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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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an diesem Beispiel wird mir's klar, daß du eigentlich Ehr' im Leibe
hast. Denn die Moral ist bei euch im Grund die nämliche wie bei
uns, nur daß sie natürlicherweise umgekehrt ist.

Mit diesen Worten, die zwar keine klare Anschauung des Stand¬
punkts, aber doch eine gewisse Ahnung desselben verriethen, suchte er
die obschwebende Streitfrage zu lösen. Aber es wird spät, fuhr er
fort, und wenn wir die Butell' auch auswinden, wie ein Leintuch in
der Wäsche, so pressen wir doch keinen Tropfen mehr 'raus. Weißt
was? Komm du mit mir über Ebersbach, ich will dir einen heiden¬
mäßigen Kirschengeist einschenken zur inwendigen Cur. Ob du links
am Staufen vorbeigehst oder rechts, das ist gehopft wie gesprungen.

Ja, es ist am End' Ein Ding, entschied sich der Zigeuner, und
auf eine Stunde soll mir's nicht ankommen.

Die beiden jungen Bursche erhoben sich und stiegen die gelinden
Anhöhen hinab, an deren Fuße das Filsthal sich gegen den Neckar
öffnet. Wohlgemuth schlenderten sie die Straße an dem Flüßchen
aufwärts; der Zigeuner pfiff gellende Weisen, Friedrich aber schwieg
still, und unter seiner breiten Stirne schien ein mächtiger Gedanke zu
arbeiten. Die Worte des Waisenpfarrers gingen ihm im Sinne herum;
das Vertrauen des ehrwürdigen alten Mannes hatte ihn stolz gemacht
und es war ihm zu Muthe, als ob er gar nichts nöthig hätte als
ein bischen guten Willen, um ein großes Werk zu Stande zu bringen.

Sie waren wohl eine gute Stunde so zugeschritten, ohne ein Wort
mit einander zu reden, als Friedrich auf einmal stehen blieb und sei¬
nen Gefährten kräftig am Arme faßte. Und ich sag' dir, rief er, du
bleibst bei mir! Ich will dir zeigen daß ich auch ein guter Christ bin.
Wenn ich dein armes verstoßenes Volk in das Erbe einsetzen könnte,
das von Gott und Rechts wegen einem so gut gehört wie dem an¬
dern -- mit Einem Schlag wollt' ich das thun. Nun kann ich aber
weiter nichts, als an einem Einzelnen, der mir unter die Hände
kommt, ein christlich Werk verrichten. Du gehst mit mir, da ist keine
Widerrede, die Sonne von Ebersbach hat Raum für Viele! Da wird
sich schon ein Plätzlein für dich finden im Haus, und ein Stuhl am
Tisch und ein Brocken in der Schüssel. Zu thun gibt's auch immer
etwas, du dienst meinem Vater als Knecht, wie ich, und sollst es nicht
schlechter haben als ich. An Frost und Schneepatschen, an Last und

an dieſem Beiſpiel wird mir's klar, daß du eigentlich Ehr' im Leibe
haſt. Denn die Moral iſt bei euch im Grund die nämliche wie bei
uns, nur daß ſie natürlicherweiſe umgekehrt iſt.

Mit dieſen Worten, die zwar keine klare Anſchauung des Stand¬
punkts, aber doch eine gewiſſe Ahnung deſſelben verriethen, ſuchte er
die obſchwebende Streitfrage zu löſen. Aber es wird ſpät, fuhr er
fort, und wenn wir die Butell' auch auswinden, wie ein Leintuch in
der Wäſche, ſo preſſen wir doch keinen Tropfen mehr 'raus. Weißt
was? Komm du mit mir über Ebersbach, ich will dir einen heiden¬
mäßigen Kirſchengeiſt einſchenken zur inwendigen Cur. Ob du links
am Staufen vorbeigehſt oder rechts, das iſt gehopft wie geſprungen.

Ja, es iſt am End' Ein Ding, entſchied ſich der Zigeuner, und
auf eine Stunde ſoll mir's nicht ankommen.

Die beiden jungen Burſche erhoben ſich und ſtiegen die gelinden
Anhöhen hinab, an deren Fuße das Filsthal ſich gegen den Neckar
öffnet. Wohlgemuth ſchlenderten ſie die Straße an dem Flüßchen
aufwärts; der Zigeuner pfiff gellende Weiſen, Friedrich aber ſchwieg
ſtill, und unter ſeiner breiten Stirne ſchien ein mächtiger Gedanke zu
arbeiten. Die Worte des Waiſenpfarrers gingen ihm im Sinne herum;
das Vertrauen des ehrwürdigen alten Mannes hatte ihn ſtolz gemacht
und es war ihm zu Muthe, als ob er gar nichts nöthig hätte als
ein bischen guten Willen, um ein großes Werk zu Stande zu bringen.

