Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Lasset nur den Wein tapfer durch die Gurgel laufen, alter Kriegs¬
knecht, der wird Euch die Flüss' schon 'naus treiben. Daß dich! aber
jetzt muß ich mich verwundern, daß der Fischerhanne auch so viel Ku¬
rasche hat und in's Wirthshaus geht! Nun, du darfst dir heut schon
was gonnen: hast gewiß bei dem gestrigen Fang etwas Schön's ver¬
dient, gelt?

Der Fischer schmunzelte. Wenn man sich für den Flecken in Ge¬
fahr begibt, sagte er, so könnt' man, denk' ich, mehr ansprechen, als
die paar Gulden, aber doch ist's immer besser als gar nichts.

Die Gefahr muß nicht so groß gewesen sein, bemerkte der Müller:
wie ich hör', habt ihr ihn mit der Schling' gefangen?

Ja! rief ein Anderer. Die Schling' ist ein Einfall vom Fischer¬
hanne gewesen. Das ist das sicherste Mittel: wenn Einer nicht weich
geben will, so zieht man eben zu, dann vergeht ihm die Kraft und er
wird zahm wie ein Lamm.

Ich hätt' zugezogen bis er hin gewesen wär', versicherte der Fischer,
denn wenn der loskommen wär', so möcht' ich doch auch sehen, wer
mir behaupten könnt', es hab' kein' Gefahr gehabt.

Gottlob, sagte der Müller, daß der Kerl aufgehoben ist. Jetzt
kann man doch wieder ruhig schlafen und ungeängstigt leben. Ich
hoff', dasmal werden sie ihn fester verwahren, daß man endlich sicher
vor ihm ist. Warum schüttelt Ihr den Kopf, Profoß? Meint Ihr,
er werd' doch wieder auskommen, oder wär's Euch lieb?

Nein, erwiderte dieser, für ihn selber wär's das Best', er blieb'
gefangen, wie er ist. Was kann ihm die Freiheit werth sein, wenn
die ganz' Welt immer mit Stecken und Stangen auf ihn aus ist, um
ihn zu fangen? Ich mein' nur, 's ist halt doch curios, daß ein ganzer
Flecken mit so viel starken Männern vor dem einzigen Menschen
zittert. Und was hat er eigentlich gethan?

Was er gethan hat? schrie Alles zusammen. Ist er nicht von
Hohentwiel ausbrochen?

Nun ja, sagte der Invalide, das thät' Jeder von uns auch, wenn
ihm das Gefängniß entleidet wär', und er wär' so geschickt wie er, um
eine halbe Unmöglichkeit zu vollbringen.
Und zweimal aus dem Zuchthaus! sagte der Müller.

Laſſet nur den Wein tapfer durch die Gurgel laufen, alter Kriegs¬
knecht, der wird Euch die Flüſſ' ſchon 'naus treiben. Daß dich! aber
jetzt muß ich mich verwundern, daß der Fiſcherhanne auch ſo viel Ku¬
raſche hat und in's Wirthshaus geht! Nun, du darfſt dir heut ſchon
was gonnen: haſt gewiß bei dem geſtrigen Fang etwas Schön's ver¬
dient, gelt?

Der Fiſcher ſchmunzelte. Wenn man ſich für den Flecken in Ge¬
fahr begibt, ſagte er, ſo könnt' man, denk' ich, mehr anſprechen, als
die paar Gulden, aber doch iſt's immer beſſer als gar nichts.

Die Gefahr muß nicht ſo groß geweſen ſein, bemerkte der Müller:
wie ich hör', habt ihr ihn mit der Schling' gefangen?

Ja! rief ein Anderer. Die Schling' iſt ein Einfall vom Fiſcher¬
hanne geweſen. Das iſt das ſicherſte Mittel: wenn Einer nicht weich
geben will, ſo zieht man eben zu, dann vergeht ihm die Kraft und er
wird zahm wie ein Lamm.

Ich hätt' zugezogen bis er hin geweſen wär', verſicherte der Fiſcher,
denn wenn der loskommen wär', ſo möcht' ich doch auch ſehen, wer
mir behaupten könnt', es hab' kein' Gefahr gehabt.

