Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

gerecht schreiben kann, im höchsten Feuer seiner Neigung wenigstens
für einen Augenblick abgekühlt wird, wenn der Gegenstand derselben,
den er doch bewußt oder unbewußt als etwas Vollkommenes verehrt,
die Erwiderung nur in eine unschöne und stümperhafte Form zu klei¬
den vermag. Aber die Liebe führt auch eine gewaltsame Begeisterung
mit sich, welche derlei ungleiche Gefühle, so wie sie aufsteigen wollen,
rasch wieder zu unterdrücken weiß, zumal wo die Liebe die Blüthe ei¬
nes rauhen und kräftigen Willens ist, der ohnehin keinen Widerspruch
duldet. Doch auch das Gewand der Demuth muß sich dazu hergeben,
den Mißton einzuhüllen: wenn der Liebende entdeckt, daß sein Inbe¬
griff aller Vollkommenheit auch einige Unvollkommenheiten in sich mit¬
begreift, so beruhigt er sich bei dem Zugeständniß, daß ja auch er nicht
ganz untadelhaft sei und folglich nicht das Recht habe, von seiner Ge¬
liebten vollendete Mangellosigkeit zu verlangen; und diese Beruhigung
dauert mit besonderer Festigkeit so lange als die Sehnsucht nicht er¬
füllt ist, so lange das frische Gesicht und die reizende Gestalt noch
als etwas Vorenthaltenes vor der Seele des Sehnenden schweben.
Zudem liest ein Liebender nicht bloß den Schriftzeichen und dem
Laute nach, er liest vornehmlich auch mit dem Herzen, und diesem
sagte das hübsche junge Mädchen in seinem armen schlechten Briefe
so herzliche und liebreiche Worte, daß die kleine Abkühlung bald wie¬
der der zurückkehrenden ersten Flamme weichen mußte.

Christinens Brief ist in Folge von Begebenheiten, zu welchen wir
bald gelangen werden, noch jetzt vorhanden; er lautet in verständliches
Deutsch umgeschrieben so:

"Geliebter Schatz, es ist mir von Herzen leid, daß ich dich so er¬
zürnet habe, ich bitte dich, verzeihe es mir wieder, ich will's nimmer
thun. Wenn es sein kann, so komm du noch einmal zu mir, daß ich
mündlich mit dir reden kann. Weiter weiß ich nicht zu schreiben, als
daß du seiest von mir zu tausendmal gegrüßt und in den Schutz Got-
tes befohlen. Ich verbleibe dein getreuster Schatz bis in den Tod.
Meinen Namen will ich nicht nennen, wenn du mich lieb hast, wirst
du mich wohl kennen. Datum diesen Tag. Nehme fürlieb mit dieser
schlechten Handschrift, ich kann vor Traurigkeit nicht besser schreiben."

"Gelieder Satz, du seie von mir zu tausendmal geschriet und in
den Sutz Gottes befohlen!" wiederholte Friedrich halb entzückt halb

gerecht ſchreiben kann, im höchſten Feuer ſeiner Neigung wenigſtens
für einen Augenblick abgekühlt wird, wenn der Gegenſtand derſelben,
den er doch bewußt oder unbewußt als etwas Vollkommenes verehrt,
die Erwiderung nur in eine unſchöne und ſtümperhafte Form zu klei¬
den vermag. Aber die Liebe führt auch eine gewaltſame Begeiſterung
mit ſich, welche derlei ungleiche Gefühle, ſo wie ſie aufſteigen wollen,
raſch wieder zu unterdrücken weiß, zumal wo die Liebe die Blüthe ei¬
nes rauhen und kräftigen Willens iſt, der ohnehin keinen Widerſpruch
duldet. Doch auch das Gewand der Demuth muß ſich dazu hergeben,
den Mißton einzuhüllen: wenn der Liebende entdeckt, daß ſein Inbe¬
griff aller Vollkommenheit auch einige Unvollkommenheiten in ſich mit¬
begreift, ſo beruhigt er ſich bei dem Zugeſtändniß, daß ja auch er nicht
ganz untadelhaft ſei und folglich nicht das Recht habe, von ſeiner Ge¬
liebten vollendete Mangelloſigkeit zu verlangen; und dieſe Beruhigung
dauert mit beſonderer Feſtigkeit ſo lange als die Sehnſucht nicht er¬
füllt iſt, ſo lange das friſche Geſicht und die reizende Geſtalt noch
als etwas Vorenthaltenes vor der Seele des Sehnenden ſchweben.
Zudem liest ein Liebender nicht bloß den Schriftzeichen und dem
Laute nach, er liest vornehmlich auch mit dem Herzen, und dieſem
ſagte das hübſche junge Mädchen in ſeinem armen ſchlechten Briefe
ſo herzliche und liebreiche Worte, daß die kleine Abkühlung bald wie¬
der der zurückkehrenden erſten Flamme weichen mußte.

