Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

werden zum Pfarrer geloffen sein und vielleicht der Kreuzwirth, und
werden ihm nach dem Maul geredt han.

Was ist ihr geschehen? fragte der wohlwollende Invalide, in der Absicht,
seinen Liebling nicht auch wieder in diesen Ton verfallen zu lassen.

Sie hat sich verantwortet, sie hab's nur drei oder viermal gethan
und sei sie allweg von andern Leuten hinuntergeschickt worden, weil
sie eben unerachtet ihrer Gebrechlichkeit sehen müsse wie sie etwas ver¬
diene, und dann sei sie, um wenigstens das Wort Gottes zu hören, dort
in die Kirche gegangen. Man hat dann beschlossen, daß man ihr von
den dreißig Kreuzern, die sie aus dem Almosen hat, zehn nehmen und
künftig nur noch zwanzig geben wolle, und ihr bedeutet, wenn sie
ferner nach Zell in die Kirche gehe, so werde man ihr das Almosen
gar nehmen. Sie hat mich gedauert, denn sie hat schrecklich geheult.

Predigt man denn in Zell ein anderes Wort Gottes als hier? rief
Friedrich, indem er wild mit der Faust auf den Tisch schlug. Das ist
doch überaus, wenn so ein -- er besann sich vor dem Schützen
einen Augenblick - wenn so ein Pfarrer meint, man dürf' keinen
Anderen hören als ihn und nimmt einem armen alten Weib darum
das Brod! Und was man in den Kirchen hört, das ist doch meistens nur
um der Einkünfte willen gepredigt. Wenn sie's umsonst thun müßten
wie im Evangelium, und dem Volk noch Brod dazu geben, ei wie
geschwind stünden die Kanzeln leer!

Ein Gemurmel durchlief die Gesellschaft; es schien aber keinen
Widerspruch anzudeuten. Der Invalide fragte schnell: Was hat's
noch weiter geben? und schob sein Glas dem Schützen hin, der ihm
bereitwillig Bescheid that, ohne den rebellischen Reden sichtliche Auf¬
merksamkeit zu schenken.

Allerlei Sabbathentheiligungen sind abgerügt worden, fuhr er fort.
Einer ist am Sonntag in's Feld gangen, ein Anderer hat gedro¬
schen, und des Küblers sein Bruder ist auch vorgewesen, der hat am
Sonntag eine Bettlade angestrichen, und so noch Andere mehr. Die
sind ein Jedweder um ein halb Pfund Heller in Heiligen gestraft worden.

Nächstens wird man am Sonntag nicht einmal mehr einen Bissen
zu sich nehmen dürfen, murrte Friedrich.

Ja, rief der Kübler, du hast vielleicht gar nicht weit daran
vorbeigeschossen, denn der Pfarrer in Hattenhofen drüben hat sich

7 *

werden zum Pfarrer geloffen ſein und vielleicht der Kreuzwirth, und
werden ihm nach dem Maul geredt han.

Was iſt ihr geſchehen? fragte der wohlwollende Invalide, in der Abſicht,
ſeinen Liebling nicht auch wieder in dieſen Ton verfallen zu laſſen.

Sie hat ſich verantwortet, ſie hab's nur drei oder viermal gethan
und ſei ſie allweg von andern Leuten hinuntergeſchickt worden, weil
ſie eben unerachtet ihrer Gebrechlichkeit ſehen müſſe wie ſie etwas ver¬
diene, und dann ſei ſie, um wenigſtens das Wort Gottes zu hören, dort
in die Kirche gegangen. Man hat dann beſchloſſen, daß man ihr von
den dreißig Kreuzern, die ſie aus dem Almoſen hat, zehn nehmen und
künftig nur noch zwanzig geben wolle, und ihr bedeutet, wenn ſie
ferner nach Zell in die Kirche gehe, ſo werde man ihr das Almoſen
gar nehmen. Sie hat mich gedauert, denn ſie hat ſchrecklich geheult.

Predigt man denn in Zell ein anderes Wort Gottes als hier? rief
Friedrich, indem er wild mit der Fauſt auf den Tiſch ſchlug. Das iſt
doch überaus, wenn ſo ein — er beſann ſich vor dem Schützen
einen Augenblick - wenn ſo ein Pfarrer meint, man dürf' keinen
Anderen hören als ihn und nimmt einem armen alten Weib darum
das Brod! Und was man in den Kirchen hört, das iſt doch meiſtens nur
um der Einkünfte willen gepredigt. Wenn ſie's umſonſt thun müßten
wie im Evangelium, und dem Volk noch Brod dazu geben, ei wie
geſchwind ſtünden die Kanzeln leer!

