Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kuhnow, Anna: Gedanken und Erfahrungen über Frauenbildung und Frauenberuf. Leipzig, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite

oft geredet worden ist - in deutschen Landen über-
wiegend nur geredet, in der Mehrzahl der übrigen Cultur-
länder längst gehandelt.

"Weil hiefür eine ausreichende Masse von Erfahrungen
vorliegt, in welchen Deutschland freilich bisher nur sehr
langsam und mit Hindernissen gefolgt ist, kann vielleicht
ohne ein Uebermass von Kühnheit behauptet werden, dass
weibliche Aerzte (vollends mit Ausdehnung auf die Neben-
gebiete des Apothekerberufes, der Zahnarzneikunde u. dgl.)
im Stande sind, das Gleiche zu leisten, wie das, was das
übliche, durch die Examina hindurchgelangte Mittelmass der
männlichen Aerzte leistet. Es heisst das thema probandum
verschieben, wenn man nicht diese Frage stellt, sondern die
andere, ob ein weibliches Wesen bereits eine bahnbrechende
Entdeckung auf dem Gebiete der Medicin gemacht habe,
oder auch nur die andere, ob ein Weib für alle diejenigen
Aufgaben stark genug, die heute von männlichen Aerzten
gelöst werden, insbesondere etwa, ob sie chirurgische Ope-
rationen vorzunehmen im Stande sei. Die Antwort hierauf
giebt die neuere Entwicklung der medicinischen Praxis
selber durch ihre fortschreitende Specialisirung und durch
die zunehmende Gewohnheit, die Sphäre des Hausarztes und
die Hinzuziehung des Specialisten zu scheiden. Die Antwort
giebt die alltägliche Beobachtung über die Beschaffenheit
der staatlich geprüften Aerzte, unter denen Hunderte, ja
Tausende achtbarer Männer durch das Examen hindurch
und in die Praxis gelangen, ohne dass bei einem Einzigen
derselben die Rede davon ist, dass er irgend etwas Nennens-
werthes für die Förderung der Wissenschaft gethan, ge-
schweige denn, dass er eine bedeutende Leistung aufzu-
weisen hat."

Soweit Gustav Cohn, an dessen letztere Ausführungen
anknüpfend, ich zuerst bemerken möchte: Man kann hie
und da bei Erörterungen besonders über das medicinische
Studium etwa Folgendes lesen: "Die Frauen hatten seit

oft geredet worden ist – in deutschen Landen über-
wiegend nur geredet, in der Mehrzahl der übrigen Cultur-
länder längst gehandelt.

„Weil hiefür eine ausreichende Masse von Erfahrungen
vorliegt, in welchen Deutschland freilich bisher nur sehr
langsam und mit Hindernissen gefolgt ist, kann vielleicht
ohne ein Uebermass von Kühnheit behauptet werden, dass
weibliche Aerzte (vollends mit Ausdehnung auf die Neben-
gebiete des Apothekerberufes, der Zahnarzneikunde u. dgl.)
im Stande sind, das Gleiche zu leisten, wie das, was das
übliche, durch die Examina hindurchgelangte Mittelmass der
männlichen Aerzte leistet. Es heisst das thema probandum
verschieben, wenn man nicht diese Frage stellt, sondern die
andere, ob ein weibliches Wesen bereits eine bahnbrechende
Entdeckung auf dem Gebiete der Medicin gemacht habe,
oder auch nur die andere, ob ein Weib für alle diejenigen
Aufgaben stark genug, die heute von männlichen Aerzten
gelöst werden, insbesondere etwa, ob sie chirurgische Ope-
rationen vorzunehmen im Stande sei. Die Antwort hierauf
giebt die neuere Entwicklung der medicinischen Praxis
selber durch ihre fortschreitende Specialisirung und durch
die zunehmende Gewohnheit, die Sphäre des Hausarztes und
die Hinzuziehung des Specialisten zu scheiden. Die Antwort
giebt die alltägliche Beobachtung über die Beschaffenheit
der staatlich geprüften Aerzte, unter denen Hunderte, ja
Tausende achtbarer Männer durch das Examen hindurch
und in die Praxis gelangen, ohne dass bei einem Einzigen
derselben die Rede davon ist, dass er irgend etwas Nennens-
werthes für die Förderung der Wissenschaft gethan, ge-
schweige denn, dass er eine bedeutende Leistung aufzu-
weisen hat.“