Chriſtinens Brief iſt in Folge von Begebenheiten, zu welchen wir
bald gelangen werden, noch jetzt vorhanden; er lautet in verſtändliches
Deutſch umgeſchrieben ſo:

„Geliebter Schatz, es iſt mir von Herzen leid, daß ich dich ſo er¬
zürnet habe, ich bitte dich, verzeihe es mir wieder, ich will's nimmer
thun. Wenn es ſein kann, ſo komm du noch einmal zu mir, daß ich
mündlich mit dir reden kann. Weiter weiß ich nicht zu ſchreiben, als
daß du ſeieſt von mir zu tauſendmal gegrüßt und in den Schutz Got-
tes befohlen. Ich verbleibe dein getreuſter Schatz bis in den Tod.
Meinen Namen will ich nicht nennen, wenn du mich lieb hast, wirſt
du mich wohl kennen. Datum dieſen Tag. Nehme fürlieb mit dieſer
ſchlechten Handſchrift, ich kann vor Traurigkeit nicht beſſer ſchreiben.“

„Gelieder Satz, du ſeie von mir zu tauſendmal geſchriet und in
den Sutz Gottes befohlen!“ wiederholte Friedrich halb entzückt halb

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0133" n="117"/>
gerecht &#x017F;chreiben kann, im höch&#x017F;ten Feuer &#x017F;einer Neigung wenig&#x017F;tens<lb/>
für einen Augenblick abgekühlt wird, wenn der Gegen&#x017F;tand der&#x017F;elben,<lb/>
den er doch bewußt oder unbewußt als etwas Vollkommenes verehrt,<lb/>
die Erwiderung nur in eine un&#x017F;chöne und &#x017F;tümperhafte Form zu klei¬<lb/>
den vermag. Aber die Liebe führt auch eine gewalt&#x017F;ame Begei&#x017F;terung<lb/>
mit &#x017F;ich, welche derlei ungleiche Gefühle, &#x017F;o wie &#x017F;ie auf&#x017F;teigen wollen,<lb/>
ra&#x017F;ch wieder zu unterdrücken weiß, zumal wo die Liebe die Blüthe ei¬<lb/>
nes rauhen und kräftigen Willens i&#x017F;t, der ohnehin keinen Wider&#x017F;pruch<lb/>
duldet. Doch auch das Gewand der Demuth muß &#x017F;ich dazu hergeben,<lb/>
den Mißton einzuhüllen: wenn der Liebende entdeckt, daß &#x017F;ein Inbe¬<lb/>
griff aller Vollkommenheit auch einige Unvollkommenheiten in &#x017F;ich mit¬<lb/>
begreift, &#x017F;o beruhigt er &#x017F;ich bei dem Zuge&#x017F;tändniß, daß ja auch er nicht<lb/>
ganz untadelhaft &#x017F;ei und folglich nicht das Recht habe, von &#x017F;einer Ge¬<lb/>
liebten vollendete Mangello&#x017F;igkeit zu verlangen; und die&#x017F;e Beruhigung<lb/>
dauert mit be&#x017F;onderer Fe&#x017F;tigkeit &#x017F;o lange als die Sehn&#x017F;ucht nicht er¬<lb/>
füllt i&#x017F;t, &#x017F;o lange das fri&#x017F;che Ge&#x017F;icht und die reizende Ge&#x017F;talt noch<lb/>
als etwas Vorenthaltenes vor der Seele des Sehnenden &#x017F;chweben.<lb/>
Zudem liest ein Liebender nicht bloß den Schriftzeichen und dem<lb/>
Laute nach, er liest vornehmlich auch mit dem Herzen, und die&#x017F;em<lb/>
&#x017F;agte das hüb&#x017F;che junge Mädchen in &#x017F;einem armen &#x017F;chlechten Briefe<lb/>
&#x017F;o herzliche und liebreiche Worte, daß die kleine Abkühlung bald wie¬<lb/>
der der zurückkehrenden er&#x017F;ten Flamme weichen mußte.</p><lb/>
        <p>Chri&#x017F;tinens Brief i&#x017F;t in Folge von Begebenheiten, zu welchen wir<lb/>
bald gelangen werden, noch jetzt vorhanden; er lautet  in ver&#x017F;tändliches<lb/>
Deut&#x017F;ch umge&#x017F;chrieben &#x017F;o:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Geliebter Schatz, es i&#x017F;t mir von Herzen leid, daß ich dich &#x017F;o er¬<lb/>
zürnet habe, ich bitte dich, verzeihe es mir wieder, ich will's nimmer<lb/>
thun. Wenn es &#x017F;ein kann, &#x017F;o komm du noch einmal zu mir, daß ich<lb/>