Sie waren wohl eine gute Stunde ſo zugeſchritten, ohne ein Wort
mit einander zu reden, als Friedrich auf einmal ſtehen blieb und ſei¬
nen Gefährten kräftig am Arme faßte. Und ich ſag' dir, rief er, du
bleibſt bei mir! Ich will dir zeigen daß ich auch ein guter Chriſt bin.
Wenn ich dein armes verſtoßenes Volk in das Erbe einſetzen könnte,
das von Gott und Rechts wegen einem ſo gut gehört wie dem an¬
dern — mit Einem Schlag wollt' ich das thun. Nun kann ich aber
weiter nichts, als an einem Einzelnen, der mir unter die Hände
kommt, ein chriſtlich Werk verrichten. Du gehſt mit mir, da iſt keine
Widerrede, die Sonne von Ebersbach hat Raum für Viele! Da wird
ſich ſchon ein Plätzlein für dich finden im Haus, und ein Stuhl am
Tiſch und ein Brocken in der Schüſſel. Zu thun gibt's auch immer
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[13/0029] an dieſem Beiſpiel wird mir's klar, daß du eigentlich Ehr' im Leibe haſt. Denn die Moral iſt bei euch im Grund die nämliche wie bei uns, nur daß ſie natürlicherweiſe umgekehrt iſt. Mit dieſen Worten, die zwar keine klare Anſchauung des Stand¬ punkts, aber doch eine gewiſſe Ahnung deſſelben verriethen, ſuchte er die obſchwebende Streitfrage zu löſen. Aber es wird ſpät, fuhr er fort, und wenn wir die Butell' auch auswinden, wie ein Leintuch in der Wäſche, ſo preſſen wir doch keinen Tropfen mehr 'raus. Weißt was? Komm du mit mir über Ebersbach, ich will dir einen heiden¬ mäßigen Kirſchengeiſt einſchenken zur inwendigen Cur. Ob du links am Staufen vorbeigehſt oder rechts, das iſt gehopft wie geſprungen. Ja, es iſt am End' Ein Ding, entſchied ſich der Zigeuner, und auf eine Stunde ſoll mir's nicht ankommen. Die beiden jungen Burſche erhoben ſich und ſtiegen die gelinden Anhöhen hinab, an deren Fuße das Filsthal ſich gegen den Neckar öffnet. Wohlgemuth ſchlenderten ſie die Straße an dem Flüßchen aufwärts; der Zigeuner pfiff gellende Weiſen, Friedrich aber ſchwieg ſtill, und unter ſeiner breiten Stirne ſchien ein mächtiger Gedanke zu arbeiten. Die Worte des Waiſenpfarrers gingen ihm im Sinne herum; das Vertrauen des ehrwürdigen alten Mannes hatte ihn ſtolz gemacht und es war ihm zu Muthe, als ob er gar nichts nöthig hätte als ein bischen guten Willen, um ein großes Werk zu Stande zu bringen. Sie waren wohl eine gute Stunde ſo zugeſchritten, ohne ein Wort mit einander zu reden, als Friedrich auf einmal ſtehen blieb und ſei¬ nen Gefährten kräftig am Arme faßte. Und ich ſag' dir, rief er, du bleibſt bei mir! Ich will dir zeigen daß ich auch ein guter Chriſt bin. Wenn ich dein armes verſtoßenes Volk in das Erbe einſetzen könnte, das von Gott und Rechts wegen einem ſo gut gehört wie dem an¬ dern — mit Einem Schlag wollt' ich das thun. Nun kann ich aber weiter nichts, als an einem Einzelnen, der mir unter die Hände kommt, ein chriſtlich Werk verrichten. Du gehſt mit mir, da iſt keine Widerrede, die Sonne von Ebersbach hat Raum für Viele! Da wird ſich ſchon ein Plätzlein für dich finden im Haus, und ein Stuhl am Tiſch und ein Brocken in der Schüſſel. Zu thun gibt's auch immer etwas, du dienſt meinem Vater als Knecht, wie ich, und ſollſt es nicht ſchlechter haben als ich. An Froſt und Schneepatſchen, an Laſt und

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/29>, abgerufen am 28.03.2024.