Soweit Gustav Cohn, an dessen letztere Ausführungen
anknüpfend, ich zuerst bemerken möchte: Man kann hie
und da bei Erörterungen besonders über das medicinische
Studium etwa Folgendes lesen: „Die Frauen hatten seit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0029" n="28"/>
oft geredet worden ist &#x2013; in deutschen Landen über-<lb/>
wiegend nur geredet, in der Mehrzahl der übrigen Cultur-<lb/>
länder <hi rendition="#g">längst</hi> gehandelt.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Weil hiefür eine ausreichende Masse von Erfahrungen<lb/>
vorliegt, in welchen Deutschland freilich bisher nur sehr<lb/>
langsam und mit Hindernissen gefolgt ist, kann vielleicht<lb/>
ohne ein Uebermass von Kühnheit behauptet werden, dass<lb/>
weibliche Aerzte (vollends mit Ausdehnung auf die Neben-<lb/>
gebiete des Apothekerberufes, der Zahnarzneikunde u. dgl.)<lb/>
im Stande sind, das Gleiche zu leisten, wie das, was das<lb/>
übliche, durch die Examina hindurchgelangte Mittelmass der<lb/>
männlichen Aerzte leistet. Es heisst das thema probandum<lb/>
verschieben, wenn man nicht diese Frage stellt, sondern die<lb/>
andere, ob ein weibliches Wesen bereits eine bahnbrechende<lb/>
Entdeckung auf dem Gebiete der Medicin gemacht habe,<lb/>
oder auch nur die andere, ob ein Weib für <hi rendition="#g">alle</hi> diejenigen<lb/>
Aufgaben stark genug, die heute von männlichen Aerzten<lb/>
gelöst werden, insbesondere etwa, ob sie chirurgische Ope-<lb/>
rationen vorzunehmen im Stande sei. Die Antwort hierauf<lb/>
giebt die neuere Entwicklung der medicinischen Praxis<lb/>
selber durch ihre fortschreitende Specialisirung und durch<lb/>
die zunehmende Gewohnheit, die Sphäre des Hausarztes und<lb/>
die Hinzuziehung des Specialisten zu scheiden. Die Antwort<lb/>
giebt die alltägliche Beobachtung über die Beschaffenheit<lb/>
der staatlich geprüften Aerzte, unter denen Hunderte, ja<lb/>
Tausende achtbarer Männer durch das Examen hindurch<lb/>
und in die Praxis gelangen, ohne dass bei einem Einzigen<lb/>
derselben die Rede davon ist, dass er irgend etwas Nennens-<lb/>
werthes für die Förderung der Wissenschaft gethan, ge-<lb/>
schweige denn, dass er eine bedeutende Leistung aufzu-<lb/>
weisen hat.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Soweit Gustav Cohn, an dessen letztere Ausführungen<lb/>
anknüpfend, ich zuerst bemerken möchte: Man kann hie<lb/>
und da bei Erörterungen besonders über das medicinische<lb/>
Studium etwa Folgendes lesen: &#x201E;Die Frauen hatten seit<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[28/0029] oft geredet worden ist – in deutschen Landen über- wiegend nur geredet, in der Mehrzahl der übrigen Cultur- länder längst gehandelt. „Weil hiefür eine ausreichende Masse von Erfahrungen vorliegt, in welchen Deutschland freilich bisher nur sehr langsam und mit Hindernissen gefolgt ist, kann vielleicht ohne ein Uebermass von Kühnheit behauptet werden, dass weibliche Aerzte (vollends mit Ausdehnung auf die Neben- gebiete des Apothekerberufes, der Zahnarzneikunde u. dgl.) im Stande sind, das Gleiche zu leisten, wie das, was das übliche, durch die Examina hindurchgelangte Mittelmass der männlichen Aerzte leistet. Es heisst das thema probandum verschieben, wenn man nicht diese Frage stellt, sondern die andere, ob ein weibliches Wesen bereits eine bahnbrechende Entdeckung auf dem Gebiete der Medicin gemacht habe, oder auch nur die andere, ob ein Weib für alle diejenigen Aufgaben stark genug, die heute von männlichen Aerzten gelöst werden, insbesondere etwa, ob sie chirurgische Ope- rationen vorzunehmen im Stande sei. Die Antwort hierauf giebt die neuere Entwicklung der medicinischen Praxis selber durch ihre fortschreitende Specialisirung und durch die zunehmende Gewohnheit, die Sphäre des Hausarztes und die Hinzuziehung des Specialisten zu scheiden. Die Antwort giebt die alltägliche Beobachtung über die Beschaffenheit der staatlich geprüften Aerzte, unter denen Hunderte, ja Tausende achtbarer Männer durch das Examen hindurch und in die Praxis gelangen, ohne dass bei einem Einzigen derselben die Rede davon ist, dass er irgend etwas Nennens- werthes für die Förderung der Wissenschaft gethan, ge- schweige denn, dass er eine bedeutende Leistung aufzu- weisen hat.“ Soweit Gustav Cohn, an dessen letztere Ausführungen anknüpfend, ich zuerst bemerken möchte: Man kann hie und da bei Erörterungen besonders über das medicinische Studium etwa Folgendes lesen: „Die Frauen hatten seit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Frauenstudium, betreut von Andreas Neumann und Anna Pfundt, FSU Jena und JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2024-05-30T15:49:03Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2024-05-29T13:39:03Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: keine Angabe; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuhnow_gedanken_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuhnow_gedanken_1896/29
Zitationshilfe: Kuhnow, Anna: Gedanken und Erfahrungen über Frauenbildung und Frauenberuf. Leipzig, 1896, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuhnow_gedanken_1896/29>, abgerufen am 02.07.2024.