Gottlob, ſagte der Müller, daß der Kerl aufgehoben iſt. Jetzt
kann man doch wieder ruhig ſchlafen und ungeängſtigt leben. Ich
hoff', dasmal werden ſie ihn feſter verwahren, daß man endlich ſicher
vor ihm iſt. Warum ſchüttelt Ihr den Kopf, Profoß? Meint Ihr,
er werd' doch wieder auskommen, oder wär's Euch lieb?

Nein, erwiderte dieſer, für ihn ſelber wär's das Beſt', er blieb'
gefangen, wie er iſt. Was kann ihm die Freiheit werth ſein, wenn
die ganz' Welt immer mit Stecken und Stangen auf ihn aus iſt, um
ihn zu fangen? Ich mein' nur, 's iſt halt doch curios, daß ein ganzer
Flecken mit ſo viel ſtarken Männern vor dem einzigen Menſchen
zittert. Und was hat er eigentlich gethan?

Was er gethan hat? ſchrie Alles zuſammen. Iſt er nicht von
Hohentwiel ausbrochen?

Nun ja, ſagte der Invalide, das thät' Jeder von uns auch, wenn
ihm das Gefängniß entleidet wär', und er wär' ſo geſchickt wie er, um
eine halbe Unmöglichkeit zu vollbringen.
Und zweimal aus dem Zuchthaus! ſagte der Müller.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0359" n="343"/>
        <p>La&#x017F;&#x017F;et nur den Wein tapfer durch die Gurgel laufen, alter Kriegs¬<lb/>
knecht, der wird Euch die Flü&#x017F;&#x017F;' &#x017F;chon 'naus treiben. Daß dich! aber<lb/>
jetzt muß ich mich verwundern, daß der Fi&#x017F;cherhanne auch &#x017F;o viel Ku¬<lb/>
ra&#x017F;che hat und in's Wirthshaus geht! Nun, du darf&#x017F;t dir heut &#x017F;chon<lb/>
was gonnen: ha&#x017F;t gewiß bei dem ge&#x017F;trigen Fang etwas Schön's ver¬<lb/>
dient, gelt?</p><lb/>
        <p>Der Fi&#x017F;cher &#x017F;chmunzelte. Wenn man &#x017F;ich für den Flecken in Ge¬<lb/>
fahr begibt, &#x017F;agte er, &#x017F;o könnt' man, denk' ich, mehr an&#x017F;prechen, als<lb/>
die paar Gulden, aber doch i&#x017F;t's immer be&#x017F;&#x017F;er als gar nichts.</p><lb/>
        <p>Die Gefahr muß nicht &#x017F;o groß gewe&#x017F;en &#x017F;ein, bemerkte der Müller:<lb/>
wie ich hör', habt ihr ihn mit der Schling' gefangen?</p><lb/>
        <p>Ja! rief ein Anderer. Die Schling' i&#x017F;t ein Einfall vom Fi&#x017F;cher¬<lb/>
hanne gewe&#x017F;en. Das i&#x017F;t das &#x017F;icher&#x017F;te Mittel: wenn Einer nicht weich<lb/>
geben will, &#x017F;o zieht man eben zu, dann vergeht ihm die Kraft und er<lb/>
wird zahm wie ein Lamm.</p><lb/>
        <p>Ich hätt' zugezogen bis er hin gewe&#x017F;en wär', ver&#x017F;icherte der Fi&#x017F;cher,<lb/>
denn wenn <hi rendition="#g">der</hi> loskommen wär', &#x017F;o möcht' ich doch auch &#x017F;ehen, wer<lb/>
mir behaupten könnt', es hab' kein' Gefahr gehabt.</p><lb/>
        <p>Gottlob, &#x017F;agte der Müller, daß der Kerl aufgehoben i&#x017F;t. Jetzt<lb/>
kann man doch wieder ruhig &#x017F;chlafen und ungeäng&#x017F;tigt leben. Ich<lb/>
hoff', dasmal werden &#x017F;ie ihn fe&#x017F;ter verwahren, daß man endlich &#x017F;icher<lb/>
vor ihm i&#x017F;t. Warum &#x017F;chüttelt Ihr den Kopf, Profoß? Meint Ihr,<lb/>
er werd' doch wieder auskommen, oder wär's Euch lieb?</p><lb/>
        <p>Nein, erwiderte die&#x017F;er, für ihn &#x017F;elber wär's das Be&#x017F;t', er blieb'<lb/>