Ein Gemurmel durchlief die Geſellſchaft; es ſchien aber keinen
Widerſpruch anzudeuten. Der Invalide fragte ſchnell: Was hat's
noch weiter geben? und ſchob ſein Glas dem Schützen hin, der ihm
bereitwillig Beſcheid that, ohne den rebelliſchen Reden ſichtliche Auf¬
merkſamkeit zu ſchenken.

Allerlei Sabbathentheiligungen ſind abgerügt worden, fuhr er fort.
Einer iſt am Sonntag in's Feld gangen, ein Anderer hat gedro¬
ſchen, und des Küblers ſein Bruder iſt auch vorgeweſen, der hat am
Sonntag eine Bettlade angeſtrichen, und ſo noch Andere mehr. Die
ſind ein Jedweder um ein halb Pfund Heller in Heiligen geſtraft worden.

Nächſtens wird man am Sonntag nicht einmal mehr einen Biſſen
zu ſich nehmen dürfen, murrte Friedrich.

Ja, rief der Kübler, du haſt vielleicht gar nicht weit daran
vorbeigeſchoſſen, denn der Pfarrer in Hattenhofen drüben hat ſich

7 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0115" n="99"/>
werden zum Pfarrer geloffen &#x017F;ein und vielleicht der Kreuzwirth, und<lb/>
werden ihm nach dem Maul geredt han.</p><lb/>
        <p>Was i&#x017F;t ihr ge&#x017F;chehen? fragte der wohlwollende Invalide, in der Ab&#x017F;icht,<lb/>
&#x017F;einen Liebling nicht auch wieder in die&#x017F;en Ton verfallen zu la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Sie hat &#x017F;ich verantwortet, &#x017F;ie hab's nur drei oder viermal gethan<lb/>
und &#x017F;ei &#x017F;ie allweg von andern Leuten hinunterge&#x017F;chickt worden, weil<lb/>
&#x017F;ie eben unerachtet ihrer Gebrechlichkeit &#x017F;ehen mü&#x017F;&#x017F;e wie &#x017F;ie etwas ver¬<lb/>
diene, und dann &#x017F;ei &#x017F;ie, um wenig&#x017F;tens das Wort Gottes zu hören, dort<lb/>
in die Kirche gegangen. Man hat dann be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, daß man ihr von<lb/>
den dreißig Kreuzern, die &#x017F;ie aus dem Almo&#x017F;en hat, zehn nehmen und<lb/>
künftig nur noch zwanzig geben wolle, und ihr bedeutet, wenn &#x017F;ie<lb/>
ferner nach Zell in die Kirche gehe, &#x017F;o werde man ihr das Almo&#x017F;en<lb/>
gar nehmen. Sie hat mich gedauert, denn &#x017F;ie hat &#x017F;chrecklich geheult.</p><lb/>
        <p>Predigt man denn in Zell ein anderes Wort Gottes als hier? rief<lb/>
Friedrich, indem er wild mit der Fau&#x017F;t auf den Ti&#x017F;ch &#x017F;chlug. Das i&#x017F;t<lb/>
doch <hi rendition="#g">überaus</hi>, wenn &#x017F;o ein &#x2014; er be&#x017F;ann &#x017F;ich vor dem Schützen<lb/>
einen Augenblick - wenn &#x017F;o ein Pfarrer meint, man dürf' keinen<lb/>
Anderen hören als <hi rendition="#g">ihn</hi> und nimmt einem armen alten Weib darum<lb/>
das Brod! Und was man in den Kirchen hört, das i&#x017F;t doch mei&#x017F;tens nur<lb/>
um der Einkünfte willen gepredigt. Wenn &#x017F;ie's um&#x017F;on&#x017F;t thun müßten<lb/>
wie im Evangelium, und dem Volk noch Brod dazu geben, ei wie<lb/>
ge&#x017F;chwind &#x017F;tünden die Kanzeln leer!<lb/></p>
        <p xml:id="cxx219630366">Ein Gemurmel durchlief die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft; es &#x017F;chien aber keinen<lb/>
Wider&#x017F;pruch anzudeuten. Der Invalide fragte &#x017F;chnell: Was hat's<lb/>
noch weiter geben? und &#x017F;chob &#x017F;ein Glas dem Schützen hin, der ihm<lb/>
bereitwillig Be&#x017F;cheid that, ohne den rebelli&#x017F;chen Reden &#x017F;ichtliche Auf¬<lb/>
merk&#x017F;amkeit zu &#x017F;chenken.<lb/></p><lb/>
