Kuhnow, Anna: Gedanken und Erfahrungen über Frauenbildung und Frauenberuf. Leipzig, 1896.aber liegt in mangelnder Ueberzeugung und mangelndem "Es giebt mildernde Umstände genug. Wer wüsste das "Diesen gilt das Sprichwort vor eigener Thüre kehren! Ich kann zu diesen Ausführungen meiner Collegin nur aber liegt in mangelnder Ueberzeugung und mangelndem „Es giebt mildernde Umstände genug. Wer wüsste das „Diesen gilt das Sprichwort vor eigener Thüre kehren! Ich kann zu diesen Ausführungen meiner Collegin nur <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0027" n="26"/> aber liegt in mangelnder Ueberzeugung und mangelndem<lb/> Verantwortlichkeitsbewusstsein der Aerzte. Sie behandeln<lb/> Fragen der Lebensweise nicht mit der Schärfe und Unzwei-<lb/> deutigkeit, welche dem zukommt, der Naturgesetze ver-<lb/> kündet und von dessen Ausspruch die Gesundheit anderer<lb/> abhängt, sondern allzuoft mit werthlosen allgemeinen Reden,<lb/> allzuoft schwankend und unsicher. Allzuoft lassen sie mit<lb/> sich handeln, gehen auf Compromisse ein, richten sich nach<lb/> den Wünschen, Erwartungen, Gewohnheiten ihrer Patienten.<lb/> Allzuoft scheuen sie den Kampf. Nicht einmal in Sache<lb/> des Corsetts haben sie sich zu einer unbedingten, unverklau-<lb/> sulirten Verurtheilung aufgerafft.</p><lb/> <p>„Es giebt mildernde Umstände genug. Wer wüsste das<lb/> nicht. Dürfen wir sie aber gelten lassen, gegenüber einer<lb/> Pflichtversäumniss von solcher ungeheuren Tragweite? Und<lb/> dürfen wir sie vor allem denen gegenüber gelten lassen, die<lb/> es nicht nur zum grossen Theil verschuldet haben, dass das<lb/> heutige Frauengeschlecht so traurig dasteht, sondern den<lb/> ersten schüchternen Rettungsversuchen der Frauen selbst,<lb/> statt mit Verständniss und Ermuthigung, nicht anders als<lb/> mit einer Kriegserklärung zu begegnen wissen?</p><lb/> <p>„Diesen gilt das Sprichwort vor eigener Thüre kehren!<lb/> oder sie können es erleben, dass die minderwerthige, über<lb/> die Achsel angesehene Aerztin binnen Kurzem für ihr Ge-<lb/> schlecht mehr erreicht, als denjenigen gelungen ist, welche<lb/> sie im Interesse der Heilkunst so ängstlich von der Be-<lb/> theiligung daran ausschliessen möchten.“</p><lb/> <p>Ich kann zu diesen Ausführungen meiner Collegin nur<lb/> Ja und Amen sagen und möchte im Interesse jener trau-<lb/> rigen Verhältnisse wünschen, dass die Predigt in der Wüste<lb/> an die richtigen Adressen gelangen möchte. Trotzdem aber<lb/> giebt es doch auch jetzt noch junge, blühende weibliche Wesen,<lb/> denen Geburt und Erziehung einen Schatz von Lebenskraft<lb/> gegeben, resp. erhalten hat, und an diesen können wir ahnen,<lb/> was die deutsche Frau der Zukunft sein wird, wenn ihr<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [26/0027]
aber liegt in mangelnder Ueberzeugung und mangelndem
Verantwortlichkeitsbewusstsein der Aerzte. Sie behandeln
Fragen der Lebensweise nicht mit der Schärfe und Unzwei-
deutigkeit, welche dem zukommt, der Naturgesetze ver-
kündet und von dessen Ausspruch die Gesundheit anderer
abhängt, sondern allzuoft mit werthlosen allgemeinen Reden,
allzuoft schwankend und unsicher. Allzuoft lassen sie mit
sich handeln, gehen auf Compromisse ein, richten sich nach
den Wünschen, Erwartungen, Gewohnheiten ihrer Patienten.
Allzuoft scheuen sie den Kampf. Nicht einmal in Sache
des Corsetts haben sie sich zu einer unbedingten, unverklau-
sulirten Verurtheilung aufgerafft.
„Es giebt mildernde Umstände genug. Wer wüsste das
nicht. Dürfen wir sie aber gelten lassen, gegenüber einer
Pflichtversäumniss von solcher ungeheuren Tragweite? Und
dürfen wir sie vor allem denen gegenüber gelten lassen, die
es nicht nur zum grossen Theil verschuldet haben, dass das
heutige Frauengeschlecht so traurig dasteht, sondern den
ersten schüchternen Rettungsversuchen der Frauen selbst,
statt mit Verständniss und Ermuthigung, nicht anders als
mit einer Kriegserklärung zu begegnen wissen?
„Diesen gilt das Sprichwort vor eigener Thüre kehren!
oder sie können es erleben, dass die minderwerthige, über
die Achsel angesehene Aerztin binnen Kurzem für ihr Ge-
schlecht mehr erreicht, als denjenigen gelungen ist, welche
sie im Interesse der Heilkunst so ängstlich von der Be-
theiligung daran ausschliessen möchten.“
Ich kann zu diesen Ausführungen meiner Collegin nur
Ja und Amen sagen und möchte im Interesse jener trau-
rigen Verhältnisse wünschen, dass die Predigt in der Wüste
an die richtigen Adressen gelangen möchte. Trotzdem aber
giebt es doch auch jetzt noch junge, blühende weibliche Wesen,
denen Geburt und Erziehung einen Schatz von Lebenskraft
gegeben, resp. erhalten hat, und an diesen können wir ahnen,
was die deutsche Frau der Zukunft sein wird, wenn ihr
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