gefangen, wie er i&#x017F;t. Was kann ihm die Freiheit werth &#x017F;ein, wenn<lb/>
die ganz' Welt immer mit Stecken und Stangen auf ihn aus i&#x017F;t, um<lb/>
ihn zu fangen? Ich mein' nur, 's i&#x017F;t halt doch curios, daß ein ganzer<lb/>
Flecken mit &#x017F;o viel &#x017F;tarken Männern vor dem einzigen Men&#x017F;chen<lb/>
zittert. Und was hat er eigentlich gethan?</p><lb/>
        <p>Was er gethan hat? &#x017F;chrie Alles zu&#x017F;ammen. I&#x017F;t er nicht von<lb/>
Hohentwiel ausbrochen?</p><lb/>
        <p>Nun ja, &#x017F;agte der Invalide, das thät' Jeder von uns auch, wenn<lb/>
ihm das Gefängniß entleidet wär', und er wär' &#x017F;o ge&#x017F;chickt wie er, um<lb/>
eine halbe Unmöglichkeit zu vollbringen.<lb/>
Und zweimal aus dem Zuchthaus! &#x017F;agte der Müller.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[343/0359] Laſſet nur den Wein tapfer durch die Gurgel laufen, alter Kriegs¬ knecht, der wird Euch die Flüſſ' ſchon 'naus treiben. Daß dich! aber jetzt muß ich mich verwundern, daß der Fiſcherhanne auch ſo viel Ku¬ raſche hat und in's Wirthshaus geht! Nun, du darfſt dir heut ſchon was gonnen: haſt gewiß bei dem geſtrigen Fang etwas Schön's ver¬ dient, gelt? Der Fiſcher ſchmunzelte. Wenn man ſich für den Flecken in Ge¬ fahr begibt, ſagte er, ſo könnt' man, denk' ich, mehr anſprechen, als die paar Gulden, aber doch iſt's immer beſſer als gar nichts. Die Gefahr muß nicht ſo groß geweſen ſein, bemerkte der Müller: wie ich hör', habt ihr ihn mit der Schling' gefangen? Ja! rief ein Anderer. Die Schling' iſt ein Einfall vom Fiſcher¬ hanne geweſen. Das iſt das ſicherſte Mittel: wenn Einer nicht weich geben will, ſo zieht man eben zu, dann vergeht ihm die Kraft und er wird zahm wie ein Lamm. Ich hätt' zugezogen bis er hin geweſen wär', verſicherte der Fiſcher, denn wenn der loskommen wär', ſo möcht' ich doch auch ſehen, wer mir behaupten könnt', es hab' kein' Gefahr gehabt. Gottlob, ſagte der Müller, daß der Kerl aufgehoben iſt. Jetzt kann man doch wieder ruhig ſchlafen und ungeängſtigt leben. Ich hoff', dasmal werden ſie ihn feſter verwahren, daß man endlich ſicher vor ihm iſt. Warum ſchüttelt Ihr den Kopf, Profoß? Meint Ihr, er werd' doch wieder auskommen, oder wär's Euch lieb? Nein, erwiderte dieſer, für ihn ſelber wär's das Beſt', er blieb' gefangen, wie er iſt. Was kann ihm die Freiheit werth ſein, wenn die ganz' Welt immer mit Stecken und Stangen auf ihn aus iſt, um ihn zu fangen? Ich mein' nur, 's iſt halt doch curios, daß ein ganzer Flecken mit ſo viel ſtarken Männern vor dem einzigen Menſchen zittert. Und was hat er eigentlich gethan? Was er gethan hat? ſchrie Alles zuſammen. Iſt er nicht von Hohentwiel ausbrochen? Nun ja, ſagte der Invalide, das thät' Jeder von uns auch, wenn ihm das Gefängniß entleidet wär', und er wär' ſo geſchickt wie er, um eine halbe Unmöglichkeit zu vollbringen. Und zweimal aus dem Zuchthaus! ſagte der Müller.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/359
Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 343. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/359>, abgerufen am 29.11.2024.