        <p>Allerlei Sabbathentheiligungen &#x017F;ind abgerügt worden, fuhr er fort.<lb/>
Einer i&#x017F;t am Sonntag in's Feld gangen, ein Anderer hat gedro¬<lb/>
&#x017F;chen, und des Küblers &#x017F;ein Bruder i&#x017F;t auch vorgewe&#x017F;en, der hat am<lb/>
Sonntag eine Bettlade ange&#x017F;trichen, und &#x017F;o noch Andere mehr. Die<lb/>
&#x017F;ind ein Jedweder um ein halb Pfund Heller in Heiligen ge&#x017F;traft worden.</p><lb/>
        <p xml:id="cxx219695267">Näch&#x017F;tens wird man am Sonntag nicht einmal mehr einen Bi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
zu &#x017F;ich nehmen dürfen, murrte Friedrich.</p><lb/>
        <p xml:id="cxx219695370">Ja, rief der Kübler, du ha&#x017F;t vielleicht gar nicht weit daran<lb/>
vorbeige&#x017F;cho&#x017F;&#x017F;en, denn der Pfarrer in Hattenhofen drüben hat &#x017F;ich<fw place="bottom" type="sig">7 *<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[99/0115] werden zum Pfarrer geloffen ſein und vielleicht der Kreuzwirth, und werden ihm nach dem Maul geredt han. Was iſt ihr geſchehen? fragte der wohlwollende Invalide, in der Abſicht, ſeinen Liebling nicht auch wieder in dieſen Ton verfallen zu laſſen. Sie hat ſich verantwortet, ſie hab's nur drei oder viermal gethan und ſei ſie allweg von andern Leuten hinuntergeſchickt worden, weil ſie eben unerachtet ihrer Gebrechlichkeit ſehen müſſe wie ſie etwas ver¬ diene, und dann ſei ſie, um wenigſtens das Wort Gottes zu hören, dort in die Kirche gegangen. Man hat dann beſchloſſen, daß man ihr von den dreißig Kreuzern, die ſie aus dem Almoſen hat, zehn nehmen und künftig nur noch zwanzig geben wolle, und ihr bedeutet, wenn ſie ferner nach Zell in die Kirche gehe, ſo werde man ihr das Almoſen gar nehmen. Sie hat mich gedauert, denn ſie hat ſchrecklich geheult. Predigt man denn in Zell ein anderes Wort Gottes als hier? rief Friedrich, indem er wild mit der Fauſt auf den Tiſch ſchlug. Das iſt doch überaus, wenn ſo ein — er beſann ſich vor dem Schützen einen Augenblick - wenn ſo ein Pfarrer meint, man dürf' keinen Anderen hören als ihn und nimmt einem armen alten Weib darum das Brod! Und was man in den Kirchen hört, das iſt doch meiſtens nur um der Einkünfte willen gepredigt. Wenn ſie's umſonſt thun müßten wie im Evangelium, und dem Volk noch Brod dazu geben, ei wie geſchwind ſtünden die Kanzeln leer! Ein Gemurmel durchlief die Geſellſchaft; es ſchien aber keinen Widerſpruch anzudeuten. Der Invalide fragte ſchnell: Was hat's noch weiter geben? und ſchob ſein Glas dem Schützen hin, der ihm bereitwillig Beſcheid that, ohne den rebelliſchen Reden ſichtliche Auf¬ merkſamkeit zu ſchenken. Allerlei Sabbathentheiligungen ſind abgerügt worden, fuhr er fort. Einer iſt am Sonntag in's Feld gangen, ein Anderer hat gedro¬ ſchen, und des Küblers ſein Bruder iſt auch vorgeweſen, der hat am Sonntag eine Bettlade angeſtrichen, und ſo noch Andere mehr. Die ſind ein Jedweder um ein halb Pfund Heller in Heiligen geſtraft worden. Nächſtens wird man am Sonntag nicht einmal mehr einen Biſſen zu ſich nehmen dürfen, murrte Friedrich. Ja, rief der Kübler, du haſt vielleicht gar nicht weit daran vorbeigeſchoſſen, denn der Pfarrer in Hattenhofen drüben hat ſich 7 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/115
Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/115>, abgerufen am 03.05.2024.