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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Da geschah ihm, als trüg' ihm der Sturm Gesangstöne zu.

Moorfeld horchte hoch auf. Die Entdeckung war zu ansprechend,
wenn sie sich bestätigen sollte. Eine neue Windeswelle leitete den
Schall deutlicher. Es war ohne Zweifel, es sang Jemand in der Nähe.

Moorfeld ließ einen hellen Jagdruf erschallen, aber er hatte den
Wind gegen sich. Er kehrte sein Auge mit Anstrengung in die Fin¬
sterniß, ob er nicht die Begleiterin menschlicher Cultur, eine Lichtflamme,
entdecken könne, aber gleichfalls vergebens. Er mußte sich darauf be¬
schränken, sein Pferd vorsichtig der Richtung der Töne entgegen zu
führen, dem Zufall anheimgestellt, daß sie vielleicht wieder aufhörten
und ihre Spur ihm entzogen.

Glücklicherweise geschah dieses nicht. Der Gesang erhob sich viel¬
mehr immer vernehmlicher. Es war ein marschartiger Rythmus und
eine leichte, leichtsinnige Baudeville-Melodie nach altem Zuschnitt.
Moorfeld konnte sich bald darauf verlegen, die Textworte selbst heraus¬
zuhören. Buvons -- buvons -- klang es einige Male, -- dann
brüllte ein breiter Sturmdonner dazwischen, daß der Wald krachte,
Cäsar's erhitzte Haut schaudernd zusammenfuhr und Moorfeld aus dem
See heraus den spritzenden Gischt im Gesichte spürte. Das schien
aber den nächtlichen Sänger wenig zu geniren. Denn bald darauf
hatte sein fröhliches Herz mit le vin bon zu thun und der nächste
Windstoß war noch galanter, er kam avec ma Lison.

Als Moorfeld erst die Sprache herausgehört, war es ihm um so
leichter zu folgen. Ein gut gelaunter Franzose, wahrscheinlich ein
"heureux Canadicn" vom nördlichen Erieufer herübergekommen, trieb
sich in der Nähe. Wahrlich, der Sänger konnte auch nur Franzose,
oder Irländer sein. Ein Amerikaner hätte nicht gesungen. In dieser
einsamen, melancholischen Lage vielleicht kaum ein Deutscher.

Moorfeld tappte sich am Leitseile dieser Vocal-Production Schritt
für Schritt näher. Der syllabisch-recitirende Styl des französischen
Gesanges ließ ihn bald jedes einzelne Wort vernehmen, wozu noch
beitrug, daß die accentuirten Sylben durch ihren regelmäßigen Fall
auf die guten Tacttheile ungemein markirt hervortraten, was auch dem
Chanson, trotz seiner Schäferlichkeit, seinen gallischen, sturmschrittartigen
Geist verlieh.

Der Sänger nahm zu einer neuen Strophe seinen Aufschwung.

Da geſchah ihm, als trüg' ihm der Sturm Geſangſtöne zu.

Moorfeld horchte hoch auf. Die Entdeckung war zu anſprechend,
wenn ſie ſich beſtätigen ſollte. Eine neue Windeswelle leitete den
Schall deutlicher. Es war ohne Zweifel, es ſang Jemand in der Nähe.

Moorfeld ließ einen hellen Jagdruf erſchallen, aber er hatte den
Wind gegen ſich. Er kehrte ſein Auge mit Anſtrengung in die Fin¬
ſterniß, ob er nicht die Begleiterin menſchlicher Cultur, eine Lichtflamme,
entdecken könne, aber gleichfalls vergebens. Er mußte ſich darauf be¬
ſchränken, ſein Pferd vorſichtig der Richtung der Töne entgegen zu
führen, dem Zufall anheimgeſtellt, daß ſie vielleicht wieder aufhörten
und ihre Spur ihm entzogen.

Glücklicherweiſe geſchah dieſes nicht. Der Geſang erhob ſich viel¬
mehr immer vernehmlicher. Es war ein marſchartiger Rythmus und
eine leichte, leichtſinnige Baudeville-Melodie nach altem Zuſchnitt.
Moorfeld konnte ſich bald darauf verlegen, die Textworte ſelbſt heraus¬
zuhören. Buvonsbuvons — klang es einige Male, — dann
brüllte ein breiter Sturmdonner dazwiſchen, daß der Wald krachte,
Cäſar's erhitzte Haut ſchaudernd zuſammenfuhr und Moorfeld aus dem
See heraus den ſpritzenden Giſcht im Geſichte ſpürte. Das ſchien
aber den nächtlichen Sänger wenig zu geniren. Denn bald darauf
hatte ſein fröhliches Herz mit le vin bon zu thun und der nächſte
Windſtoß war noch galanter, er kam avec ma Lison.

