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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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lachend, als wär' das Mädchen gegenwärtig und müßte sich wegen
ihres schülerhaften Schreibens von ihm necken lassen. Dabei machte er
eine Bewegung, wie wenn er ihre gelben Zöpfe fassen wollte, einer
Glockenschnur ähnlich, an der man läutet, damit oben jemand zum
Fenster heraussehe, um nachbarlichen Verkehr zu Pflegen oder ein
Almosen zu spenden.

Mitten in diesen zärtlichen Träumereien fiel es ihm jedoch ein,
daß er die Schreiberin des Briefes für ihre doppelte Mühe gar schlecht
belohnt habe. Er hatte ihr mit harten Worten ihr nächtliches Um¬
herstreichen vorgeworfen, dessen Zweck doch nur der gewesen war, ihre
schlechte Handschrift an den rechten Mann zu bringen, und während
sie alle ihre wirklichen oder vermeintlichen Sünden durch ein Entgegen¬
kommen, das ihn zu Dank verpflichten sollte, gut zu machen bemüht
war, hatte er das so vielen Störungen ausgesetzte Verhältniß plötzlich
wieder auf den alten Traurigkeitsfuß zurückgeschleudert. Und zwar
hatte er sich dies zu Schulden kommen lassen in einem Augenblick, wo
er durch einen unverzeihlichen Knabenstreich, der gar nicht zu seinen
auf ein ehrbares Hausvaterthum gerichteten Absichten paßte, das Leben
seiner Geliebten in Gefahr gebracht hatte. Seine Reue war eben
so ungestüm wie der Ausbruch seines Zornes gewesen war, und er
schlug sich mit Macht vor die breite Stirne, hinter welcher der Wein
von gestern Abend eine dumpfe Wolke zurückgelassen hatte, so daß die
zwiefache Buße des Leibes und der Seele zusammentraf. Nachdem er
sein schuldhaftes Ich mit einer Fluth nicht eben gelinder Schimpf¬
worte überschüttet, tausend Gelübde der Besserung wiederholt und auf
diese Weise in figürlichem Sinn sich selbst den Kopf gewaschen hatte,
ging er in den Hof hinab, um dieses Bad am Brunnen in körperlicher
Handlung zu wiederholen. Bald fühlte er sich auch so erfrischt, daß
er ganz munter mit den Knechten und Mägden scherzte.

Kaum hatte er sich aber diese Selbsterleichterung von der Beschwerde
des Körpers und den Vorwürfen der Seele verschafft, so überfiel ihn
das Bedenken, ob auch Christine ihn so schnell zu absolviren geneigt
sein werde. Alle Zurückweisungen, die er von ihr hatte erdulden müssen,
kamen ihm wieder in den Sinn, und der Gedanke, daß sie ihn heute
heimgehen heißen könnte, wie er sie gestern heimgeschickt hatte, erfüllte
ihn, nach der kurzen Anwandlung von Heiterkeit, plötzlich mit Wuth

lachend, als wär' das Mädchen gegenwärtig und müßte ſich wegen
ihres ſchülerhaften Schreibens von ihm necken laſſen. Dabei machte er
eine Bewegung, wie wenn er ihre gelben Zöpfe faſſen wollte, einer
Glockenſchnur ähnlich, an der man läutet, damit oben jemand zum
Fenſter herausſehe, um nachbarlichen Verkehr zu Pflegen oder ein
Almoſen zu ſpenden.

Mitten in dieſen zärtlichen Träumereien fiel es ihm jedoch ein,
daß er die Schreiberin des Briefes für ihre doppelte Mühe gar ſchlecht
belohnt habe. Er hatte ihr mit harten Worten ihr nächtliches Um¬
herſtreichen vorgeworfen, deſſen Zweck doch nur der geweſen war, ihre
ſchlechte Handſchrift an den rechten Mann zu bringen, und während
ſie alle ihre wirklichen oder vermeintlichen Sünden durch ein Entgegen¬
kommen, das ihn zu Dank verpflichten ſollte, gut zu machen bemüht
war, hatte er das ſo vielen Störungen ausgeſetzte Verhältniß plötzlich
wieder auf den alten Traurigkeitsfuß zurückgeſchleudert. Und zwar
hatte er ſich dies zu Schulden kommen laſſen in einem Augenblick, wo
er durch einen unverzeihlichen Knabenſtreich, der gar nicht zu ſeinen
auf ein ehrbares Hausvaterthum gerichteten Abſichten paßte, das Leben
ſeiner Geliebten in Gefahr gebracht hatte. Seine Reue war eben
ſo ungeſtüm wie der Ausbruch ſeines Zornes geweſen war, und er
ſchlug ſich mit Macht vor die breite Stirne, hinter welcher der Wein
von geſtern Abend eine dumpfe Wolke zurückgelaſſen hatte, ſo daß die
zwiefache Buße des Leibes und der Seele zuſammentraf. Nachdem er
ſein ſchuldhaftes Ich mit einer Fluth nicht eben gelinder Schimpf¬
worte überſchüttet, tauſend Gelübde der Beſſerung wiederholt und auf
dieſe Weiſe in figürlichem Sinn ſich ſelbſt den Kopf gewaſchen hatte,
ging er in den Hof hinab, um dieſes Bad am Brunnen in körperlicher
Handlung zu wiederholen. Bald fühlte er ſich auch ſo erfriſcht, daß
er ganz munter mit den Knechten und Mägden ſcherzte.

