Spitzen der Gabel, deren eine geknickt war, die andre unversehrte in gleicher Richtung mit dem Wege vorwärts deutete.
Das sind Zeichen, bemerkte Christine, welche den Zweigen und seiner Beobachtung derselben eine gespannte Aufmerksamkeit zugewendet hatte. Gelt, gesteh's nur, da sind deine Kocher, oder wie sie heißen, um den Weg, und dein scheeler Christianus will dir was zu wissen thun.
Wenn er da wär', so hätt' er mir seinen Zinken irgendwo hinter¬ lassen, versetzte er, es ist aber nirgends nichts zu sehen.
Nachdem sie noch ein wenig fortgegangen, kamen sie auf einen freien Platz, welcher sich nach einem Waldabhang senkte und einen weiten Blick über endlose Waldung thun ließ, die in reicher Ab¬ wechslung von Höhen und Tiefen sich um den Hohenstaufen lagerte, gegen das Remsthal abwärts und nach den jenseitigen Hügeln strich. Die Zeichen, wenn es solche waren, schienen hier aufzuhören. Christine setzte sich müde auf den Boden. Friedrich schaute achtsam in die Wald¬ gegend hinein, als ob er in der Ferne hinter jedem Busch ein Wild oder etwas Anderes aufspüren müßte. Auf einmal blieb sein Auge an einer Waldecke unter dem Hohenstaufen hängen. Ein leichter bläu¬ licher Rauch ging dort kräuselnd aus den Spitzen der Bäume hervor und schien sich hinter einigen höheren Wipfeln zu verlieren. Er blickte unverwandt hin; der Rauch verschwand, kam wieder zum Vorschein und verschwand wieder. Sein Entschluß war gefaßt. Er rief Christinen vom Boden auf. Siehst dort den Waldspitzen herwärts von Wäschen¬ beuren? sagte er: dort kannst mich nachher treffen oder auf mich warten, dort will ich anstehen, ob ich vielleicht noch einen glücklichen Fang thue.
Er führte sie hierauf zu der Stelle, wo er den erlegten Hirsch gelassen hatte, packte ihr die Haut sammt dem Geweih auf den Kopf, gab ihr genaue Anleitung, wo sie ihre Last zu verstecken habe, und ging.
Christine machte sich schwer seufzend auf ihren Weg. Wie anders hätt' ich's, wenn ich bei meiner Schulmeisterin blieben wär'! sagte sie zu sich: und meine Kinder wären nicht schlechter versorgt als jetzt auch.
Unterdessen hatte er sich der erspähten Stelle wieder zugewendet, und bald fand er, daß seine Vermuthung richtig sein müsse. Der ein¬ geschlagene Pfad führte ihn über einen rauhen Fahrweg, auf welchem wieder ein Zweig von der beschriebenen Gattung lag. Das Gabelende,
Spitzen der Gabel, deren eine geknickt war, die andre unverſehrte in gleicher Richtung mit dem Wege vorwärts deutete.
Das ſind Zeichen, bemerkte Chriſtine, welche den Zweigen und ſeiner Beobachtung derſelben eine geſpannte Aufmerkſamkeit zugewendet hatte. Gelt, geſteh's nur, da ſind deine Kocher, oder wie ſie heißen, um den Weg, und dein ſcheeler Chriſtianus will dir was zu wiſſen thun.
Wenn er da wär', ſo hätt' er mir ſeinen Zinken irgendwo hinter¬ laſſen, verſetzte er, es iſt aber nirgends nichts zu ſehen.
Nachdem ſie noch ein wenig fortgegangen, kamen ſie auf einen freien Platz, welcher ſich nach einem Waldabhang ſenkte und einen weiten Blick über endloſe Waldung thun ließ, die in reicher Ab¬ wechslung von Höhen und Tiefen ſich um den Hohenſtaufen lagerte, gegen das Remsthal abwärts und nach den jenſeitigen Hügeln ſtrich. Die Zeichen, wenn es ſolche waren, ſchienen hier aufzuhören. Chriſtine ſetzte ſich müde auf den Boden. Friedrich ſchaute achtſam in die Wald¬ gegend hinein, als ob er in der Ferne hinter jedem Buſch ein Wild oder etwas Anderes aufſpüren müßte. Auf einmal blieb ſein Auge an einer Waldecke unter dem Hohenſtaufen hängen. Ein leichter bläu¬ licher Rauch ging dort kräuſelnd aus den Spitzen der Bäume hervor und ſchien ſich hinter einigen höheren Wipfeln zu verlieren. Er blickte unverwandt hin; der Rauch verſchwand, kam wieder zum Vorſchein und verſchwand wieder. Sein Entſchluß war gefaßt. Er rief Chriſtinen vom Boden auf. Siehſt dort den Waldſpitzen herwärts von Wäſchen¬ beuren? ſagte er: dort kannſt mich nachher treffen oder auf mich warten, dort will ich anſtehen, ob ich vielleicht noch einen glücklichen Fang thue.
