selber, sondern daß etwas angebracht ist, das ist ihnen der Haupt¬ punkt, und daraus machen sie dann ein Protokoll und ein Geschäft, wie wenn sie dabei gewesen wären und alles besser wüßten als der den's doch angeht. -- Mit diesen Worten reichte er sein Glas dem Schützen, der sich auch gleichmüthig, während über seine Vorgesetzten losgezogen wurde, den Mund stopfen ließ.
Zu was wären sie denn sonst da? bemerkte Friedrich.
Der Invalide stieß ihn an und flüsterte: Sei Er doch politisch und laß Er den Kübler allein das Maul brauchen. Der steckt in Schuhen, woran nichts mehr zu flicken ist. Aber Ihm könnt's Schaden bringen, denn der Schütz ist ein Kalfakter; er schmarotzt so viel man ihm gibt, und nachher trägt er Alles, was er dabei gehört hat, seinen Herren wieder zu.
Was liegt mir dran? entgegnete Friedrich trotzig.
Und was ist denn noch mehr heut' vorgekommen bei der Kirchen¬ censur? fragte der Invalide den Schützen, um das Gespräch abzulenken.
O mehr als viel, sagte dieser: die Sitzung hat noch nie so lang gedauert, es ist mir ganz schwach worden vom langen Warten im Oehrn. Zuerst, begann er mit einer Amtsmiene, sind Kirchenstuhlstrei¬ tigkeiten unter den Weibern abgemacht worden; das ist ja ein stehen¬ der Artikel bei allen Conventssitzungen. Dann hat man junge Bur¬ sche vorgefordert, die aus der Kinderlehre weggeblieben sind, und hat sie mit Vermahnung wieder springen lassen.
Friedrich biß sich auf die Lippen, sagte aber nichts, um nicht den Spott der Gesellschaft gegen sich herauszufordern.
Dann hat man eine Separatistin fürgehabt, die in Jebenhausen drüben bei der gnädigen Frau in die Stund' gangen ist.
Der Gesellschaft war dies so gleichgiltig, daß sie nicht einmal nach dem Namen fragte.
Ferner hat man die alte Anna fürgenommen, die mit dem krum¬ men Fuß, die mit ihren drei Waisen dreißig Kreuzer wöchentlich hat. Der ist fürgehalten worden, daß sie als ein altes baufälliges Weib gleichwohl etlichmal nach Zell hinunter in die Kirche gegangen sei mit Verachtung des hiesigen Gottesdienstes, und habe sich deshalb die Bürgerschaft über sie beschwert.
Ja, die Bürgerschaft! rief der Kübler. Ein paar alte Weiber
ſelber, ſondern daß etwas angebracht iſt, das iſt ihnen der Haupt¬ punkt, und daraus machen ſie dann ein Protokoll und ein Geſchäft, wie wenn ſie dabei geweſen wären und alles beſſer wüßten als der den's doch angeht. — Mit dieſen Worten reichte er ſein Glas dem Schützen, der ſich auch gleichmüthig, während über ſeine Vorgeſetzten losgezogen wurde, den Mund ſtopfen ließ.
Zu was wären ſie denn ſonſt da? bemerkte Friedrich.
Der Invalide ſtieß ihn an und flüſterte: Sei Er doch politiſch und laß Er den Kübler allein das Maul brauchen. Der ſteckt in Schuhen, woran nichts mehr zu flicken iſt. Aber Ihm könnt's Schaden bringen, denn der Schütz iſt ein Kalfakter; er ſchmarotzt ſo viel man ihm gibt, und nachher trägt er Alles, was er dabei gehört hat, ſeinen Herren wieder zu.
Was liegt mir dran? entgegnete Friedrich trotzig.
Und was iſt denn noch mehr heut' vorgekommen bei der Kirchen¬ cenſur? fragte der Invalide den Schützen, um das Geſpräch abzulenken.
