
ich hinschreiben soll? Nach Ebersbach, wenn du nicht dort bist? Hätt'
ich mir etwa selber einen Paß von Sachsenhausen nach Hohentwiel
schreiben sollen?

Ich will nichts mehr sagen, versetzte sie, du wirst gleich so wild.

Sie gingen lange Zeit stillschweigend hin. Was siehst du denn
immer auf den Boden? fragte sie, da ihr sein Benehmen auffiel.

Da ist wieder einer! rief er, sich bückend und etwas aufhebend.
Es war ein frisch abgebrochener gabelförmiger Zweig. Er betrachtete
ihn von allen Seiten, schüttelte den Kopf, da er nichts weiter daran
fand, und legte ihn sorgfältig wieder auf den Boden. Dann sah er
sich an den Bäumen um, blickte scharf von Stamm zu Stamm,
schüttelte den Kopf abermals, als fände er nicht, was er erwartete,
und setzte den Weg wieder fort. Sie waren eine weitere Strecke ge¬
gangen, da lag ein neuer Zweig von gleicher Form, den er aufmerk¬
sam betrachtete, worauf er den eingeschlagenen Weg verließ und einen
schmalen Seitenpfad zur Rechten betrat. Christine folgte. Mit zu¬
friedenem Kopfnicken fand er dort bald wieder einen Zweig von der
vorigen Art und weiterhin noch mehrere. Sie waren einer wie der
andre an der Seite des Weges schief hingelegt, so daß von den beiden

ſoll. So haſt du mich auch gequält, bis ich meinem Vater die Frucht
geholt hab', und dann wieder bis ich dem Pfarrer in's Haus geſtiegen
bin, und hintennach iſt dir's dann doch wieder nicht recht geweſen.

Es iſt auch nicht recht, ſagte ſie.

Gelt, weil's zu böſen Häuſern führen kann? Wenn du das nicht
willſt, ſo ſchick' dich eben in die Zeit, nur mach' mir nicht den Kopf
mit deinem Lamento warm.

Ach! ſeufzte ſie, ich hab' mir eben ein ganz anders Leben für¬
geſtellt, wie wir von Neckardenzlingen mit einander fort ſind. Da
hab' ich ſchon gemeint, ich werd' wieder jung, und hab' Alles gern
dahinten gelaſſen.

Machſt mir das zum Vorwurf? Bin ich nicht auch im Rohr ge¬
ſeſſen und hätt' mir Pfeifen ſchneiden können, und hab' ich nicht um
deinetwillen auf Alles verzichtet?

Wär'ſt lieber blieben, bis ſich etwas für uns gemacht hätt'. Hätt'ſt
mir ja derweil ſchreiben können.

Man kriegt ja keine Antwort von dir. Und hab' ich gewußt, wo
ich hinſchreiben ſoll? Nach Ebersbach, wenn du nicht dort biſt? Hätt'
ich mir etwa ſelber einen Paß von Sachſenhauſen nach Hohentwiel
ſchreiben ſollen?

Ich will nichts mehr ſagen, verſetzte ſie, du wirſt gleich ſo wild.

Sie gingen lange Zeit ſtillſchweigend hin. Was ſiehſt du denn
immer auf den Boden? fragte ſie, da ihr ſein Benehmen auffiel.

Da iſt wieder einer! rief er, ſich bückend und etwas aufhebend.
Es war ein friſch abgebrochener gabelförmiger Zweig. Er betrachtete
ihn von allen Seiten, ſchüttelte den Kopf, da er nichts weiter daran
fand, und legte ihn ſorgfältig wieder auf den Boden. Dann ſah er
ſich an den Bäumen um, blickte ſcharf von Stamm zu Stamm,
ſchüttelte den Kopf abermals, als fände er nicht, was er erwartete,
und ſetzte den Weg wieder fort. Sie waren eine weitere Strecke ge¬
gangen, da lag ein neuer Zweig von gleicher Form, den er aufmerk¬
ſam betrachtete, worauf er den eingeſchlagenen Weg verließ und einen
ſchmalen Seitenpfad zur Rechten betrat. Chriſtine folgte. Mit zu¬
friedenem Kopfnicken fand er dort bald wieder einen Zweig von der
vorigen Art und weiterhin noch mehrere. Sie waren einer wie der
andre an der Seite des Weges ſchief hingelegt, ſo daß von den beiden