Als Moorfeld erſt die Sprache herausgehört, war es ihm um ſo
leichter zu folgen. Ein gut gelaunter Franzoſe, wahrſcheinlich ein
„heureux Canadicn“ vom nördlichen Erieufer herübergekommen, trieb
ſich in der Nähe. Wahrlich, der Sänger konnte auch nur Franzoſe,
oder Irländer ſein. Ein Amerikaner hätte nicht geſungen. In dieſer
einſamen, melancholiſchen Lage vielleicht kaum ein Deutſcher.

Moorfeld tappte ſich am Leitſeile dieſer Vocal-Production Schritt
für Schritt näher. Der ſyllabiſch-recitirende Styl des franzöſiſchen
Geſanges ließ ihn bald jedes einzelne Wort vernehmen, wozu noch
beitrug, daß die accentuirten Sylben durch ihren regelmäßigen Fall
auf die guten Tacttheile ungemein markirt hervortraten, was auch dem
Chanſon, trotz ſeiner Schäferlichkeit, ſeinen galliſchen, ſturmſchrittartigen
Geiſt verlieh.

Der Sänger nahm zu einer neuen Strophe ſeinen Aufſchwung.

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[408/0426] Da geſchah ihm, als trüg' ihm der Sturm Geſangſtöne zu. Moorfeld horchte hoch auf. Die Entdeckung war zu anſprechend, wenn ſie ſich beſtätigen ſollte. Eine neue Windeswelle leitete den Schall deutlicher. Es war ohne Zweifel, es ſang Jemand in der Nähe. Moorfeld ließ einen hellen Jagdruf erſchallen, aber er hatte den Wind gegen ſich. Er kehrte ſein Auge mit Anſtrengung in die Fin¬ ſterniß, ob er nicht die Begleiterin menſchlicher Cultur, eine Lichtflamme, entdecken könne, aber gleichfalls vergebens. Er mußte ſich darauf be¬ ſchränken, ſein Pferd vorſichtig der Richtung der Töne entgegen zu führen, dem Zufall anheimgeſtellt, daß ſie vielleicht wieder aufhörten und ihre Spur ihm entzogen. Glücklicherweiſe geſchah dieſes nicht. Der Geſang erhob ſich viel¬ mehr immer vernehmlicher. Es war ein marſchartiger Rythmus und eine leichte, leichtſinnige Baudeville-Melodie nach altem Zuſchnitt. Moorfeld konnte ſich bald darauf verlegen, die Textworte ſelbſt heraus¬ zuhören. Buvons — buvons — klang es einige Male, — dann brüllte ein breiter Sturmdonner dazwiſchen, daß der Wald krachte, Cäſar's erhitzte Haut ſchaudernd zuſammenfuhr und Moorfeld aus dem See heraus den ſpritzenden Giſcht im Geſichte ſpürte. Das ſchien aber den nächtlichen Sänger wenig zu geniren. Denn bald darauf hatte ſein fröhliches Herz mit le vin bon zu thun und der nächſte Windſtoß war noch galanter, er kam avec ma Lison. Als Moorfeld erſt die Sprache herausgehört, war es ihm um ſo leichter zu folgen. Ein gut gelaunter Franzoſe, wahrſcheinlich ein „heureux Canadicn“ vom nördlichen Erieufer herübergekommen, trieb ſich in der Nähe. Wahrlich, der Sänger konnte auch nur Franzoſe, oder Irländer ſein. Ein Amerikaner hätte nicht geſungen. In dieſer einſamen, melancholiſchen Lage vielleicht kaum ein Deutſcher. Moorfeld tappte ſich am Leitſeile dieſer Vocal-Production Schritt für Schritt näher. Der ſyllabiſch-recitirende Styl des franzöſiſchen Geſanges ließ ihn bald jedes einzelne Wort vernehmen, wozu noch beitrug, daß die accentuirten Sylben durch ihren regelmäßigen Fall auf die guten Tacttheile ungemein markirt hervortraten, was auch dem Chanſon, trotz ſeiner Schäferlichkeit, ſeinen galliſchen, ſturmſchrittartigen Geiſt verlieh. Der Sänger nahm zu einer neuen Strophe ſeinen Aufſchwung.

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/426>, abgerufen am 24.11.2024.