Er führte ſie hierauf zu der Stelle, wo er den erlegten Hirſch gelaſſen hatte, packte ihr die Haut ſammt dem Geweih auf den Kopf, gab ihr genaue Anleitung, wo ſie ihre Laſt zu verſtecken habe, und ging.
Chriſtine machte ſich ſchwer ſeufzend auf ihren Weg. Wie anders hätt' ich's, wenn ich bei meiner Schulmeiſterin blieben wär'! ſagte ſie zu ſich: und meine Kinder wären nicht ſchlechter verſorgt als jetzt auch.
Unterdeſſen hatte er ſich der erſpähten Stelle wieder zugewendet, und bald fand er, daß ſeine Vermuthung richtig ſein müſſe. Der ein¬ geſchlagene Pfad führte ihn über einen rauhen Fahrweg, auf welchem wieder ein Zweig von der beſchriebenen Gattung lag. Das Gabelende,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0381"n="365"/>
Spitzen der Gabel, deren eine geknickt war, die andre unverſehrte in<lb/>
gleicher Richtung mit dem Wege vorwärts deutete.</p><lb/><p>Das ſind Zeichen, bemerkte Chriſtine, welche den Zweigen und<lb/>ſeiner Beobachtung derſelben eine geſpannte Aufmerkſamkeit zugewendet<lb/>
hatte. Gelt, geſteh's nur, da ſind deine Kocher, oder wie ſie heißen,<lb/>
um den Weg, und dein ſcheeler Chriſtianus will dir was zu wiſſen thun.</p><lb/><p>Wenn <hirendition="#g">er</hi> da wär', ſo hätt' er mir ſeinen Zinken irgendwo hinter¬<lb/>
laſſen, verſetzte er, es iſt aber nirgends nichts zu ſehen.</p><lb/><p>Nachdem ſie noch ein wenig fortgegangen, kamen ſie auf einen<lb/>
freien Platz, welcher ſich nach einem Waldabhang ſenkte und einen<lb/>
weiten Blick über endloſe Waldung thun ließ, die in reicher Ab¬<lb/>
wechslung von Höhen und Tiefen ſich um den Hohenſtaufen lagerte,<lb/>
gegen das Remsthal abwärts und nach den jenſeitigen Hügeln ſtrich.<lb/>
Die Zeichen, wenn es ſolche waren, ſchienen hier aufzuhören. Chriſtine<lb/>ſetzte ſich müde auf den Boden. Friedrich ſchaute achtſam in die Wald¬<lb/>
gegend hinein, als ob er in der Ferne hinter jedem Buſch ein Wild<lb/>
oder etwas Anderes aufſpüren müßte. Auf einmal blieb ſein Auge<lb/>
an einer Waldecke unter dem Hohenſtaufen hängen. Ein leichter bläu¬<lb/>
licher Rauch ging dort kräuſelnd aus den Spitzen der Bäume hervor<lb/>
und ſchien ſich hinter einigen höheren Wipfeln zu verlieren. Er blickte<lb/>
unverwandt hin; der Rauch verſchwand, kam wieder zum Vorſchein<lb/>
und verſchwand wieder. Sein Entſchluß war gefaßt. Er rief Chriſtinen<lb/>
vom Boden auf. Siehſt dort den Waldſpitzen herwärts von Wäſchen¬<lb/>
beuren? ſagte er: dort kannſt mich nachher treffen oder auf mich<lb/>
warten, dort will ich anſtehen, ob ich vielleicht noch einen glücklichen<lb/>
Fang thue.</p><lb/><p>Er führte ſie hierauf zu der Stelle, wo er den erlegten Hirſch<lb/>
gelaſſen hatte, packte ihr die Haut ſammt dem Geweih auf den Kopf,<lb/>
gab ihr genaue Anleitung, wo ſie ihre Laſt zu verſtecken habe, und ging.</p><lb/><p>Chriſtine machte ſich ſchwer ſeufzend auf ihren Weg. Wie anders<lb/>
hätt' ich's, wenn ich bei meiner Schulmeiſterin blieben wär'! ſagte ſie<lb/>
zu ſich: und meine Kinder wären nicht ſchlechter verſorgt als jetzt auch.</p><lb/><p>Unterdeſſen hatte er ſich der erſpähten Stelle wieder zugewendet,<lb/>
und bald fand er, daß ſeine Vermuthung richtig ſein müſſe. Der ein¬<lb/>
geſchlagene Pfad führte ihn über einen rauhen Fahrweg, auf welchem<lb/>
wieder ein Zweig von der beſchriebenen Gattung lag. Das Gabelende,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[365/0381]
Spitzen der Gabel, deren eine geknickt war, die andre unverſehrte in
gleicher Richtung mit dem Wege vorwärts deutete.
