Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Du kannst mir nicht vorwerfen, daß ich dich plage, entgegnete er.
Ich hab' dich ein einzigsmal diesen Winter zur Jagd mitgenommen
und hab' gemeint, du könntest mir am Wald vorstehen und das Wild
zurücktreiben. Wie du aber wehleidig gethan hast, hab' ich dich gleich
gehen lassen und nie wieder mitgenommen. Diesmal aber muß es sein,
die Haut wird dich nicht zu Boden drücken, und in Gmünd mußt mit
beim Erlös sein, damit mich der Christle, der abgeführte Spitzbub',
nicht betrügt, denn sonst kann ich deine Schuld hier nicht bezahlen.
Die Haut trägt dir morgen der Christle, heut aber mußt sie selber
tragen, denn ich will derweil sehen, ob ich nicht noch einen schießen
kann. Komm!

Sie seufzte. Du mußt dich aber vor rasiren, sagte sie verdrossen.
Jetzt hast schon wieder ein achttägigs Stoppelfeld, und ich leid's
nicht, daß du dir den Bart wachsen läßt, denn du siehst so arg wild
drin aus, und wenn dir Jemand begegnet, so muß er Wunder was
von dir denken.

Meinetwegen! brummte er, griff ohne Umstände nach dem Rasir¬
zeug des Hofbesitzers und kam ihrem Begehren nach, worauf sie den
Hof verließen und den Weg nach dem Walde einschlugen.

Ist denn gar keine Möglichkeit, aus dem Leben da fortzukommen?
fragte sie im Gehen mit kummervoller Miene. Du hast mir ver¬
sprochen, du wollest mich nach Frankfurt mitnehmen, oder in den
Krieg, hast auch von Amerika gesagt. Ich ging' überall mit dir hin,
wenn ich nur aus dem Leben draußen wär' und die Kinder bei
mir hätt'.

Warum hast dich in Dettingen fangen lassen! versetzte er un¬
wirsch. Während deiner Gefangenschaft ist mein Erspartes von Sachsen¬
hausen draufgangen, mein Vater thut keinen Zug, um sein Versprechen
zu halten, und wie kann ich denn als ein vogelfreier Mensch etwas
erwerben, damit wir zu Reis'geld kommen? Sag', ich soll in Ebers¬
bach einen höflichen Besuch machen, oder mit einem Roßjuden, be¬
schnitten oder unbeschnitten, nach dem Markt ein Wort in Güte reden,
dann sollst du Geld genug haben.

Um Gott'swillen nur nichts so! rief sie.

So sagst du immer, aber dabei willst in Einem fort Geld und
Lebensmittel, und bekümmerst dich nicht drum, wo ich's hernehmen

Du kannſt mir nicht vorwerfen, daß ich dich plage, entgegnete er.
Ich hab' dich ein einzigsmal dieſen Winter zur Jagd mitgenommen
und hab' gemeint, du könnteſt mir am Wald vorſtehen und das Wild
zurücktreiben. Wie du aber wehleidig gethan haſt, hab' ich dich gleich
gehen laſſen und nie wieder mitgenommen. Diesmal aber muß es ſein,
die Haut wird dich nicht zu Boden drücken, und in Gmünd mußt mit
beim Erlös ſein, damit mich der Chriſtle, der abgeführte Spitzbub',
nicht betrügt, denn ſonſt kann ich deine Schuld hier nicht bezahlen.
Die Haut trägt dir morgen der Chriſtle, heut aber mußt ſie ſelber
tragen, denn ich will derweil ſehen, ob ich nicht noch einen ſchießen
kann. Komm!

Sie ſeufzte. Du mußt dich aber vor raſiren, ſagte ſie verdroſſen.
Jetzt haſt ſchon wieder ein achttägigs Stoppelfeld, und ich leid's
nicht, daß du dir den Bart wachſen läßt, denn du ſiehſt ſo arg wild
drin aus, und wenn dir Jemand begegnet, ſo muß er Wunder was
von dir denken.

Meinetwegen! brummte er, griff ohne Umſtände nach dem Raſir¬
zeug des Hofbeſitzers und kam ihrem Begehren nach, worauf ſie den
Hof verließen und den Weg nach dem Walde einſchlugen.

