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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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und ließet euch mit andern ehrlichen Christenmenschen in Handel und
Wandel ein? Wer ein paar tüchtige Arme hat und einen Kopf, der
sie regiert, der wird nicht so bald mit leerem Magen ins Bett gehen
und nicht im kalten Regen schlafen dürfen.

Wir sind so gute Christen wie ihr, versetzte der junge Zigeuner
eifrig: es mag sich fragen ob wir nicht besser sind? Aber wie wollten
wir denn mit euch leben? Ihr stoßt uns ja aus, und wollt keine
Gemeinschaft mit uns haben. Wie kann der Zigeuner, dem ihr mit
Verachtung die Thüre weiset, sein ehrlich Brod bei euch verdienen?
Ich bin aus einer Familie, die schon seit zweihundert Jahren hier im
Würtembergischen, dann im Deutschherrischen drunten und in den
beiden Markgrafschaften am Rheine drüben hin und wider zieht.
Nun fehlt es uns zwar dort nicht an Bekanntschaften, aber ich möchte
doch auch in all diesen Landen einen einzigen Menschen sehen, wenn
Unsereiner z. B. käme und ihm sagte: Ich will ein ander Leben
führen und ein ordentliches Wesen anfangen, da bin ich, nimm mich
auf, theile dein Haus und dein Brod mit mir, so viel als dir meine
Dienste werth sein mögen -- den Menschen möcht' ich sehen, der
darauf sagen würde: Tritt ein und bleibe bei mir. Auch unter den
Unsrigen möcht' ich den Menschen sehen, dem es im Schlaf einfallen
könnte, eine solche Bitte zu thun. Denn jeder weiß die Antwort im
Voraus und weiß wie man beiderseits von einander denkt. Das ist
jetzt eben einmal von Anbeginn so, und wird auch nicht mehr anders
werden. Ich weiß wohl, ein mancher von den Meinigen ist eines
bösen Todes gestorben, und wie könnte es auch anders sein? Das
Element, in dem Einer lebt, ist natürlicher Weise auch zuletzt sein Tod.
Das ist allenthalben so. Wer sein Leben lang im Hanfsamen sitzt,
wie ein freier Spatz, der find't wohl auf die Länge auch ein hänfenes
Ende. Man thät's wohlfeiler nehmen, wenn man's haben könnte.
Ein paar fette Capitälchen verzinsen, essen und trinken was gut
schmeckt, mit vier Schweißfuchsen fahren oder auch nur mit zweien, --
meint Ihr, der Zigeuner habe zu einem solchen gemächlichen Leben
nicht so viel Genie, als irgend jemand in der Christenheit?

Mir zweifelt's gar nicht! lachte Friedrich. -- Aber jetzt kann ich
auch auf einmal begreifen, warum du es für so schandhaft hältst,
wenn von euch einer seinem eigenen Vater etwas nehmen würde, und

und ließet euch mit andern ehrlichen Chriſtenmenſchen in Handel und
Wandel ein? Wer ein paar tüchtige Arme hat und einen Kopf, der
ſie regiert, der wird nicht ſo bald mit leerem Magen ins Bett gehen
und nicht im kalten Regen ſchlafen dürfen.

Wir ſind ſo gute Chriſten wie ihr, verſetzte der junge Zigeuner
eifrig: es mag ſich fragen ob wir nicht beſſer ſind? Aber wie wollten
wir denn mit euch leben? Ihr ſtoßt uns ja aus, und wollt keine
Gemeinſchaft mit uns haben. Wie kann der Zigeuner, dem ihr mit
Verachtung die Thüre weiſet, ſein ehrlich Brod bei euch verdienen?
Ich bin aus einer Familie, die ſchon ſeit zweihundert Jahren hier im
Würtembergiſchen, dann im Deutſchherriſchen drunten und in den
beiden Markgrafſchaften am Rheine drüben hin und wider zieht.
Nun fehlt es uns zwar dort nicht an Bekanntſchaften, aber ich möchte
doch auch in all dieſen Landen einen einzigen Menſchen ſehen, wenn
Unſereiner z. B. käme und ihm ſagte: Ich will ein ander Leben
führen und ein ordentliches Weſen anfangen, da bin ich, nimm mich
auf, theile dein Haus und dein Brod mit mir, ſo viel als dir meine
Dienſte werth ſein mögen — den Menſchen möcht' ich ſehen, der
darauf ſagen würde: Tritt ein und bleibe bei mir. Auch unter den
Unſrigen möcht' ich den Menſchen ſehen, dem es im Schlaf einfallen
könnte, eine ſolche Bitte zu thun. Denn jeder weiß die Antwort im
Voraus und weiß wie man beiderſeits von einander denkt. Das iſt
jetzt eben einmal von Anbeginn ſo, und wird auch nicht mehr anders
werden. Ich weiß wohl, ein mancher von den Meinigen iſt eines
böſen Todes geſtorben, und wie könnte es auch anders ſein? Das
Element, in dem Einer lebt, iſt natürlicher Weiſe auch zuletzt ſein Tod.
Das iſt allenthalben ſo. Wer ſein Leben lang im Hanfſamen ſitzt,
wie ein freier Spatz, der find't wohl auf die Länge auch ein hänfenes
Ende. Man thät's wohlfeiler nehmen, wenn man's haben könnte.
Ein paar fette Capitälchen verzinſen, eſſen und trinken was gut
ſchmeckt, mit vier Schweißfuchſen fahren oder auch nur mit zweien, —
meint Ihr, der Zigeuner habe zu einem ſolchen gemächlichen Leben
nicht ſo viel Genie, als irgend jemand in der Chriſtenheit?