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0380" n="364"/>
&#x017F;oll. So ha&#x017F;t du mich auch gequält, bis ich meinem Vater die Frucht<lb/>
geholt hab', und dann wieder bis ich dem Pfarrer in's Haus ge&#x017F;tiegen<lb/>
bin, und hintennach i&#x017F;t dir's dann doch wieder nicht recht gewe&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Es i&#x017F;t auch nicht recht, &#x017F;agte &#x017F;ie.</p><lb/>
        <p>Gelt, weil's zu bö&#x017F;en Häu&#x017F;ern führen kann? Wenn du das nicht<lb/>
will&#x017F;t, &#x017F;o &#x017F;chick' dich eben in die Zeit, nur mach' mir nicht den Kopf<lb/>
mit deinem Lamento warm.</p><lb/>
        <p>Ach! &#x017F;eufzte &#x017F;ie, ich hab' mir eben ein ganz anders Leben für¬<lb/>
ge&#x017F;tellt, wie wir von Neckardenzlingen mit einander fort &#x017F;ind. Da<lb/>
hab' ich &#x017F;chon gemeint, ich werd' wieder jung, und hab' Alles gern<lb/>
dahinten gela&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Mach&#x017F;t mir das zum Vorwurf? Bin ich nicht auch im Rohr ge¬<lb/>
&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en und hätt' mir Pfeifen &#x017F;chneiden können, und hab' ich nicht um<lb/>
deinetwillen auf Alles verzichtet?</p><lb/>
        <p>Wär'&#x017F;t lieber blieben, bis &#x017F;ich etwas für uns gemacht hätt'. Hätt'&#x017F;t<lb/>
mir ja derweil &#x017F;chreiben können.</p><lb/>
        <p>Man kriegt ja keine Antwort von dir. Und hab' ich gewußt, wo<lb/>
ich hin&#x017F;chreiben &#x017F;oll? Nach Ebersbach, wenn du nicht dort bi&#x017F;t? Hätt'<lb/>
ich mir etwa &#x017F;elber einen Paß von Sach&#x017F;enhau&#x017F;en nach Hohentwiel<lb/>
&#x017F;chreiben &#x017F;ollen?</p><lb/>
        <p>Ich will nichts mehr &#x017F;agen, ver&#x017F;etzte &#x017F;ie, du wir&#x017F;t gleich &#x017F;o wild.</p><lb/>
        <p>Sie gingen lange Zeit &#x017F;till&#x017F;chweigend hin. Was &#x017F;ieh&#x017F;t du denn<lb/>
immer auf den Boden? fragte &#x017F;ie, da ihr &#x017F;ein Benehmen auffiel.</p><lb/>
        <p>Da i&#x017F;t wieder einer! rief er, &#x017F;ich bückend und etwas aufhebend.<lb/>
Es war ein fri&#x017F;ch abgebrochener gabelförmiger Zweig. Er betrachtete<lb/>
ihn von allen Seiten, &#x017F;chüttelte den Kopf, da er nichts weiter daran<lb/>
fand, und legte ihn &#x017F;orgfältig wieder auf den Boden. Dann &#x017F;ah er<lb/>
&#x017F;ich an den Bäumen um, blickte &#x017F;charf von Stamm zu Stamm,<lb/>
&#x017F;chüttelte den Kopf abermals, als fände er nicht, was er erwartete,<lb/>
und &#x017F;etzte den Weg wieder fort. Sie waren eine weitere Strecke ge¬<lb/>
gangen, da lag ein neuer Zweig von gleicher Form, den er aufmerk¬<lb/>
&#x017F;am betrachtete, worauf er den einge&#x017F;chlagenen Weg verließ und einen<lb/>
&#x017F;chmalen Seitenpfad zur Rechten betrat. Chri&#x017F;tine folgte. Mit zu¬<lb/>
friedenem Kopfnicken fand er dort bald wieder einen Zweig von der<lb/>
vorigen Art und weiterhin noch mehrere. Sie waren einer wie der<lb/>
andre an der Seite des Weges &#x017F;chief hingelegt, &#x017F;o daß von den beiden<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[364/0380] ſoll. So haſt du mich auch gequält, bis ich meinem Vater die Frucht geholt hab', und dann wieder bis ich dem Pfarrer in's Haus geſtiegen bin, und hintennach iſt dir's dann doch wieder nicht recht geweſen. Es iſt auch nicht recht, ſagte ſie. Gelt, weil's zu böſen Häuſern führen kann? Wenn du das nicht willſt, ſo ſchick' dich eben in die Zeit, nur mach' mir nicht den Kopf mit deinem Lamento warm. Ach! ſeufzte ſie, ich hab' mir eben ein ganz anders Leben für¬ geſtellt, wie wir von Neckardenzlingen mit einander fort ſind. Da hab' ich ſchon gemeint, ich werd' wieder jung, und hab' Alles gern dahinten gelaſſen. Machſt mir das zum Vorwurf? Bin ich nicht auch im Rohr ge¬ ſeſſen und hätt' mir Pfeifen ſchneiden können, und hab' ich nicht um deinetwillen auf Alles verzichtet? Wär'ſt lieber blieben, bis ſich etwas für uns gemacht hätt'. Hätt'ſt mir ja derweil ſchreiben können. Man kriegt ja keine Antwort von dir. Und hab' ich gewußt, wo ich hinſchreiben ſoll? Nach Ebersbach, wenn du nicht dort biſt? Hätt' ich mir etwa ſelber einen Paß von Sachſenhauſen nach Hohentwiel ſchreiben ſollen? Ich will nichts mehr ſagen, verſetzte ſie, du wirſt gleich ſo wild. Sie gingen lange Zeit ſtillſchweigend hin. Was ſiehſt du denn immer auf den Boden? fragte ſie, da ihr ſein Benehmen auffiel. Da iſt wieder einer! rief er, ſich bückend und etwas aufhebend. Es war ein friſch abgebrochener gabelförmiger Zweig. Er betrachtete ihn von allen Seiten, ſchüttelte den Kopf, da er nichts weiter daran fand, und legte ihn ſorgfältig wieder auf den Boden. Dann ſah er ſich an den Bäumen um, blickte ſcharf von Stamm zu Stamm, ſchüttelte den Kopf abermals, als fände er nicht, was er erwartete, und ſetzte den Weg wieder fort. Sie waren eine weitere Strecke ge¬ gangen, da lag ein neuer Zweig von gleicher Form, den er aufmerk¬ ſam betrachtete, worauf er den eingeſchlagenen Weg verließ und einen ſchmalen Seitenpfad zur Rechten betrat. Chriſtine folgte. Mit zu¬ friedenem Kopfnicken fand er dort bald wieder einen Zweig von der vorigen Art und weiterhin noch mehrere. Sie waren einer wie der andre an der Seite des Weges ſchief hingelegt, ſo daß von den beiden

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/380
Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/380>, abgerufen am 27.11.2024.