Iſt denn gar keine Möglichkeit, aus dem Leben da fortzukommen?
fragte ſie im Gehen mit kummervoller Miene. Du haſt mir ver¬
ſprochen, du wolleſt mich nach Frankfurt mitnehmen, oder in den
Krieg, haſt auch von Amerika geſagt. Ich ging' überall mit dir hin,
wenn ich nur aus dem Leben draußen wär' und die Kinder bei
mir hätt'.

Warum haſt dich in Dettingen fangen laſſen! verſetzte er un¬
wirſch. Während deiner Gefangenſchaft iſt mein Erſpartes von Sachſen¬
hauſen draufgangen, mein Vater thut keinen Zug, um ſein Verſprechen
zu halten, und wie kann ich denn als ein vogelfreier Menſch etwas
erwerben, damit wir zu Reiſ'geld kommen? Sag', ich ſoll in Ebers¬
bach einen höflichen Beſuch machen, oder mit einem Roßjuden, be¬
ſchnitten oder unbeſchnitten, nach dem Markt ein Wort in Güte reden,
dann ſollſt du Geld genug haben.

Um Gott'swillen nur nichts ſo! rief ſie.

So ſagſt du immer, aber dabei willſt in Einem fort Geld und
Lebensmittel, und bekümmerſt dich nicht drum, wo ich's hernehmen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0379" n="363"/>
        <p>Du kann&#x017F;t mir nicht vorwerfen, daß ich dich plage, entgegnete er.<lb/>
Ich hab' dich ein einzigsmal die&#x017F;en Winter zur Jagd mitgenommen<lb/>
und hab' gemeint, du könnte&#x017F;t mir am Wald vor&#x017F;tehen und das Wild<lb/>
zurücktreiben. Wie du aber wehleidig gethan ha&#x017F;t, hab' ich dich gleich<lb/>
gehen la&#x017F;&#x017F;en und nie wieder mitgenommen. Diesmal aber muß es &#x017F;ein,<lb/>
die Haut wird dich nicht zu Boden drücken, und in Gmünd mußt mit<lb/>
beim Erlös &#x017F;ein, damit mich der Chri&#x017F;tle, der abgeführte Spitzbub',<lb/>
nicht betrügt, denn &#x017F;on&#x017F;t kann ich deine Schuld hier nicht bezahlen.<lb/>
Die Haut trägt dir morgen der Chri&#x017F;tle, heut aber mußt &#x017F;ie &#x017F;elber<lb/>
tragen, denn ich will derweil &#x017F;ehen, ob ich nicht noch einen &#x017F;chießen<lb/>
kann. Komm!</p><lb/>
        <p>Sie &#x017F;eufzte. Du mußt dich aber vor ra&#x017F;iren, &#x017F;agte &#x017F;ie verdro&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Jetzt ha&#x017F;t &#x017F;chon wieder ein achttägigs Stoppelfeld, und ich leid's<lb/>
nicht, daß du dir den Bart wach&#x017F;en läßt, denn du &#x017F;ieh&#x017F;t &#x017F;o arg wild<lb/>
drin aus, und wenn dir Jemand begegnet, &#x017F;o muß er Wunder was<lb/>
von dir denken.</p><lb/>
        <p>Meinetwegen! brummte er, griff ohne Um&#x017F;tände nach dem Ra&#x017F;ir¬<lb/>
zeug des Hofbe&#x017F;itzers und kam ihrem Begehren nach, worauf &#x017F;ie den<lb/>
Hof verließen und den Weg nach dem Walde ein&#x017F;chlugen.</p><lb/>
        <p>I&#x017F;t denn gar keine Möglichkeit, aus dem Leben da fortzukommen?<lb/>
fragte &#x017F;ie im Gehen mit kummervoller Miene. Du ha&#x017F;t mir ver¬<lb/>
&#x017F;prochen, du wolle&#x017F;t mich nach Frankfurt mitnehmen, oder in den<lb/>
Krieg, ha&#x017F;t auch von Amerika ge&#x017F;agt. Ich ging' überall mit dir hin,<lb/>
wenn ich nur aus <hi rendition="#g">dem</hi> Leben draußen wär' und die Kinder bei<lb/>
mir hätt'.</p><lb/>
        <p>Warum ha&#x017F;t dich in Dettingen fangen la&#x017F;&#x017F;en! ver&#x017F;etzte er un¬<lb/>
