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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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mehr ansehen, wenn sie noch lebte. Geh', du bist nicht werth, in
dem Stuhl zu sitzen, der so oft ihr Schmerzenslager war.

Der Bäcker zitterte und hatte alle Fassung verloren.

Der Gast schlug ein Gelächter auf, das dem Wirth durch Mark und
Bein ging. Was seid ihr doch für erbärmliche Dummköpfe! 'rief er.
Ihr habt mich gesehen, angerührt und in der Hand gehalten, und
habt mich doch mit allen euren Lichtern nicht gefunden.

Der Bäcker starrte ihn mit irren Blicken an. Der Schreckliche erzählte
ihm haarklein Alles was vorgegangen, und wiederholte ihm jedes Wort,
das gesprochen worden war. Dem Bäcker wirbelte der Kopf.

Dummer Tropf! da, in der Bouteille bin ich gesteckt! rief Jener
endlich höhnisch.

Der Bäcker fiel auf die Kniee, streckte die Hände, wie um Gnade
flehend, nach ihm aus, und war feig genug, zur Verminderung seines
eigenen Kerbholzes, ihm zu verrathen, welches Gelübde der Fischer,
der Müller und dessen Knecht gethan.

Jetzt hol' mir frischen Wein, hast mich lang genug warten lassen.
Ich will dich noch einmal auf die Probe stellen, aber ich folge dir
unsichtbar. Wenn du mir einen falschen Tritt thust, so sitz' ich dir
im Nacken und will dich reiten, daß du nach Gott schreien sollst.
Und misch' mir den Wein nicht, Schuft, oder du sollst mir keines
natürlichen Todes sterben.

Diesmal brauchte er nicht an der Thüre zu lauschen, denn der
Bäcker hatte sie weit offen gelassen. Er hörte ihn den richtigen Weg
nach dem Keller einschlagen, aus welchem er bald wieder zurückkam,
fast wahnsinnig vor Angst, die sich erst etwas legte, als er das Ge¬
spenst nicht mehr unsichtbar hinter sich vermuthen mußte, sondern leib¬
haftig vor sich am Tische sitzen sah. Der Unhold stellte ihm die mißliche
Aufgabe, sich zu besinnen, welche Strafe er durch seinen Verrath ver¬
dient habe, und trank, während der Bäcker alle Qualen der Todesangst
ausstand, seinen Wein langsam und behaglich aus. Dann erhob er
sich mit den Worten: Wenn ich wiederkomme, so laß dir keinen solchen
Spaß mehr einfallen, ich könnt' ein andermal ernsthafter aufgelegt sein.
Was schaust denn so nach meinem Fuß? fuhr er ihn an: ja so, du
bist neugierig, ob kein Pferdefuß zum Vorschein komme. Nein, dum¬
mer Kerl, das Ding sitzt nicht im Fuß. Sieh, da sitzt's! Er klopfte

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mehr anſehen, wenn ſie noch lebte. Geh', du biſt nicht werth, in
dem Stuhl zu ſitzen, der ſo oft ihr Schmerzenslager war.

Der Bäcker zitterte und hatte alle Faſſung verloren.

Der Gaſt ſchlug ein Gelächter auf, das dem Wirth durch Mark und
Bein ging. Was ſeid ihr doch für erbärmliche Dummköpfe! 'rief er.
Ihr habt mich geſehen, angerührt und in der Hand gehalten, und
habt mich doch mit allen euren Lichtern nicht gefunden.

Der Bäcker ſtarrte ihn mit irren Blicken an. Der Schreckliche erzählte
ihm haarklein Alles was vorgegangen, und wiederholte ihm jedes Wort,
das geſprochen worden war. Dem Bäcker wirbelte der Kopf.

Dummer Tropf! da, in der Bouteille bin ich geſteckt! rief Jener
endlich höhniſch.

Der Bäcker fiel auf die Kniee, ſtreckte die Hände, wie um Gnade
flehend, nach ihm aus, und war feig genug, zur Verminderung ſeines
eigenen Kerbholzes, ihm zu verrathen, welches Gelübde der Fiſcher,
der Müller und deſſen Knecht gethan.

Jetzt hol' mir friſchen Wein, haſt mich lang genug warten laſſen.
Ich will dich noch einmal auf die Probe ſtellen, aber ich folge dir
unſichtbar. Wenn du mir einen falſchen Tritt thuſt, ſo ſitz' ich dir
im Nacken und will dich reiten, daß du nach Gott ſchreien ſollſt.
Und miſch' mir den Wein nicht, Schuft, oder du ſollst mir keines
natürlichen Todes ſterben.