Das ſind Zeichen, bemerkte Chriſtine, welche den Zweigen und
ſeiner Beobachtung derſelben eine geſpannte Aufmerkſamkeit zugewendet
hatte. Gelt, geſteh's nur, da ſind deine Kocher, oder wie ſie heißen,
um den Weg, und dein ſcheeler Chriſtianus will dir was zu wiſſen thun.
Wenn er da wär', ſo hätt' er mir ſeinen Zinken irgendwo hinter¬
laſſen, verſetzte er, es iſt aber nirgends nichts zu ſehen.
Nachdem ſie noch ein wenig fortgegangen, kamen ſie auf einen
freien Platz, welcher ſich nach einem Waldabhang ſenkte und einen
weiten Blick über endloſe Waldung thun ließ, die in reicher Ab¬
wechslung von Höhen und Tiefen ſich um den Hohenſtaufen lagerte,
gegen das Remsthal abwärts und nach den jenſeitigen Hügeln ſtrich.
Die Zeichen, wenn es ſolche waren, ſchienen hier aufzuhören. Chriſtine
ſetzte ſich müde auf den Boden. Friedrich ſchaute achtſam in die Wald¬
gegend hinein, als ob er in der Ferne hinter jedem Buſch ein Wild
oder etwas Anderes aufſpüren müßte. Auf einmal blieb ſein Auge
an einer Waldecke unter dem Hohenſtaufen hängen. Ein leichter bläu¬
licher Rauch ging dort kräuſelnd aus den Spitzen der Bäume hervor
und ſchien ſich hinter einigen höheren Wipfeln zu verlieren. Er blickte
unverwandt hin; der Rauch verſchwand, kam wieder zum Vorſchein
und verſchwand wieder. Sein Entſchluß war gefaßt. Er rief Chriſtinen
vom Boden auf. Siehſt dort den Waldſpitzen herwärts von Wäſchen¬
beuren? ſagte er: dort kannſt mich nachher treffen oder auf mich
warten, dort will ich anſtehen, ob ich vielleicht noch einen glücklichen
Fang thue.
Er führte ſie hierauf zu der Stelle, wo er den erlegten Hirſch
gelaſſen hatte, packte ihr die Haut ſammt dem Geweih auf den Kopf,
gab ihr genaue Anleitung, wo ſie ihre Laſt zu verſtecken habe, und ging.
Chriſtine machte ſich ſchwer ſeufzend auf ihren Weg. Wie anders
hätt' ich's, wenn ich bei meiner Schulmeiſterin blieben wär'! ſagte ſie
zu ſich: und meine Kinder wären nicht ſchlechter verſorgt als jetzt auch.
Unterdeſſen hatte er ſich der erſpähten Stelle wieder zugewendet,
und bald fand er, daß ſeine Vermuthung richtig ſein müſſe. Der ein¬
geſchlagene Pfad führte ihn über einen rauhen Fahrweg, auf welchem
wieder ein Zweig von der beſchriebenen Gattung lag. Das Gabelende,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/381>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.