wir&#x017F;ch. Während deiner Gefangen&#x017F;chaft i&#x017F;t mein Er&#x017F;partes von Sach&#x017F;en¬<lb/>
hau&#x017F;en draufgangen, mein Vater thut keinen Zug, um &#x017F;ein Ver&#x017F;prechen<lb/>
zu halten, und wie kann ich denn als ein vogelfreier Men&#x017F;ch etwas<lb/>
erwerben, damit wir zu Rei&#x017F;'geld kommen? Sag', ich &#x017F;oll in Ebers¬<lb/>
bach einen höflichen Be&#x017F;uch machen, oder mit einem Roßjuden, be¬<lb/>
&#x017F;chnitten oder unbe&#x017F;chnitten, nach dem Markt ein Wort in Güte reden,<lb/>
dann &#x017F;oll&#x017F;t du Geld genug haben.</p><lb/>
        <p>Um Gott'swillen nur nichts <hi rendition="#g">&#x017F;o</hi>! rief &#x017F;ie.</p><lb/>
        <p>So &#x017F;ag&#x017F;t du immer, aber dabei will&#x017F;t in Einem fort Geld und<lb/>
Lebensmittel, und bekümmer&#x017F;t dich nicht drum, wo ich's hernehmen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[363/0379] Du kannſt mir nicht vorwerfen, daß ich dich plage, entgegnete er. Ich hab' dich ein einzigsmal dieſen Winter zur Jagd mitgenommen und hab' gemeint, du könnteſt mir am Wald vorſtehen und das Wild zurücktreiben. Wie du aber wehleidig gethan haſt, hab' ich dich gleich gehen laſſen und nie wieder mitgenommen. Diesmal aber muß es ſein, die Haut wird dich nicht zu Boden drücken, und in Gmünd mußt mit beim Erlös ſein, damit mich der Chriſtle, der abgeführte Spitzbub', nicht betrügt, denn ſonſt kann ich deine Schuld hier nicht bezahlen. Die Haut trägt dir morgen der Chriſtle, heut aber mußt ſie ſelber tragen, denn ich will derweil ſehen, ob ich nicht noch einen ſchießen kann. Komm! Sie ſeufzte. Du mußt dich aber vor raſiren, ſagte ſie verdroſſen. Jetzt haſt ſchon wieder ein achttägigs Stoppelfeld, und ich leid's nicht, daß du dir den Bart wachſen läßt, denn du ſiehſt ſo arg wild drin aus, und wenn dir Jemand begegnet, ſo muß er Wunder was von dir denken. Meinetwegen! brummte er, griff ohne Umſtände nach dem Raſir¬ zeug des Hofbeſitzers und kam ihrem Begehren nach, worauf ſie den Hof verließen und den Weg nach dem Walde einſchlugen. Iſt denn gar keine Möglichkeit, aus dem Leben da fortzukommen? fragte ſie im Gehen mit kummervoller Miene. Du haſt mir ver¬ ſprochen, du wolleſt mich nach Frankfurt mitnehmen, oder in den Krieg, haſt auch von Amerika geſagt. Ich ging' überall mit dir hin, wenn ich nur aus dem Leben draußen wär' und die Kinder bei mir hätt'. Warum haſt dich in Dettingen fangen laſſen! verſetzte er un¬ wirſch. Während deiner Gefangenſchaft iſt mein Erſpartes von Sachſen¬ hauſen draufgangen, mein Vater thut keinen Zug, um ſein Verſprechen zu halten, und wie kann ich denn als ein vogelfreier Menſch etwas erwerben, damit wir zu Reiſ'geld kommen? Sag', ich ſoll in Ebers¬ bach einen höflichen Beſuch machen, oder mit einem Roßjuden, be¬ ſchnitten oder unbeſchnitten, nach dem Markt ein Wort in Güte reden, dann ſollſt du Geld genug haben. Um Gott'swillen nur nichts ſo! rief ſie. So ſagſt du immer, aber dabei willſt in Einem fort Geld und Lebensmittel, und bekümmerſt dich nicht drum, wo ich's hernehmen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/379
Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/379>, abgerufen am 22.05.2024.