Diesmal brauchte er nicht an der Thüre zu lauſchen, denn der
Bäcker hatte ſie weit offen gelaſſen. Er hörte ihn den richtigen Weg
nach dem Keller einſchlagen, aus welchem er bald wieder zurückkam,
faſt wahnſinnig vor Angſt, die ſich erſt etwas legte, als er das Ge¬
ſpenſt nicht mehr unſichtbar hinter ſich vermuthen mußte, ſondern leib¬
haftig vor ſich am Tiſche ſitzen ſah. Der Unhold ſtellte ihm die mißliche
Aufgabe, ſich zu beſinnen, welche Strafe er durch ſeinen Verrath ver¬
dient habe, und trank, während der Bäcker alle Qualen der Todesangſt
ausſtand, ſeinen Wein langſam und behaglich aus. Dann erhob er
ſich mit den Worten: Wenn ich wiederkomme, ſo laß dir keinen ſolchen
Spaß mehr einfallen, ich könnt' ein andermal ernſthafter aufgelegt ſein.
Was ſchauſt denn ſo nach meinem Fuß? fuhr er ihn an: ja ſo, du
biſt neugierig, ob kein Pferdefuß zum Vorſchein komme. Nein, dum¬
mer Kerl, das Ding ſitzt nicht im Fuß. Sieh, da ſitzt's! Er klopfte

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[355/0371] mehr anſehen, wenn ſie noch lebte. Geh', du biſt nicht werth, in dem Stuhl zu ſitzen, der ſo oft ihr Schmerzenslager war. Der Bäcker zitterte und hatte alle Faſſung verloren. Der Gaſt ſchlug ein Gelächter auf, das dem Wirth durch Mark und Bein ging. Was ſeid ihr doch für erbärmliche Dummköpfe! 'rief er. Ihr habt mich geſehen, angerührt und in der Hand gehalten, und habt mich doch mit allen euren Lichtern nicht gefunden. Der Bäcker ſtarrte ihn mit irren Blicken an. Der Schreckliche erzählte ihm haarklein Alles was vorgegangen, und wiederholte ihm jedes Wort, das geſprochen worden war. Dem Bäcker wirbelte der Kopf. Dummer Tropf! da, in der Bouteille bin ich geſteckt! rief Jener endlich höhniſch. Der Bäcker fiel auf die Kniee, ſtreckte die Hände, wie um Gnade flehend, nach ihm aus, und war feig genug, zur Verminderung ſeines eigenen Kerbholzes, ihm zu verrathen, welches Gelübde der Fiſcher, der Müller und deſſen Knecht gethan. Jetzt hol' mir friſchen Wein, haſt mich lang genug warten laſſen. Ich will dich noch einmal auf die Probe ſtellen, aber ich folge dir unſichtbar. Wenn du mir einen falſchen Tritt thuſt, ſo ſitz' ich dir im Nacken und will dich reiten, daß du nach Gott ſchreien ſollſt. Und miſch' mir den Wein nicht, Schuft, oder du ſollst mir keines natürlichen Todes ſterben. Diesmal brauchte er nicht an der Thüre zu lauſchen, denn der Bäcker hatte ſie weit offen gelaſſen. Er hörte ihn den richtigen Weg nach dem Keller einſchlagen, aus welchem er bald wieder zurückkam, faſt wahnſinnig vor Angſt, die ſich erſt etwas legte, als er das Ge¬ ſpenſt nicht mehr unſichtbar hinter ſich vermuthen mußte, ſondern leib¬ haftig vor ſich am Tiſche ſitzen ſah. Der Unhold ſtellte ihm die mißliche Aufgabe, ſich zu beſinnen, welche Strafe er durch ſeinen Verrath ver¬ dient habe, und trank, während der Bäcker alle Qualen der Todesangſt ausſtand, ſeinen Wein langſam und behaglich aus. Dann erhob er ſich mit den Worten: Wenn ich wiederkomme, ſo laß dir keinen ſolchen Spaß mehr einfallen, ich könnt' ein andermal ernſthafter aufgelegt ſein. Was ſchauſt denn ſo nach meinem Fuß? fuhr er ihn an: ja ſo, du biſt neugierig, ob kein Pferdefuß zum Vorſchein komme. Nein, dum¬ mer Kerl, das Ding ſitzt nicht im Fuß. Sieh, da ſitzt's! Er klopfte 23 *

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/371>, abgerufen am 15.05.2024.