O mehr als viel, ſagte dieſer: die Sitzung hat noch nie ſo lang gedauert, es iſt mir ganz ſchwach worden vom langen Warten im Oehrn. Zuerſt, begann er mit einer Amtsmiene, ſind Kirchenſtuhlſtrei¬ tigkeiten unter den Weibern abgemacht worden; das iſt ja ein ſtehen¬ der Artikel bei allen Conventsſitzungen. Dann hat man junge Bur¬ ſche vorgefordert, die aus der Kinderlehre weggeblieben ſind, und hat ſie mit Vermahnung wieder ſpringen laſſen.
Friedrich biß ſich auf die Lippen, ſagte aber nichts, um nicht den Spott der Geſellſchaft gegen ſich herauszufordern.
Dann hat man eine Separatiſtin fürgehabt, die in Jebenhauſen drüben bei der gnädigen Frau in die Stund' gangen iſt.
Der Geſellſchaft war dies ſo gleichgiltig, daß ſie nicht einmal nach dem Namen fragte.
Ferner hat man die alte Anna fürgenommen, die mit dem krum¬ men Fuß, die mit ihren drei Waiſen dreißig Kreuzer wöchentlich hat. Der iſt fürgehalten worden, daß ſie als ein altes baufälliges Weib gleichwohl etlichmal nach Zell hinunter in die Kirche gegangen ſei mit Verachtung des hieſigen Gottesdienſtes, und habe ſich deshalb die Bürgerſchaft über ſie beſchwert.
Ja, die Bürgerſchaft! rief der Kübler. Ein paar alte Weiber
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wie wenn ſie dabei geweſen wären und alles beſſer wüßten als der
den's doch angeht. — Mit dieſen Worten reichte er ſein Glas dem
Schützen, der ſich auch gleichmüthig, während über ſeine Vorgeſetzten
losgezogen wurde, den Mund ſtopfen ließ.
Zu was wären ſie denn ſonſt da? bemerkte Friedrich.
Der Invalide ſtieß ihn an und flüſterte: Sei Er doch politiſch
und laß Er den Kübler allein das Maul brauchen. Der ſteckt in
Schuhen, woran nichts mehr zu flicken iſt. Aber Ihm könnt's
Schaden bringen, denn der Schütz iſt ein Kalfakter; er ſchmarotzt ſo viel
man ihm gibt, und nachher trägt er Alles, was er dabei gehört hat,
ſeinen Herren wieder zu.
Was liegt mir dran? entgegnete Friedrich trotzig.
Und was iſt denn noch mehr heut' vorgekommen bei der Kirchen¬
cenſur? fragte der Invalide den Schützen, um das Geſpräch abzulenken.
O mehr als viel, ſagte dieſer: die Sitzung hat noch nie ſo lang
gedauert, es iſt mir ganz ſchwach worden vom langen Warten im
Oehrn. Zuerſt, begann er mit einer Amtsmiene, ſind Kirchenſtuhlſtrei¬
tigkeiten unter den Weibern abgemacht worden; das iſt ja ein ſtehen¬
der Artikel bei allen Conventsſitzungen. Dann hat man junge Bur¬
ſche vorgefordert, die aus der Kinderlehre weggeblieben ſind, und hat
ſie mit Vermahnung wieder ſpringen laſſen.
Friedrich biß ſich auf die Lippen, ſagte aber nichts, um nicht den
Spott der Geſellſchaft gegen ſich herauszufordern.
Dann hat man eine Separatiſtin fürgehabt, die in Jebenhauſen
drüben bei der gnädigen Frau in die Stund' gangen iſt.
Der Geſellſchaft war dies ſo gleichgiltig, daß ſie nicht einmal nach
dem Namen fragte.
Ferner hat man die alte Anna fürgenommen, die mit dem krum¬
men Fuß, die mit ihren drei Waiſen dreißig Kreuzer wöchentlich hat.
Der iſt fürgehalten worden, daß ſie als ein altes baufälliges Weib
gleichwohl etlichmal nach Zell hinunter in die Kirche gegangen ſei mit
Verachtung des hieſigen Gottesdienſtes, und habe ſich deshalb die
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/114>, abgerufen am 28.11.2024.
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