Mir zweifelt's gar nicht! lachte Friedrich. — Aber jetzt kann ich
auch auf einmal begreifen, warum du es für ſo ſchandhaft hältſt,
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[12/0028] und ließet euch mit andern ehrlichen Chriſtenmenſchen in Handel und Wandel ein? Wer ein paar tüchtige Arme hat und einen Kopf, der ſie regiert, der wird nicht ſo bald mit leerem Magen ins Bett gehen und nicht im kalten Regen ſchlafen dürfen. Wir ſind ſo gute Chriſten wie ihr, verſetzte der junge Zigeuner eifrig: es mag ſich fragen ob wir nicht beſſer ſind? Aber wie wollten wir denn mit euch leben? Ihr ſtoßt uns ja aus, und wollt keine Gemeinſchaft mit uns haben. Wie kann der Zigeuner, dem ihr mit Verachtung die Thüre weiſet, ſein ehrlich Brod bei euch verdienen? Ich bin aus einer Familie, die ſchon ſeit zweihundert Jahren hier im Würtembergiſchen, dann im Deutſchherriſchen drunten und in den beiden Markgrafſchaften am Rheine drüben hin und wider zieht. Nun fehlt es uns zwar dort nicht an Bekanntſchaften, aber ich möchte doch auch in all dieſen Landen einen einzigen Menſchen ſehen, wenn Unſereiner z. B. käme und ihm ſagte: Ich will ein ander Leben führen und ein ordentliches Weſen anfangen, da bin ich, nimm mich auf, theile dein Haus und dein Brod mit mir, ſo viel als dir meine Dienſte werth ſein mögen — den Menſchen möcht' ich ſehen, der darauf ſagen würde: Tritt ein und bleibe bei mir. Auch unter den Unſrigen möcht' ich den Menſchen ſehen, dem es im Schlaf einfallen könnte, eine ſolche Bitte zu thun. Denn jeder weiß die Antwort im Voraus und weiß wie man beiderſeits von einander denkt. Das iſt jetzt eben einmal von Anbeginn ſo, und wird auch nicht mehr anders werden. Ich weiß wohl, ein mancher von den Meinigen iſt eines böſen Todes geſtorben, und wie könnte es auch anders ſein? Das Element, in dem Einer lebt, iſt natürlicher Weiſe auch zuletzt ſein Tod. Das iſt allenthalben ſo. Wer ſein Leben lang im Hanfſamen ſitzt, wie ein freier Spatz, der find't wohl auf die Länge auch ein hänfenes Ende. Man thät's wohlfeiler nehmen, wenn man's haben könnte. Ein paar fette Capitälchen verzinſen, eſſen und trinken was gut ſchmeckt, mit vier Schweißfuchſen fahren oder auch nur mit zweien, — meint Ihr, der Zigeuner habe zu einem ſolchen gemächlichen Leben nicht ſo viel Genie, als irgend jemand in der Chriſtenheit? Mir zweifelt's gar nicht! lachte Friedrich. — Aber jetzt kann ich auch auf einmal begreifen, warum du es für ſo ſchandhaft hältſt, wenn von euch einer ſeinem eigenen Vater etwas nehmen würde, und

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/28>, abgerufen am 23.04.2024.