Kaum hatte er ſich aber dieſe Selbſterleichterung von der Beſchwerde
des Körpers und den Vorwürfen der Seele verſchafft, ſo überfiel ihn
das Bedenken, ob auch Chriſtine ihn ſo ſchnell zu abſolviren geneigt
ſein werde. Alle Zurückweiſungen, die er von ihr hatte erdulden müſſen,
kamen ihm wieder in den Sinn, und der Gedanke, daß ſie ihn heute
heimgehen heißen könnte, wie er ſie geſtern heimgeſchickt hatte, erfüllte
ihn, nach der kurzen Anwandlung von Heiterkeit, plötzlich mit Wuth

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[118/0134] lachend, als wär' das Mädchen gegenwärtig und müßte ſich wegen ihres ſchülerhaften Schreibens von ihm necken laſſen. Dabei machte er eine Bewegung, wie wenn er ihre gelben Zöpfe faſſen wollte, einer Glockenſchnur ähnlich, an der man läutet, damit oben jemand zum Fenſter herausſehe, um nachbarlichen Verkehr zu Pflegen oder ein Almoſen zu ſpenden. Mitten in dieſen zärtlichen Träumereien fiel es ihm jedoch ein, daß er die Schreiberin des Briefes für ihre doppelte Mühe gar ſchlecht belohnt habe. Er hatte ihr mit harten Worten ihr nächtliches Um¬ herſtreichen vorgeworfen, deſſen Zweck doch nur der geweſen war, ihre ſchlechte Handſchrift an den rechten Mann zu bringen, und während ſie alle ihre wirklichen oder vermeintlichen Sünden durch ein Entgegen¬ kommen, das ihn zu Dank verpflichten ſollte, gut zu machen bemüht war, hatte er das ſo vielen Störungen ausgeſetzte Verhältniß plötzlich wieder auf den alten Traurigkeitsfuß zurückgeſchleudert. Und zwar hatte er ſich dies zu Schulden kommen laſſen in einem Augenblick, wo er durch einen unverzeihlichen Knabenſtreich, der gar nicht zu ſeinen auf ein ehrbares Hausvaterthum gerichteten Abſichten paßte, das Leben ſeiner Geliebten in Gefahr gebracht hatte. Seine Reue war eben ſo ungeſtüm wie der Ausbruch ſeines Zornes geweſen war, und er ſchlug ſich mit Macht vor die breite Stirne, hinter welcher der Wein von geſtern Abend eine dumpfe Wolke zurückgelaſſen hatte, ſo daß die zwiefache Buße des Leibes und der Seele zuſammentraf. Nachdem er ſein ſchuldhaftes Ich mit einer Fluth nicht eben gelinder Schimpf¬ worte überſchüttet, tauſend Gelübde der Beſſerung wiederholt und auf dieſe Weiſe in figürlichem Sinn ſich ſelbſt den Kopf gewaſchen hatte, ging er in den Hof hinab, um dieſes Bad am Brunnen in körperlicher Handlung zu wiederholen. Bald fühlte er ſich auch ſo erfriſcht, daß er ganz munter mit den Knechten und Mägden ſcherzte. Kaum hatte er ſich aber dieſe Selbſterleichterung von der Beſchwerde des Körpers und den Vorwürfen der Seele verſchafft, ſo überfiel ihn das Bedenken, ob auch Chriſtine ihn ſo ſchnell zu abſolviren geneigt ſein werde. Alle Zurückweiſungen, die er von ihr hatte erdulden müſſen, kamen ihm wieder in den Sinn, und der Gedanke, daß ſie ihn heute heimgehen heißen könnte, wie er ſie geſtern heimgeſchickt hatte, erfüllte ihn, nach der kurzen Anwandlung von Heiterkeit, plötzlich mit Wuth

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 118. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/134>, abgerufen am 22.11.2024.