mündlich mit dir reden kann. Weiter weiß ich nicht zu &#x017F;chreiben, als<lb/>
daß du &#x017F;eie&#x017F;t von mir zu tau&#x017F;endmal gegrüßt und in den Schutz Got-<lb/>
tes befohlen. Ich verbleibe dein getreu&#x017F;ter Schatz bis in den Tod.<lb/>
Meinen Namen will ich nicht nennen, wenn du mich lieb hast, wir&#x017F;t<lb/>
du mich wohl kennen. Datum die&#x017F;en Tag. Nehme fürlieb mit die&#x017F;er<lb/>
&#x017F;chlechten Hand&#x017F;chrift, ich kann vor Traurigkeit nicht be&#x017F;&#x017F;er &#x017F;chreiben.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Gelieder Satz, du &#x017F;eie von mir zu tau&#x017F;endmal ge&#x017F;chriet und in<lb/>
den Sutz Gottes befohlen!&#x201C; wiederholte Friedrich halb entzückt halb<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[117/0133] gerecht ſchreiben kann, im höchſten Feuer ſeiner Neigung wenigſtens für einen Augenblick abgekühlt wird, wenn der Gegenſtand derſelben, den er doch bewußt oder unbewußt als etwas Vollkommenes verehrt, die Erwiderung nur in eine unſchöne und ſtümperhafte Form zu klei¬ den vermag. Aber die Liebe führt auch eine gewaltſame Begeiſterung mit ſich, welche derlei ungleiche Gefühle, ſo wie ſie aufſteigen wollen, raſch wieder zu unterdrücken weiß, zumal wo die Liebe die Blüthe ei¬ nes rauhen und kräftigen Willens iſt, der ohnehin keinen Widerſpruch duldet. Doch auch das Gewand der Demuth muß ſich dazu hergeben, den Mißton einzuhüllen: wenn der Liebende entdeckt, daß ſein Inbe¬ griff aller Vollkommenheit auch einige Unvollkommenheiten in ſich mit¬ begreift, ſo beruhigt er ſich bei dem Zugeſtändniß, daß ja auch er nicht ganz untadelhaft ſei und folglich nicht das Recht habe, von ſeiner Ge¬ liebten vollendete Mangelloſigkeit zu verlangen; und dieſe Beruhigung dauert mit beſonderer Feſtigkeit ſo lange als die Sehnſucht nicht er¬ füllt iſt, ſo lange das friſche Geſicht und die reizende Geſtalt noch als etwas Vorenthaltenes vor der Seele des Sehnenden ſchweben. Zudem liest ein Liebender nicht bloß den Schriftzeichen und dem Laute nach, er liest vornehmlich auch mit dem Herzen, und dieſem ſagte das hübſche junge Mädchen in ſeinem armen ſchlechten Briefe ſo herzliche und liebreiche Worte, daß die kleine Abkühlung bald wie¬ der der zurückkehrenden erſten Flamme weichen mußte. Chriſtinens Brief iſt in Folge von Begebenheiten, zu welchen wir bald gelangen werden, noch jetzt vorhanden; er lautet in verſtändliches Deutſch umgeſchrieben ſo: „Geliebter Schatz, es iſt mir von Herzen leid, daß ich dich ſo er¬ zürnet habe, ich bitte dich, verzeihe es mir wieder, ich will's nimmer thun. Wenn es ſein kann, ſo komm du noch einmal zu mir, daß ich mündlich mit dir reden kann. Weiter weiß ich nicht zu ſchreiben, als daß du ſeieſt von mir zu tauſendmal gegrüßt und in den Schutz Got- tes befohlen. Ich verbleibe dein getreuſter Schatz bis in den Tod. Meinen Namen will ich nicht nennen, wenn du mich lieb hast, wirſt du mich wohl kennen. Datum dieſen Tag. Nehme fürlieb mit dieſer ſchlechten Handſchrift, ich kann vor Traurigkeit nicht beſſer ſchreiben.“ „Gelieder Satz, du ſeie von mir zu tauſendmal geſchriet und in den Sutz Gottes befohlen!“ wiederholte Friedrich halb entzückt halb

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/133
Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/133>, abgerufen am 03.05.2024.