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Kuhnow, Anna: Gedanken und Erfahrungen über Frauenbildung und Frauenberuf. Leipzig, 1896.

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Jahrhunderten in einem Gebiete der Medicin, der Geburts-
hülfe, geherrscht, und doch hat diese Wissenschaft kaum einen
nennenswerthen Fortschritt durch Frauen gemacht; ergo,
die Frauen können in der Medicin nichts leisten." Man
wolle sich aber einmal klar machen, was für Frauen in der
Geburtshülfe arbeiteten und noch arbeiten: Volksschichten
entstammt, in denen die Frau kaum über das ABC hinaus
etwas kann, das Leben ausserdem ausgefüllt mit den Interessen
für die eigene Familie und den Haushalt, ergreift eine
solche Frau meist den Hebeammenberuf als Nebenerwerb,
sie wird und wurde neben dem mangelhaften Interesse noch
in einer für dieses exquisit wissenschaftliche Fach höchst
mangelhaften Weise ausgebildet. Unter solchen Umstän-
den würde man doch nicht einmal von einem Manne
Leistungen erwarten, die dem Fortschritte der Wissenschaft
zu gute kommen. Ich habe wenigstens noch nie eine Klage
darüber vernommen, dass die Barbiere und Heilgehülfen
nichts für die Fortschritte der Medicin gethan haben!

Und wenn wir die Aerztinnen von heute betrachten, so
können wir doch hie und da schon die Anfänge von den
Leistungen sehen, die die Wissenschaft jedenfalls noch von
ihnen zu erwarten hat, erstens, wenn sie einmal die Folgen
der Sünden überwunden haben werden, welche durch die
mangelhafte Geistesbildung der Frauen Jahrtausende hin-
durch ihnen nothwendiger Weise angeerbt sein müssen,
zweitens, wenn ihre staatsrechtliche und gesellschaftliche
Stellung derjenigen der männlichen Aerzte gleich sein wird.
Es liegt ein tiefer Sinn in dem Sprüchworte: "Noblesse
oblige"! Wenn uns die Gesellschaft nicht die Stellung ein-
räumt, die uns nach unserem Streben gebührt, so sind wir
dem Sclaven ähnlich, gebunden an allen Ecken und Enden
durch öffentliche Vorurtheile, die unseren Geistes- und
Körperkräften oft die Flügel lähmen. Und deshalb hat ein
grosser Psychiater, v. Krafft-Ebing, Recht, wenn er einmal
sagte: "ln 300 Jahren ungefähr wird man sich ein Urtheil

Jahrhunderten in einem Gebiete der Medicin, der Geburts-
hülfe, geherrscht, und doch hat diese Wissenschaft kaum einen
nennenswerthen Fortschritt durch Frauen gemacht; ergo,
die Frauen können in der Medicin nichts leisten.“ Man
wolle sich aber einmal klar machen, was für Frauen in der
Geburtshülfe arbeiteten und noch arbeiten: Volksschichten
entstammt, in denen die Frau kaum über das ABC hinaus
etwas kann, das Leben ausserdem ausgefüllt mit den Interessen
für die eigene Familie und den Haushalt, ergreift eine
solche Frau meist den Hebeammenberuf als Nebenerwerb,
sie wird und wurde neben dem mangelhaften Interesse noch
in einer für dieses exquisit wissenschaftliche Fach höchst
mangelhaften Weise ausgebildet. Unter solchen Umstän-
den würde man doch nicht einmal von einem Manne
Leistungen erwarten, die dem Fortschritte der Wissenschaft
zu gute kommen. Ich habe wenigstens noch nie eine Klage
darüber vernommen, dass die Barbiere und Heilgehülfen
nichts für die Fortschritte der Medicin gethan haben!

Und wenn wir die Aerztinnen von heute betrachten, so
können wir doch hie und da schon die Anfänge von den
Leistungen sehen, die die Wissenschaft jedenfalls noch von
ihnen zu erwarten hat, erstens, wenn sie einmal die Folgen
der Sünden überwunden haben werden, welche durch die
mangelhafte Geistesbildung der Frauen Jahrtausende hin-
durch ihnen nothwendiger Weise angeerbt sein müssen,
zweitens, wenn ihre staatsrechtliche und gesellschaftliche
Stellung derjenigen der männlichen Aerzte gleich sein wird.
Es liegt ein tiefer Sinn in dem Sprüchworte: „Noblesse
oblige“! Wenn uns die Gesellschaft nicht die Stellung ein-
räumt, die uns nach unserem Streben gebührt, so sind wir
dem Sclaven ähnlich, gebunden an allen Ecken und Enden
durch öffentliche Vorurtheile, die unseren Geistes- und
Körperkräften oft die Flügel lähmen. Und deshalb hat ein
grosser Psychiater, v. Krafft-Ebing, Recht, wenn er einmal
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[29/0030] Jahrhunderten in einem Gebiete der Medicin, der Geburts- hülfe, geherrscht, und doch hat diese Wissenschaft kaum einen nennenswerthen Fortschritt durch Frauen gemacht; ergo, die Frauen können in der Medicin nichts leisten.“ Man wolle sich aber einmal klar machen, was für Frauen in der Geburtshülfe arbeiteten und noch arbeiten: Volksschichten entstammt, in denen die Frau kaum über das ABC hinaus etwas kann, das Leben ausserdem ausgefüllt mit den Interessen für die eigene Familie und den Haushalt, ergreift eine solche Frau meist den Hebeammenberuf als Nebenerwerb, sie wird und wurde neben dem mangelhaften Interesse noch in einer für dieses exquisit wissenschaftliche Fach höchst mangelhaften Weise ausgebildet. Unter solchen Umstän- den würde man doch nicht einmal von einem Manne Leistungen erwarten, die dem Fortschritte der Wissenschaft zu gute kommen. Ich habe wenigstens noch nie eine Klage darüber vernommen, dass die Barbiere und Heilgehülfen nichts für die Fortschritte der Medicin gethan haben! Und wenn wir die Aerztinnen von heute betrachten, so können wir doch hie und da schon die Anfänge von den Leistungen sehen, die die Wissenschaft jedenfalls noch von ihnen zu erwarten hat, erstens, wenn sie einmal die Folgen der Sünden überwunden haben werden, welche durch die mangelhafte Geistesbildung der Frauen Jahrtausende hin- durch ihnen nothwendiger Weise angeerbt sein müssen, zweitens, wenn ihre staatsrechtliche und gesellschaftliche Stellung derjenigen der männlichen Aerzte gleich sein wird. Es liegt ein tiefer Sinn in dem Sprüchworte: „Noblesse oblige“! Wenn uns die Gesellschaft nicht die Stellung ein- räumt, die uns nach unserem Streben gebührt, so sind wir dem Sclaven ähnlich, gebunden an allen Ecken und Enden durch öffentliche Vorurtheile, die unseren Geistes- und Körperkräften oft die Flügel lähmen. Und deshalb hat ein grosser Psychiater, v. Krafft-Ebing, Recht, wenn er einmal sagte: „ln 300 Jahren ungefähr wird man sich ein Urtheil

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Zitationshilfe: Kuhnow, Anna: Gedanken und Erfahrungen über Frauenbildung und Frauenberuf. Leipzig, 1896, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuhnow_gedanken_1896/30>, abgerufen am 02.07.2024.